Berlin. Um überfüllte Rettungsstellen in vielen Kliniken zu entlasten, soll die Notfallversorgung außerhalb der normalen Praxis-Öffnungszeiten grundlegend umgebaut werden. Im Moment kämen viel zu viele Patienten in die Krankenhäuser, erinnerte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Dienstag (18. Dezember) in Berlin. Im neuen Jahr will er deswegen eine Großoperation auf den Weg bringen, zu der auch eine Grundgesetzänderung gehört. Zentrales Ziel sei eine stärkere Steuerung der Patienten je nach Dringlichkeit des Anliegens – über neue gebündelte Lenkungsstellen per Telefon und in den Kliniken.
Damit bekräftigt Spahn ein Ziel, das auch der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Gutachten skizziert hatte. In Kraft treten sollen die Neuregelungen laut Ministerium Anfang 2020, dann sollen die Beteiligten des Gesundheitswesens aber noch weitere Zeit für Vorbereitungen bekommen. Bis zur konkreten Umsetzung könnte es also ungefähr noch bis 2021 dauern.
Der Deutsche Hausärzteverband sieht in dem geplanten Konzept eine Verschlechterung. „Eine zentrale Notfallstelle kann jedenfalls nicht die Aufgaben einer primärärztlichen Versorgung übernehmen. Die Koordination muss in den Händen der Hausärzte liegen, die ihre Patienten über Jahre hinweg kennen und versorgen“, betont Geschäftsführer Joachim Schütz. Ein großer Teil der Patienten, die in die Notaufnahme kämen, könnten oftmals besser in einer Hausarztpraxis versorgt werden. „Statt der nun diskutierten Reformmaßnahmen, sollten eher die Strukturen hinterfragt werden. Daher setzen wir uns mit der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) seit Jahren für ein freiwilliges hausärztliches Primärarztsystem ein, in dem der Hausarzt der erste Ansprechpartner seiner Patienten ist und die Versorgung durch Fachärzte und Krankenhäuser bei Bedarf koordiniert.“ Diese starke Rolle des Hausarztes hatten auch die Gesundheitsweisen in ihrem Gutachten unterstrichen.
Änderungen in drei Bereichen
Um der zunehmenden unkoordinierten Inanspruchnahme gegenzuwirken, plant Spahn ersten Angaben zufolge Änderungen in drei Bereichen. Dafür wolle er auch die Bundesländer ins Boot holen, hieß es in Berlin.
- WENN PATIENTEN ANRUFEN, sollen sie sich in Notfällen künftig an gemeinsame Leitstellen wenden – unter dem bekannten Notruf 112 und dem noch weniger bekannten ärztlichen Bereitschaftsdienst mit der Nummer 116 117. Dort sollen sie eine erste Einschätzung bekommen und in die passende Versorgungs-Ebene geschickt werden: ins Krankenhaus, eine Bereitschaftspraxis oder auch in eine ganz normale Sprechstunde am Montagmorgen. Wie diese Art Notfall-Hotline genau organisiert werden soll, ist noch zu klären. Denn die 112 ist ja auch der Feuerwehr-Notruf, bei dem keine Warteschleife entstehen soll.
- WENN PATIENTEN INS KRANKENHAUS GEHEN, soll es an bestimmten Kliniken “integrierte Notfallzentren” geben – nicht nur als Option, wie schon in manchen Krankenhäusern praktiziert. Dort arbeiten niedergelassene Bereitschaftsärzte und Klinikärzte – mit einem zentralen Empfang, der jeweils über die passende Behandlung entscheidet.
- WENN EIN RETTUNGSWAGEN KOMMT, soll es nicht mehr so regelmäßig und oft ins Krankenhaus gehen. Dafür soll die bisherige Regel wegfallen, dass die Krankenkassen Einsätze nur dann bezahlen, wenn der Transport in die Klinik geht.
KBV: Konkrete Gesetzesformulierungen abwarten
„Die heute verkündeten Eckpunkte nehmen wir zur Kenntnis. Entscheidend wird letztlich sein, wie die Gesetzformulierungen aussehen”, sagte Dr. Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), in einer ersten Stellungnahme. Kritisch sehe er, dass die Integrierten Notfallzentren (INZ) an von den Bundesländern festgelegten Krankenhausstandorten eingerichtet werden sollen. “Die Vergütung erfolgt durch Direktabrechnung mit den Krankenkassen auf der Grundlage einer eigenen Vergütungssystematik. Da die Länder nicht zahlen müssen, werden sie wohl großzügig Standorte ausweisen. Zahlen müssen ausschließlich die niedergelassenen Kollegen und Kolleginnen. Damit wird formvollendet ein neuer Sektor geschaffen. Dabei wollten wir doch alle die Sektoren eigentlich überwinden.“
Nicht nur in großen Städten ist es seit Jahren ein Problem, dass mehr und mehr Patienten direkt in Notaufnahmen gehen statt zum Beispiel zu einem Bereitschaftsarzt – obwohl sie längst nicht immer in akuter Not sind. Entfielen vor acht Jahren noch 47 Prozent der Notfälle auf die Krankenhäuser, waren es vor drei Jahren schon 53 Prozent. Dabei gibt es laut Gesundheitsministerium auch regionale Unterschiede: So gingen in Mecklenburg-Vorpommern fast 60 Prozent der Versicherten zu einem Bereitschaftsarzt, in Berlin dagegen rund 80 Prozent in die Klinik.
Mit Material von dpa