Forum PolitikDer Hausarzt und die Allgemeinmedizin

Um das Ganze, durch das ganze Leben und den ganzen Körper, darum geht es bei der hausärztlichen Tätigkeit. Manche Begrifflichkeiten beschreiben das nicht treffend genug, findet unser Autor.

Die Erfüllung der hausärztlichen Aufgabe erfordert ein sehr breites Wissen, ein volles Engagement für die Aufgabe ohne allzuviel Verzettelung in andere Tätigkeiten und wird durch langfristige Sesshaftigkeit in einem stabilen Sprengel gefördert.

Gewiss kann jeder Arzt "ein bisschen" Hausarzt sein, die banalen Erkrankungen bzw. Symptome kann doch jeder Arzt behandeln. Aber die Anforderungen an den Hausarzt sind nicht nur die Behandlung des Banalen, oder wie Hege es ausdrückte, das Palliative, sondern Ganze: Im Längsschnitt durch das ganze Leben, im Querschnitt durch alle Bereiche der Medizin oder besser der Körperfunktionen und in der Einheit mit der biologischen und sozialen Umwelt. Die herangewachsene Aufgabe der Betreuung von Multimorbiden lässt alle Experten anderer Disziplinen scheitern – deren Leitlinien sind untauglich, ja gefährlich.

Funktion ist nicht Fachrichtung

Allgemeinmedizin ist eine medizinische Fachrichtung, die durch die wissenschaftliche Fachgesellschaft und in der Weiterbildungsordnung der BÄK bzw. der LÄK beschrieben wird.

Bei HAMM finden wir die Definition der DEGAM in den "Hodenhagener Beschlüssen": "Allgemeinmedizin ist die Langzeitbetreuung und Behandlung von gesunden und kranken Menschen mit körperlichen und seelischen Gesundheitsstörungen unabhängig vom Alter und Geschlecht unter besonderer Berücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit, der Familie und der sozialen Umwelt."

Aber das ist ebenfalls eine Tätigkeitsbeschreibung. Allgemeinmedizin als wissenschaftliche medizinische Disziplin ist die Forschung und Lehre, die dieser Tätigkeit zugrunde liegt.

Es besteht ein hoher Grad der Übereinstimmung zwischen der Aufgabenstellung des Hausarztes und der Qualifikation des Facharztes für Allgemeinmedizin. Und so vermissen wir auch sehr häufig die Abgrenzung zwischen Funktion und Fachrichtung.

In der Öffentlichkeit und selbst in wissenschaftlicher Literatur geht das mit den Begriffen munter durcheinander. So liest man oft "Hausärzte und hausärztliche Internisten" oder schlicht "Praktiker" für alle Hausärzte. In Studien über Hausarztmedizin wird in den seltensten Fällen zwischen den Quellgruppen der Hausärzte differenziert. Da wird Allgemeinmedizin angegeben, ohne dass die Praktischen Ärzte und Internisten außen vor gelassen worden wären. Ausgehend von den unterschiedlichen Weiterbildungswegen gibt es qualitative Unterschiede, die sich zwar mit längerer Praxistätigkeit teilweise verschleifen, aber die Prägung wirkt nach. Viele Praktische Ärzte haben im Nachhinein den Facharzt für Allgemeinmedizin zuerkannt bekommen, der Ursprung ist verwischt. Nicht wichtig? Wenn wir die unseligen Diskussionen über Verkürzung der Weiterbildung des Allgemeinmediziners hören, wird die differenzierte Qualitätsbetrachtung schon bedeutsam.

Die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin ist die effektivste Vorbereitung auf die hausärztliche Tätigkeit. Allgemeine Internisten haben seitens der Weiterbildung Defizite bei den Erkrankungen des Bewegungsapparates, des Nervensystems, der Sinnesorgane, der Haut etc., die im Weiterbildungsgang der Klinik nur am Rande eine Rolle spielen. Dafür haben sie Kenntnisse und Fertigkeiten in ihrem Kerngebiet, die sie dann nicht mehr nutzen können. So geht es übrigens auch den operativ ausgerichteten Fächern, wenn sie in der ambulanten Tätigkeit dafür keine Basis mehr haben.

Allgemeinmediziner gefragt

Die Fachärzte für Allgemeinmedizin sind allerdings auch für andere Funktionen als die hausärztliche gesucht. Die breite Ausbildung und der erworbene Überblick ist eine gute Basis für weitergehende Qualifikationen, die dann leider von der hausärztlichen Betreuung wegführen können. Andererseits könnte dieser Aspekt es dem angehenden Arzt erleichtern, sich für diese Weiterbildung zu entscheiden in dem Wissen, dass das keine "Sackgasse" in Richtung Landarzt darstellt, sondern eine breite Palette von Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten für diesen Facharzt für Allgemeinmedizin offenstehen. So werden Fachärzte für Allgemeinmedizin gesucht für den Einsatz in der Rehabilitation, in der Begutachtung und selbst für Aufnahmestationen von Kliniken. Weiterqualifikationen bieten sich an zur Arbeitsmedizin, zur psychotherapeutischen Medizin, zur Sozial-medizin und anderem. Und natürlich ist der Erwerb zahlreicher Zusatzqualifikationen möglich, die innerhalb der hausärztlichen Tätigkeit ausgeübt werden können. Berufspolitisch wünschenswert ist das alles nicht, da Zusatzqualifikationen von der Kernaufgabe "Hausarzt" wegführen können. Andererseits schaffen diese oft eine Berufszufriedenheit, die sich wiederum positiv auf das Hausärztliche auswirkt.

Lösung Hausarztmedizin?

Die Allgemeinmedizin hat sich aufgrund der Betreuungsbedürfnisse der Bevölkerung entwickelt, um die ursprünglich von den praktischen Ärzten ausgeübte Tätigkeit besser fachlich zu untersetzen. Dabei ging dieser Prozess im Westen Deutschlands von einer Gruppe Internisten aus, die insbesondere ihre Defizite in der psychosozialen Betreuung thematisierten, während im Osten praktische Ärzte und Sozialmediziner die treibende Kraft waren. Hier wurde die umfassende Betreuungsaufgabe vor allem der ländlichen Bevölkerung in den Mittelpunkt gestellt. Praktiker selbst haben den Facharzt Allgemeinmedizin definiert und die Weiterbildung gestaltet, und zwar bereits 1961. Die Geschichte umfassend darzustellen, ist hier nicht der Raum.

Die Allgemeinmedizin baut auf wissenschaftlichen Ergebnissen aller anderen medizinischen Fachbereiche auf, schafft aber daraus eine eigene Wissenschaft. Die Unzulänglichkeit, die unzureichende Realisierbarkeit der Vorgaben spezia-listischer Disziplinen unter den Bedingungen hausärztlicher Praxis führte zur Entwicklung eigener Leitlinien, eigener Fortbildung. So gehen Leitlinien im Allgemeinen von der Diagnose aus, definieren die Krankheit, deren Epidemiologie, Pathogenese, erörtern Diagnostik und Therapie. Hausärztliche Leitlinien orientieren sich an der hausärztlichen Tätigkeit und Arbeitsmethodik. Ausgangspunkte sind die Symptome, die Beschwerden von Patienten, die Analyse des Patientenproblems und dann die Erörterung der gemeinsamen Problemlösung.

Die Hausarztmedizin ist bei Braun in erster Linie Nachfrage-, nicht Angebotsmedizin. Vorgetragene Patientenprobleme bestimmen die Tätigkeit. Dementsprechend sind die Grundsätze und die Vorgehensweise formuliert, die wissenschaftliche Arbeit ist auf die Analyse des Patientenproblems konzentriert. Bei Knabe (bestimmend für die Entwicklung in der DDR seit 1960) sieht das anders aus; dort war präventive Betreuung stets ein Schwerpunkt, sogar das entscheidende Argument für den Hausarzt gegenüber dem Konzept der am Krankenhaus angebundenen Kollektiven von Spezialisten. Diese präventive Orientierung hat sich insgesamt in der hausärztlichen Tätigkeit durchgesetzt, wie sie auch im SGB V bekräftigt wird.

Ein denkbarer Kompromiss: Ein Lehrstuhl nennt sich Institut für Hausarzt- medizin. Hier sind die Aufgabe Hausarzt und die Fachrichtung, die ihn am besten auf die Aufgabe vorbereitet und sich am meisten forschend mit ihm beschäftigt, im Begriff vereint. Diese Bezeichnung kann sich auf die gesellschaftliche Aufgabe im SGB V stützen, sie lässt auch die Teilnahme ursprünglich internistisch weitergebildeter Ärzte zu, sowie sie sich eben der hausärztlichen Arbeitsaufgabe und Arbeitsmethodik bedienen und anpassen.

Hausarzt ist eine soziale Funktion im Gesundheitssystem, die im SGB V beschrieben ist:

Hausärztliche Aufgaben laut Gesetz Paragraf 73 SGB V

(1) Die vertragsärztliche Versorgung gliedert sich in die hausärztliche und die fachärztliche Versorgung. Die hausärztliche Versorgung beinhaltet insbesondere

  1. Die allgemeine und fortgesetzte ärztliche Betreuung eines Patienten in Diagnostik und Therapie bei Kenntnis seines häuslichen und familiären Umfeldes; Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen.

  2. Die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen.

  3. Die Dokumentation, insbesondere die Zusammenführung, Bewertung und Aufbewahrung der wesentlichen Behandlungsdaten, Befunde und Berichte aus der ambulanten und stationären Versorgung,

  4. Die Einleitung oder Durchführung präventiver und rehabilitativer Maßnahmen sowie die Integration nichtärztlicher Hilfen und flankierender Dienste in die Behandlungsmaßnahmen.

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