Forum PolitikDr. Algorithmus: Zukunftsmusik oder bald Praxisrealität?

Tausende Diagnosen im "Kopf" abspeichern: Für Künstliche Intelligenz ist das kein Problem. Schon heute zeigen allerhand Visionen auf, wie die Systeme auch im Praxisalltag unterstützen könnten. Doch die Breite der hausärztlichen Tätigkeit kommt in der Diskussion oft zu kurz.

Die Befunde sind bereits vorsortiert: nach Auffälligkeiten gescreent, bewertet, aufgeteilt in zwei Kategorien. Der Kardiologe schaut sich nur noch jene Fälle mit potenziell positivem Befund an – und benötigt für seine Diagnose einen Bruchteil der Zeit, die ohne das erste Screening angefallen wäre. Doch den Vorbefund hat nicht etwa ein fachärztlicher Kollege getroffen, sondern ein Algorithmus.

Das Szenario, das Professor Klaus Juffernbruch beschreibt, klingt nach Zukunftsmusik. Doch für den Vorsitzenden der Expertengruppe "Intelligente Gesundheitsnetze" des Digital-Gipfels der Bundesregierung ist "Dr. Algorithmus" nicht allzu weit entfernt – und das ist aus seiner Sicht auch gut so. "Die Informationstechnologie kann eine Chance sein, die vorhandenen Ressourcen in der Medizin besser einzusetzen", betont Juffernbruch.

Auch wenn die fachärztliche Versorgung und dabei vor allem der Klinikalltag jene Stellen sind, an denen Künstliche Intelligenz (KI) laut Juffernbruch am wahrscheinlichsten zum Einsatz kommen wird – so sind auch Szenarien für die Hausarztpraxis vorstellbar. Das zeigt ein anderes Beispiel, das der Professor als Gast der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) vorgetragen hat: das Screening auf Seltene Erkrankungen. "Wenn jeder Arzt eine KI im Hintergrund mitlaufen hätte, könnte schnell ein Abgleich mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft erfasst und damit potenzielle Diagnosen gefiltert werden."

1.500 Krankheitsbilder gespeichert

Es ist eine Vision, die ein Berliner Start-Up-Unternehmen bereits in die Realität umgesetzt hat: "Ada" ist einerseits Entscheidungshilfe für Patienten, ob ein Arzt aufgesucht werden sollte, andererseits aber auch Diagnoseunterstützung für Ärzte: Der Mediziner trägt neben anderen relevanten Daten Alter, Geschlecht und Beschwerde ein – und erhält von der Künstlichen Intelligenz Diagnosevorschläge. 1.500 Krankheitsbilder kennt das System bereits, dessen Entwicklung sechs Jahre gedauert hat. 200 davon sind Seltene Erkrankungen.

Marketingchef Marvin Rottenberg sieht hier bedeutende Chancen: "Ein Hausarzt wird in einem gewöhnlichen Berufsleben mit 100 bis 200 Krankheiten konfrontiert", erklärte er beim "Innovators Summit" in Berlin. Da sei "Ada" einen Schritt voraus.

1,5 Millionen Nutzer hat die App eigenen Angaben zufolge bereits. Sie ist seit Oktober 2017 auf Deutsch für iOS sowie Android erhältlich. Zeitgleich wertet eine Validierungsstudie retrospektiv Fälle aus: Wie lange braucht ein Arzt für gewöhnlich bis zur Diagnosestellung eines gewissen Krankheitsbildes? Und wie schnell hat er es mit Hilfe von "Ada" geschafft?

Hausarzt-Realität sieht anders aus

Was eine solche Auswertung jedoch nicht ausreichend erfassen kann, ist die Breite der hausärztlichen Tätigkeit – immerhin geht es nicht allein um das "Abscannen" auf Diagnosen, sondern um den menschlichen Kontakt, in vielen Fällen die Betreuung eines Patienten über Jahre hinweg. Der Deutsche Hausärzteverband plädiert dafür, das zu bedenken, wenn über Entlastungsmöglichkeiten durch intelligente Systeme gesprochen wird.

"Dass sich die Medizin durch Künstliche Intelligenz und andere Technologien verändern wird, ist Realität – und das muss, unter bestimmten Bedingungen, auch nichts Schlechtes sein", meint Bundesvorsitzender Ulrich Weigeldt. "Man merkt in der Auseinandersetzung jedoch oft, dass bei einigen Akteuren ein verzerrtes Bild der hausärztlichen Arbeit vorherrscht. Immerhin reihen Hausärzte in ihrer täglichen Praxisarbeit nicht einfach eine Diagnose an die andere."

Es ist ein Punkt, der KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel besonders wichtig ist. "Künstliche Intelligenz kann einen Arzt nur unterstützen, aber niemals ersetzen", betonte er in der Diskussion mit Juffernbruch. Kriedel signalisierte dabei zwar Offenheit, meldete aber auch deutliche Bedenken an. "Viele Fragen sind noch offen: Wer programmiert die Algorithmen, wer befüllt die Datenbanken und wer entscheidet, was relevante Patientendaten sind?" Auch die Finanzierung in der GKV sei kein einfaches Thema.

Trotz potenzieller Chancen: Dass "Dr. Algorithmus" den niedergelassenen Facharzt ersetzen könnte, sieht Kriedel nicht. "Der Arzt-Patienten-Kontakt muss letztlich immer ein Mensch-Mensch-Kontakt sein." Bei genauem Hinsehen belegt das – zumindest nach heutiger Entwicklung und Rechtslage – auch "Ada": Denn die Anwendung darf keine Diagnosen stellen, sie darf lediglich Empfehlungen geben. Am Ende, und hier stimmt auch Digital-Experte Juffernbruch zu, muss immer das Wort des Arztes stehen.

Statement Monika Buchalik, Hessen: „Künstliche Intelligenz könnte lediglich in kleinen Teilbereichen der Allgemeinmedizin eine gewisse Arbeitserleichterung bewirken. Sie wird jedoch niemals auch nur annähernd die ärztliche Wahrnehmung und das ärztliche Handeln eines Hausarztes oder einer Hausärztin ersetzen können, denn dazu ist die Allgemeinmedizin viel zu komplex.“

Statement Dr. Berthold Dietsche, Baden-Württemberg: „Ich glaube nicht, dass beim aktuellen Stand der Technik Künstliche Intelligenz in der hausärztlichen Praxis eine nennenswerte Rolle spielen kann.“

Fazit

  • Intelligente Systeme könnten helfen, Ressourcen in der Medizin besser einzusetzen.

  • Verschiedene Start-Up-Unternehmen arbeiten bereits an der Entwicklung von Konzepten für Praxis- und Klinikalltag, etwa einem Erst-Screening von Befunden durch Künstliche Intelligenz.

  • Der Deutsche Hausärzteverband und auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung betonen, dass solche Systeme Ärzte nur unterstützen, sie aber nicht ersetzen können; die Realität des hausärztlichen Versorgungsalltags muss stärker in die Diskussion einfließen.

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