Frankfurt/Berlin/Bonn. Die Bundesregierung hat der Warnung vor einer Medikamenten-Knappheit bei einem ungeordneten Brexit widersprochen. “Wir rechnen nicht mit Engpässen”, versicherte eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) am Mittwoch (16.1.) in Berlin. Voraussetzung sei allerdings, dass die betroffenen Pharmaunternehmen ihrer Verantwortung bei der Zulassung von Arzneimitteln nachkämen.
Pharmaverbänden hatten zuvor gewarnt, bei einem ungeordneten Brexit drohten Engpässe bei Arzneien. Ohne Übergangsphase oder Regelungen für die komplexen Lieferketten für Medikamente könne die Arzneimittelversorgung in Großbritannien und der übrigen EU “empfindlich” gestört werden, teilte der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) mit. Großbritannien und die EU müssten für einen Brexit ohne Deal mit Brüssel dringend Maßnahmen ergreifen, damit Patienten weiter ihre Medikamente bekämen.
Fast jedes vierte Medikament betroffen?
Über Großbritannien kämen viele Roh- und Wirkstoffe auf den europäischen Markt, so der BAH. Fast jedes vierte Arzneimittel für die EU werde dort freigegeben und in den Verkehr gebracht. Entsprechend groß sind die Sorgen vor einem ungeordneten Brexit Ende März: “Medikamente, die für ganz Europa in Großbritannien zugelassen wurden, dürfen von jetzt auf gleich nicht mehr in Europa vertrieben werden”, warnte der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Im Falle eines Brexits ohne Abkommen werde Großbritannien im Handel zum Drittstaat, inklusive damit verbundener Zölle und anderer Restriktionen, sagte Vorstandschef Martin Zentgraf. “Wir können nur hoffen, dass es nicht auf beiden Seiten zu Lieferengpässen kommt”. Die Pharmaindustrie sei in der Pflicht, hier für die notwendige Zulassung zu sorgen, konterte das Ministerium.
Jährlich werden nach Angaben des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) eine Milliarde Arzneimittelpackungen zwischen Großbritannien und den übrigen EU-Staaten gehandelt. Von möglichen Engpässen bei Medikamenten sind aus vfa-Sicht aber in erster Linie Patienten in Großbritannien betroffen. Das Land könne den drohenden “Stresstest für das Gesundheitssystem” wesentlich schwerer wegstecken als die EU, sagte Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer. Pharmafirmen hätten zwar ihre Arzneivorräte auf der Insel erhöht. Ob das aber für einen Brexit ohne Deal genüge, sei ungewiss.
Handel eingebrochen
Unterdessen wirkt sich der nahende Brexit auch auf den Handel aus: Der Handel der deutschen Chemie- und Pharmabranche mit Großbritannien sei eingebrochen. Im vergangenen Jahr sank das Handelsvolumen mit dem Vereinigten Königreich um fast zehn Prozent auf 16 Milliarden Euro, zeigen erste Schätzungen des Branchenverbands VCI, die der Deutschen-Presse Agentur vorliegen. 2017 wurden noch Chemieprodukte und Arzneien im Wert von 17,7 Milliarden Euro zwischen Deutschland und Großbritannien ausgetauscht. Sowohl Exporte als auch Importe gingen deutlich zurück.
Großbritannien ist einer der größten Abnehmer deutscher Medikamente. Mit dem Rückgang im vergangenen Jahr rutscht das Land auf Platz acht der wichtigsten Handelspartner der hiesigen Chemie- und Pharmabranche. 2017 lag Großbritannien noch auf Platz sieben.
Der Einbruch im Handel hänge stark mit Arzneien zusammen, erklärte VCI. Möglicherweise hätten deutsche Pharmaunternehmen weniger Medikamente von der Insel importiert und stattdessen zur Risikovorsorge vor einem Brexit Verträge mit anderen Zulieferern in Europa als Ersatz für britische Produkte abgeschlossen. Bei den Pharma-Exporten nach Großbritannien wiederum habe sich der Rückgang seit 2016 fortgesetzt.
Der VCI hatte wiederholt vor den Folgen eines ungeordneten Brexit gewarnt und Sorgen darum als einer der Gründe genannt, warum die Branchenkonjunktur zuletzt an Fahrt verlor. Nun droht aber Ende März ein Brexit ohne Abkommen mit der EU: Am Dienstagabend stimmte das britische Parlament klar gegen den Deal von Premierministerin Theresa May. Sie muss sich am Mittwoch (16.1.) einem Misstrauensvotum stellen.
Quelle: dpa