Das Arztinformationssystem (AIS), das künftig die Praxissoftware ergänzen soll, nimmt konkrete Formen an. Jüngst hat das Bundesgesundheitsministerium einen Referentenentwurf für die entsprechende Verordnung für das AIS vorgelegt und damit ein erstes Papier aus dem Herbst konkretisiert. Deutlich geht daraus hervor, dass das AIS nicht nur inhaltlich in den Praxisalltag wirken, sondern für niedergelassene Ärzte möglicherweise auch höhere Kosten mit sich bringen könnte.
Zur Erinnerung: Ziel des AIS ist es, Vertragsärzte besser als bisher über die teilweise sehr komplexen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu informieren.
Verschiedene Modelle diskutiert
Festgehalten ist dieses Vorhaben im 2017 in Kraft getretenen Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz. Seither wurden verschiedene Modelle für die konkrete Ausgestaltung diskutiert, vorgelegt – und wieder verworfen. So ist man etwa von einem zwischenzeitlich angedachten “Ampelsystem”, das Ärzten Empfehlungen für die Verordnung signalisieren sollte, wieder abgerückt. Der Deutsche Hausärzteverband hatte in der Diskussion wiederholt betont, dass die zusätzlichen Informationen in keinem Fall die Arbeitsabläufe in den Praxen stören dürften – etwa durch sogenannte “Pop-up-Fenster”, die sich verpflichtend öffnen und jedes Mal aufs Neue weggeklickt werden müssen.
Nichtsdestotrotz bleiben die Auswirkungen im Praxisalltag auch in der aktuellen Ausgestaltung deutlich. Nicht zuletzt von ihren Praxissoftware-Anbietern könnten Hausärzte bald in Sachen AIS hören. Denn: Bezifferte das Ministerium den Aufwand für die Wirtschaft im Oktober 2018 noch auf rund 300.000 Euro, hat sich diese Zahl nun deutlich erhöht. Es ergebe sich ein “geschätzter einmaliger Erfüllungsaufwand von rund 1,2 Millionen Euro”, heißt es mittlerweile.
Dass die Entwicklungskosten, die den rund 80 zertifizierten Softwareherstellern wohl entstehen, auf die Ärzte umgewälzt werden könnten, sieht auch das Ministerium. Für Vertragsärzte “könnten (sich) höhere Preise oder Lizenzgebühren für den Erwerb oder die Benutzung von Software ergeben, falls die Hersteller die Kosten für die Anpassung ihrer Produkte (…) auf die Preise umlegen”, heißt es in der Verordnung. Die Umsetzungsfrist ist bis Ende Juni 2020 gesetzt.
Bis zu 2.000 Zeichen lange Infos
Auch in ihren alltäglichen Praxisabläufen werden Hausärzte die neuen AIS spüren: Die bis zu 2.000 Zeichen langen Informationen zu Entscheidungen des G-BA beziehen sich nicht nur auf seltene Biologicals, sondern auch auf alltägliche Medikamente wie Statine, Kortison-Nasensprays und PPI. Ursprünglich waren hierfür gar 3.000 Zeichen vorgesehen. Folgende Angaben sollen die Infos enthalten:
- Angaben über den Wirkstoff und das zugelassene Anwendungsgebiet. Der Zusatznutzen soll nach Patientengruppen differenziert dargestellt werden. Außerdem müssen die bewerteten Arzneimittel einem Krankheitsgebiet nach ICD-10-GM zugeordnet werden. Das erleichtere die Verlinkung zu medizinischen Leitlinien, heißt es in der Begründung zum Verordnungstext.
- Angaben zu besonderen Anforderungen an die qualitätsgesicherte Anwendung der bewerteten Arzneimittel. Auch die Geltungsdauer und die mögliche Befristung von Beschlüssen sowie die Gründe dafür und Informationen über noch ausstehende Studien sind anzugeben. Nach dem Willen des Ministeriums sollen die Vertragsärzte zudem über die Art der Zulassung des Arzneimittels informiert werden, da etwa bei Arzneien zur Behandlung seltener Erkrankungen der Zusatznutzen als belegt gilt. Aufgehobene oder nicht mehr gültige Beschlüsse müssen gekennzeichnet oder entfernt werden.
- Verschwunden ist in der letzten Überarbeitung, dass im AIS Angaben zu den Jahrestherapiekosten eines Arzneimittels und, soweit vorhanden, die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie enthalten sein müssen. Die Angaben sollten ursprünglich monatlich aktualisiert werden. Auch eine hoch strittige Öffnungsklausel, die eine nachträgliche Aufrüstung des AIS durch “Implementierung weiterer Funktionalitäten” ermöglicht hätte, wurde zuletzt gestrichen.
Am Anfang war alles schlimmer
Kommentar von Tjarko Schröder, Gesundheitspolitik, Deutscher Hausärzteverband e.V.
Die Elektronische Arzneimittelinformations-Verordnung (EAMIV) schlug im gesundheitspolitischen Berlin wie der Blitz ein. Die zugrunde liegende Idee ist durchaus nachvollziehbar: Für eine ordnungsgemäße Verordnung von Medikamenten ist es notwendig, dass sich Ärzte über Arzneimittel angemessen informieren können. “Angemessen” ist dabei aber der entscheidende Ausdruck.
In der Ursprungsversion der EAMIV warf der Gesetzgeber scheinbar alles in die Waagschale, was ihm auf der Seele brannte. Die Jahreskosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie sollten dargestellt werden, außerdem beinhaltete die Verordnung eine Öffnungsklausel. Schon die Darstellung der Jahreskosten der Vergleichstherapie hätte einen deutlichen Eingriff in die Therapiefreiheit der Hausärzte sowie der fachärztlichen Kollegen dargestellt. Hand aufs Herz: Für welches Medikament werden sich Ärzte bei drohenden Regressen im Zweifel entscheiden, wenn ihnen der Vergleich der Jahrestherapiekosten ein günstiges und ein teures Präparat anzeigt? Die Öffnungsklausel hätte das Tor zu weiteren, nicht mehr kontrollierbaren Informationen auch von dritter Seite geöffnet.
Diese und andere Fallstricke wurden im Laufe des bisherigen Gesetzgebungsverfahrens bereinigt – wofür sich auch der Deutsche Hausärzteverband vehement eingesetzt hat.