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Sulfonylharnstoffe“Dumme Verteufelung nützlicher Stoffe”

Sulfonylharnstoffe galten in der Diabetestherapie, aufgrund des kardiovaskulären Risikos, lange als zweite Wahl. Eine neue Studie widerlegt diese Annahme jetzt. Was das für die Behandlung von Diabetikern in der Hausarztpraxis bedeutet, erklärt Dr. med. Til Uebel, Sprecher der AG Diabetes der DEGAM.

Medikamente gegen Diabetes mellitus gibt es viele - die Gruppe der Sulfonylharnstoffe ist eine davon.

Vor 50 Jahren besagten Studien, dass Sulfonylharnstoffe bei der Therapie von Diabetes mellitus Typ 2 kardiovaskuläre Ereignisse begünstigen. Die aktuelle CAROLINA-Studie widerlegt das zumindest für Glimepirid. Ein Grund zum Feiern?

Dr. med. Til Uebel: Mir imponiert der Benefit in der CAROLINA-Studie nicht wirklich, da es auch für Gliptine keinen Nutzennachweis gibt und weil der Vergleichswirkstoff falsch gewählt wurde. Zumal auch in dieser Studie ein falsch verstandener Ehrgeiz, ‚niedrige HbA1c-Ziele‘ zu erreichen, zu vermehrten stationären Aufnahmen im Krankenhaus führte. Eine ordentliche Publikation liegt noch nicht vor.

Bis dato muss man sich die Informationen aus dieser Studie noch zusammensuchen. Einen zusätzlichen Nutzen für Glimepirid kann ich aus den mir bekannten Daten der CAROLINA-Studie bisher nicht ableiten. Auch wenn es erfreulich ist, dass diese hierzulande sehr häufig eingesetzte Substanz jetzt zumindest den Nachweis erbracht hat, keinen zusätzlichen Schaden anzurichten.

Die kardiovaskulären Ereignisse gelten für Sulfonylharnstoffe nun seit der Studie als unbedenklich, doch sie erhöhten wiederum die Hypoglykämie-Rate bei den Probanden. Wie bewerten Sie dieses Risiko – auch im Vergleich zu anderen Antidiabetika?

Die Verteufelung der Sulfonylharnstoffe ist aus meiner Sicht schlicht dumm. Es sind potente Blutzuckersenker mit Vor- und Nachteilen. Die unerwünschten Wirkungen von Hypoglykämien, die potente Glukosesenker erzeugen können, sind vor allem für Patienten relevant, bei denen geschädigte Organe besonders vulnerabel reagieren. Gerade für diese Gruppe sollte man nie zu niedrige Blutzuckerwerte anstreben.

Die meisten Spezialisten haben sich von den wenig differenzierten ‚The lower the better‘- Empfehlungen der Vergangenheit verabschiedet, sie sitzen aber nach wie vor in den Köpfen der Kollegen fest.

Das liegt daran, dass Patienten mit sehr hohen HbA1c-Werten ebenso wie sehr jung Erkrankte ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko haben. Es ist jedoch ein Fehler zu glauben, von einem gesenkten Blutzucker – egal mit welchen Mitteln und egal zu welchem Preis – würde jeder Mensch mit Diabetes profitieren.

Der ‚Preis‘ bei den Sulfonylharnstoffen war die relevante Steigerung der Hypoglykämien. Sie kam aufgrund der langen Halbwertszeit von Sulfonylharnstoffen insbesondere bei Menschen mit Nierenschwäche zu Tragen. Es waren also vor allem ältere Patienten betroffen. Doch diese haben ein kaum erhöhtes CVS-Risiko im Vergleich zu Nichtdiabetikern, man kann hier also viel früher die ‚strengen HbA1c-Ziele‘ verlassen. Das wird von diabetologischer Seite aus immer noch nicht ausreichend kommuniziert.

Für welche Patientengruppe ist eine Therapie mit Sulfonylharnstoffen sinnvoll? Ändert sich ihre Rolle innerhalb des Therapieregimes aufgrund der neueren Studien?

Sulfonylharnstoffe müssen als Medikamente der zweiten Wahl nach Metformin betrachtet werden. Sie sind in der Regel gut verträglich, das Wirkprinzip gilt als verstanden und sie sind vor allem hocheffektiv in der blutzuckersenkenden Wirkung, wenn diese auch mit der Zeit gelegentlich nachlässt. Um Folgeerkrankungen zu reduzieren, sind sie deutlich weniger geeignet, wenn auch der Nutzen für die zwei genannten Substanzen Glibenclamid und Gliclazid als gesichert gelten kann.

Keinesfalls sollten sie genutzt werden, um HbA1c-Ziele <7% zu verfolgen, wie es jetzt wohl wieder in CAROLINA geschehen ist, weil das fast zwangsläufig vermehrt Hypoglykämien erzeugt. Vorsichtig dosiert sind sie ein unverzichtbares Werkzeug im Portfolio eines jeden Diabetologen und Hausarztes.

Die als Nebenwirkung angeführte Gewichtszunahme ist unter Sulfonylharnstoffen über Jahre nur marginal. Ganz anders als beim Insulin, das erhebliche Gewichtszunahmen und auch deutlich häufiger Hypoglykämien verursacht.

Welche Vorteile bietet eine Therapie mit Sulfonylharnstoffen (heute noch) im Vergleich zu neueren Antidiabetika wie DPP-4- oder SGLT-2-Hemmern?

DDP-4-Inhibitoren sind schwache Blutzuckersenker und hinsichtlich der Folgeerkrankungen wohl vollkommen nutzlos. Ihr Nutzen wurde in keiner Studie nachgewiesen, außer, dass sie weniger Hypoglykämien erzeugen, verglichen mit Sulfonylharnstoffen, mit denen falsche HbA1c-Ziele angestrebt werden. Das zeigt die CAROLINA-Studie jetzt wieder. Für mich haben sie allenfalls eine Nischenindikation bei Betroffenen mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz und symptomatischer Hyperglykämie.

SGLT-2-Inhibitoren hingegen sind eine interessantere Stoffgruppe. Neben der Hemmung an den Glukosetransportern, nach der sie benannt sind, wird allmählich ihre Wirkung auf die Nierenfunktion verstanden. Sie haben zumindest in einer Studie einen Mortalitätsvorteil gezeigt. Spannend ist auch hier, dass das HbA1c letztlich kaum beeinflusst wird. Die in den vergangenen Jahren so dominante Diskussion um die Stoffwechselkontrolle ist damit vollkommen in den Hintergrund gerückt.

Ich denke, diese Stoffgruppe ist eine wirklich interessante Alternative. Das gilt insbesondere für die genannten Menschen mit manifesten Herzerkrankungen, bei denen Sorge um zu niedrige Stoffwechselwerte unter Sulfonylharnstoffen besteht, die aber eine weitere Substanz zusätzlich zum Metformin benötigen. Auch wenn es noch dauern wird, bis diese Substanzen, unter der das Empagliflozin derzeit die Referenz darstellt, endgültig einzuschätzen sind.

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