Münster. Nachts finden „Notfalloperationen“ mit fragwürdiger Indikation statt, um OP-Säle zu füllen. Die Klinikleitung verteilt Kodier- und Verweildauerlisten an ihre Ärzte. Ärzte in Weiterbildung müssen Sonografieren in Wochenendkursen lernen, die sie aus eigener Tasche bezahlen. Die Folgen von Ökonomisierung im Gesundheitswesen bekommen schon junge Ärzte zu spüren. Das zeigen allein die drei Beispiele, die junge Ärztinnen und Ärzte beim „Dialog mit jungen Ärzten“ der Bundesärztekammer im Vorfeld des Deutschen Ärztetags in Münster am Montag (27.5.) berichteten.
„Kommerzialisierung beeinträchtigt uns alle: Es fehlt Zeit für Weiterbildung, Zeit für Einarbeitung neuer Mitarbeiter und auch Zeit für Patienten“, sagte ein Arzt in pädiatrischer Weiterbildung. Inna Agula-Fleischer vom Arbeitskreis „Junge Ärztinnen und Ärzte“ der Ärztekammer Westfalen-Lippe ergänzte, dass Patientenwohl werde auch gefährdet, indem ökonomische Anreize zu Übertherapie führten. Viele kritisierten, würden Kliniken und MVZ von Fremdinvestoren betrieben, für die nur der maximale Profit zähle, so würde „das Geld der Versorgung Stück für Stück entzogen“.
„Versorgung neu denken“
Die Nachwuchsärzte warfen in der Diskussion auch einen Blick über ihre eigenen Belange hinaus. So fragte eine Ärztin: „Warum müssen Kliniken Gewinne maximieren? Warum leisten wir uns nicht Gesundheit?“ Jana Aulenkamp, ehemalige Vorsitzende der Bundesvertretung für Medizinstudierende, plädierte dafür, bereits im Studium ökonomische Grundkenntnisse, aber auch Kompetenzen in Mitarbeiterführung zu vermitteln, damit Ärzte überhaupt in der Gestaltung der Versorgung eine größere Rolle spielen könnten.
Darüber hinaus forderte sie Offenheit – auch von der älteren Ärztegeneration – ein, „Versorgung neu zu denken“. Eine andere Ärztin bemängelte, der Grundsatz „Health in all policies“ (also gesundheitliche Folgen in allen Politikbereichen mitzudenken) werde zu wenig gelebt, um die Krankheitslast der Deutschen zu senken. Hier knüpfte ebenso Dr. Leonor Heinz vom Forum Weiterbildung im Deutschen Hausärzteverband an: Um die knappen Ressourcen zielgerichteter zu nutzen, müssten Patienten besser durch Hausärzte koordiniert werden. „Bisher sind Ärzte mehrheitlich in der Klinik tätig. Ich wünsche mir, dass wir als Ärzte auch eine ambulante Identität entwickeln“, sagte Heinz. Denn Medizin werde künftig auch immer mehr zuhause stattfinden.
Ärzte für Management schwer zu begeistern
Die Patienten stünden zu häufig nicht im Mittelpunkt der Versorgung, ging aus vielen Wortmeldungen junger Ärzte hervor. Das schwang im Bedürfnis der meisten mit, sich auf ihre eigentlichen ärztlichen Aufgaben konzentrieren zu wollen statt mit Kodierlisten. „Medizinische Qualität ist nicht das Finden von Schlupflöchern, um den Profit zu steigern“, brachte es eine Ärztin auf den Punkt. Viele sehen als Lösung daher, mehr Ärzte ins Klinikmanagement einzubinden. Ihre Erfahrung als Personalberaterin zeige allerdings, „es gibt nicht genug Ärzte, die in Führungspositionen möchten“, gab Dr. Anne Wichels-Schnieber von Russell Reynolds Associates zu bedenken. „Wenn wir mit Ökonomie nichts zu tun haben wollen, müssen wir uns damit abfinden, dass wir bei bestimmten Themen nichts zu sagen haben“, fasste Dr. Pedram Emami, Vorsitzender der Ärztekammer Hamburg und Moderator des Dialogs, zusammen.