Berlin. Versicherte haben künftig Anspruch auf pharmazeutische Dienstleistungen in Apotheken. Das sieht das bereits 2020 in Kraft getretene Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz vor, das noch der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ins Leben gerufen hatte und das nun seine volle Wirkung entfaltet. Nachzulesen ist das im Paragrafen 129 Absatz 5e SGB V.
Da sich GKV-Spitzenverband und der Deutsche Apothekerverband bislang weder auf die konkreten Dienstleistungen noch auf die Vergütung einigen konnten, hat sich die Umsetzung verzögert. Ursprünglich sollten die Apotheken die neuen Dienstleistungen ab dem 1. Januar 2022 anbieten können.
Nach einigem Hin und Her zwischen den Verhandlungspartnern musste die Schiedsstelle eingeschaltet werden, die jetzt ihren Segen zu fünf Dienstleistungen gegeben hat. Der Schiedsspruch wurde am Freitag (10.6.) publik und liegt “Der Hausarzt” vor. Bei der darin geregelten Vergütung hat sich die Schiedsstelle am EBM orientiert und mit Vergütungsabschlägen versehen, um den Qualifikationsunterschied von Ärzten und Apothekern zu berücksichtigen.
Insgesamt stehen für die Leistungen bis Ende 2023 150 Millionen Euro zur Verfügung.
An dem Schiedsspruch und der damit verbundenen weiteren “Zerstückelung” der Versorgung übt der Deutsche Hausärzteverband massive Kritik. “Seit Jahrzehnten hängt ein Teil des deutschen Gesundheitswesens dem Fehlglauben an, dass die Versorgung besser wird, wenn immer mehr Akteure involviert sind”, erklärt Bundesvorsitzender Ulrich Weigeldt. Doch: “Wenn alle ein bisschen Verantwortung tragen, tut es am Ende keiner.” Vielmehr brauche es mehr Koordination und klare Verantwortlichkeiten.
90 Euro netto für Medikationsberatung
Bei drei der Dienstleistungen müssen Apothekerinnen und Apotheker eine Fortbildung nachweisen: Es handelt sich um pharmazeutische Beratungen bei Multimorbiden, Organtransplantierten und Krebskranken.
Im ersten Fall geht es um eine „erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation (Medikationsanalyse)“ in der Apotheke oder zuhause in der Regel einmal alle zwölf Monate. Diese Dienstleistung richtet sich an Patienten mit mindestens fünf Medikamenten, die sie dauerhaft einnehmen.
Im Gespräch mit dem Versicherten muss der Apotheker alle Medikamente (auch Selbstmedikation) erfassen und zum Beispiel auf Wechselwirkungen, Doppelverordnungen, Anwendungsprobleme etc. achten. Dafür muss der Versicherte alle Arzneien und Nahrungsergänzungsmittel mitbringen (“Brown Bag Review”). Ergänzend können weitere Quellen wie Medikationspläne oder auch Arzt- und Entlassbriefe einbezogen werden, falls diese vorliegen.
Zudem “können” die Apotheker Rücksprache mit dem Arzt halten, heißt es im Schiedsspruch. Wenn die Patienten einverstanden sind, soll der “hauptbetreuende Arzt” einen schriftlichen Bericht erhalten – vorzugsweise via KIM-Dienst (Kommunikation im Medizinwesen). Am Ende erhalten die Versicherten einen aktualisierten Medikationsplan, der auf der elektronischen Gesundheitskarte oder anderen Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI) wie der elektronischen Patientenakte gespeichert werden soll.
Für diese Leistung erhält der Apotheker 90 Euro netto. Die Schiedsstelle geht davon aus, dass die Beratung in etwa 80 Minuten dauert.
Auch Krebskranke und Organtransplantierte beraten
Auch Organtransplantierte und Krebskranke sollen in Apotheken künftig besonders beraten werden können. Die Medikationsanalyse umfasst dabei die Leistungen der Medikationsberatung bei Polymedikation (s. oben), ergänzt um die Besonderheiten der jeweiligen Therapie der Betroffenen.
Das Angebot gilt für Patienten, die mit einer immunsuppressiven Therapie beginnen oder das Therapeutikum wechseln, zudem für Patienten, die erstmals eine orale Antitumortherapie oder Folgebehandlung starten. Als Beginn werden die ersten sechs Monate definiert.
Für eine Erstberatung dieser Patienten erhalten Apotheker 90 Euro netto, für eine Folgeberatung nach zwei bis sechs Monaten und Bedarf des Patienten 17,55 Euro netto.
Inhaler-Schulung
Zwei weitere Dienstleistungen dürfen auch vom pharmazeutischen Personal der Apotheke durchgeführt werden. Asthmatiker (ab sechs Jahren) können sich in der Apotheke die Anwendung eines Inhalativums erklären lassen, wenn dieses neu verschrieben oder das Präparat gewechselt wurde. Zudem gilt es für Versicherte, die laut Selbstauskunft in den letzten zwölf Monaten nicht von Ärzten oder Apothekern geschult wurden, oder nicht im DMP Asthma/COPD eingeschrieben sind.
Zunächst soll die Anwendung mit einem Dummy-Inhalator gezeigt und dann vom Patienten selbst geübt werden, um Fehler bei der Anwendung zu beheben. Dafür erhält die Apotheke 20 Euro netto. Die Schiedsstelle hat dafür rund 25 Minuten Beratungszeit geschätzt.
Blutdruckmessung für Hypertoniker
Für Hypertoniker, die mindestens seit zwei Wochen einen Blutdrucksenker einnehmen oder das Präparat gewechselt wurde, kann die Apotheke ebenfalls künftig aktiv werden. Inkludiert in der Dienstleistung ist eine dreimalige Blutdruckmessung.
Aus der zweiten und dritten Messung wird ein Mittelwert errechnet. Ist dieser Wert zu hoch, soll der Apotheker mögliche Maßnahmen empfehlen. Werden festgelegte Grenzwerte überschritten, müssen die Apotheken zu einem Arztbesuch raten, heißt es.
Für die Blutdruckmessung erhält die Apotheke 11,20 Euro netto, das Schiedsamt legt in der Kalkulation 14 Minuten für die Leistung zugrunde. Diese darf einmal alle zwölf Monate stattfinden.
Hausärzteverband fürchtet Mehrarbeit
Ob der GKV-Spitzenverband noch ein Veto gegen den Schiedsspruch einlegt, ist fraglich. Fakt ist, dass den Apotheken oben genannte Möglichkeiten bald offenstehen. Es bleibt aber abzuwarten, inwieweit Apothekerinnen und Apotheker die Beratungen in ihren Apotheken umsetzen.
„Es ist nun genau das passiert, was wir seit Beginn der Diskussion befürchtet haben: Durch die Einführung der so genannten pharmazeutischen Dienstleistungen werden die Versorgung weiter zerstückelt und hausärztliche Aufgaben ausgelagert”, kommentiert Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, die Entscheidung der Schiedsstelle. Beim Medikationsmanagement würden in Zukunft “neben den Krankenhäusern und diversen Fachärztinnen und Fachärzten auch noch die Apothekerinnen und Apotheker verstärkt mitmischen”.
“Am Ende werden die Hausärztinnen und Hausärzte diejenigen sein, die für die Patientinnen und Patienten diese ganzen unterschiedlichen Beratungen zusammenbringen und bewerten müssen”, fürchtet Weigeldt. “Diese Entwicklung ist genau das Gegenteil von dem, was gute Versorgung ausmacht.”
Die Versorgung werde mit mehr Akteuren nicht besser, meint Weigeldt, der fürchtet, dass am Ende mehr Arbeit an den Hausärztinnen und Hausärzten hängen bleibt, die es dann wieder richten müssten.