Forum PolitikArzneimittel: Interaktion ist nicht gleich Interaktion

Viele Patienten von Hausärzten nehmen drei oder mehr Medikamente. So groß wie das Potenzial für Interaktionen ist, so verschieden sind auch die Wege, wie die einzelnen Substanzen untereinander wirken können. Ein Überblick aus der Sicht eines Apothekers.

Treten bei Arzneien Wechselwirkungen auf, so liegt dies oft daran, dass verordnete Arzneimittel – verschrieben vom Hausarzt, Facharzt sowie Kliniken und rezeptfreie, selbst gekaufte Medikamente – nicht zusammenpassen. Die Wahrscheinlichkeit für Interaktionen wächst dabei mit der Zahl gleichzeitig eingenommener Medikamente, dem Alter der Patienten sowie der Zahl verschreibender Ärzte. Auch stellt der häufige Wechsel der Apotheke und damit das Fehlen einer durchgehenden Arzneimittelhistorie einen weiteren wichtigen Risikofaktor für Arzneimittelinteraktionen, insbesondere bei multimorbiden Patienten, dar.

Top 20 der Interaktionen

In einer Anwendungsbeobachtung aus Bayern in 2011 [1], konnten in 82 Prozent der Fälle Interaktionen noch in der Apotheke geklärt werden. Bei den 20 häufigsten Meldungen über Arzneimittelinteraktionen handelte es sich allerdings nicht um schwerwiegende Interaktionen. 14 verschiedene Interaktionsmeldungen machten die Hälfte aller Interaktionsmeldungen aus. Bei den Top 20 der Interaktionen spielten Arzneistoffgruppen wie Antihypertonika, nicht steroidale Antiphlogistika, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und polyvalente Kationen eine wichtige Rolle. Auch von OTC Arzneimitteln ging ein ernstzunehmendes Interaktionspotenzial aus. So waren bei etwa jedem achten betroffenen Patienten Wechselwirkungen mit einem Präparat der Selbstmedikation beteiligt. Auch hier waren am häufigsten NSAR und polyvalente Kationen als Interaktionspartner zu finden.

Interaktionen können gemäß des geschätzten gesundheitlichen Risikos in verschiedene Risiko-Klassen eingeteilt werden. Anhand der Klassifizierungen kann erstmal das Risikopotenzial der vorliegenden Medikamentenkombination abgeschätzt werden. Eine wichtige und anspruchsvolle Aufgabe des Hausarztes ist, für jede individuelle Patientensituation mit einer Nutzen-Risiko-Abwägung zu beurteilen, ob und wie bestimmte Arzneimittel kombiniert werden dürfen. Beobachtet er fehlende oder unerwünschte Wirkungen, muss der Hausarzt nach der Ursache fahnden und klären, ob es sich um eine klinisch relevante Interaktion handeln könnte.

Interaktionsmanagement

Bei Wechselwirkungen ist ein koordiniertes Vorgehen nötig [3], etwa in vier Schritten:

1. Beurteilung der Patientensituation: Eine Interaktion findet nicht in den Datenbanken von Ärzten und Apothekern statt, sondern im Körper des Patienten. Das Risiko einer Arzneimittelinteraktion lässt sich deshalb nur beurteilen und geeignete Maßnahmen können nur dann ergriffen werden, wenn der Hausarzt die individuelle Patientensituation in die Überlegungen mit einbezieht. Dazu gehören etwa Alter, Körpergewicht, Krankheiten, Nieren-, Leberinsuffizienz, Polymedikation einschließlich OTC, Adhärenz.

2. Erkennen von kritischen Zeit-Perioden: Vor allem die Interaktionsprozesse der kombinierten Arzneimittel bestimmen die Zeitperiode, innerhalb der negative Folgen einer Interaktion auftreten können.

Bei pharmakokinetischen Interaktionen dauert es meist Tage und Wochen bis klinische Symptome auftreten, da Induktion oder Hemmung von metabolisierenden Enzymen durch das neue Medikament langsam ablaufen.

Medikamente mit langer Halbwertszeit interagieren oft zeitverzögert, da sie ihre steady state Wirkkonzentration erst nach circa fünf Halbwertszeiten erreichen. Diese steady state Wirkkonzentration ist auch in der Regel notwendig, um die betreffenden Interaktionen auszulösen. Dies sollte der Hausarzt auch beim Absetzen eines Arzneistoffes beachten.

Daher kann eine Substanz, die schon vor Wochen abgesetzt wurde, immer noch mit einem neuen Arzneimittel interagieren, weil die Konzentration noch hoch genug ist. Beispiel: Deswegen muss man nach dem Absetzen von Fluoxetin fünf Wochen warten, bevor man eine Therapie mit Moclobemid beginnen kann. Nur so kann ein mögliches Serotonin Syndrom sicher verhindert werden.

Interaktionen als Folge einer verminderten renalen Ausscheidung manifestieren sich dagegen meistens innerhalb weniger Tage.

Pharmakodynamische Interaktionen manifestieren sich klinisch in der Regel sehr rasch, also innerhalb weniger Stunden.

3. Gleichgewicht zwischen einzelnen Arzneimitteln prüfen: Klinische Folgen einer Arzneimittelinteraktion entstehen sowohl beim Hinzufügen eines Arzneimittels zu einer bestehenden Therapie als auch beim Absetzen. So muss zum Beispiel nach Beenden der Einnahme des Enzyminduktors Carbamazepin die Dosis des verbleibenden Nifedipin reduziert werden. Zu prüfen ist daher, ob ein bestehendes Gleichgewicht innerhalb der Arzneimitteltherapie verändert wurde.

4. Nutzen und Risiko der Interaktion abschätzen: Interaktion bedeutet nicht prinzipiell Kon­traindikation, Absetzen oder Ändern der Therapie. In gewissen Fällen wird eine Medikamentenkombination gewählt, obwohl ein Risiko für eine negative klinische Auswirkung besteht. Dies sollte allerdings nur geschehen, wenn keine anderen geeigneten Medikamente zur Verfügung stehen und alle Maßnahmen ergriffen wurden, um negative Auswirkungen zu vermeiden oder unter Kontrolle zu halten. Zu den Maßnahmen zählen etwa: Dosisanpassung, Anpassung der Einnahmeintervalle, Überwachung von Blut und biochemischen Werten (Nutzen-Risiko-Bewertung und Monitoring auf Effektivität und Toxizität).

Rolle des Apothekers

Detektiert der Apotheker etwa eine potentielle Arzneimittelwechselwirkung, deren Effekt die Gesundheit des Patienten gefährden kann, beispielsweise eine zeitgleiche Einnahme von Simvastatin und Erythromycin, gilt Paragraf 17 ApBetrO: Vor der Arzneimittelabgabe muss der Apotheker den verordnenden Arzt/Ärzte über die potentielle Interaktion informieren und eine Lösung herbeiführen. In Verbindung mit Paragraf 5 AMG steht Paragraf 17 ApBetrO dabei rechtlich über der Therapiefreiheit des Arztes.

Interveniert der Apotheker nicht, obwohl er dieses Problem erkannt hat, haftet er in vollem Umfang [4]. Die Haftung kommt vor allem dann zum Tragen, wenn mehrere Ärzte die Arzneimittel unabhängig voneinander verordnet haben, beispielsweise Timolol Augentropfen bei Asthmatikern. Das Auffin den von Arzneimittelbezogenen Problemen (ABP), zu denen auch klinisch relevante Arzneimittelinterakionen gehören, ist somit eine Hauptaufgabe der Apotheker.

Für die Detektion von Arzneimittel Interaktionen in der Apotheke ist die ABDA Datenbank eines der wichtigsten Instrumente. Durch Speicherung der gesamten Medikationsdaten für einen Patienten in der Apotheke ist es möglich, einen Interaktions-Check zwischen den zuvor verordneten Medikamenten, Präparaten der Selbstmedikation sowie den abzugebenden Arzneimitteln durchzuführen. Die dabei gefundenen Interaktionen, soweit sie klinisch relevant sind, teilt der Apotheker dann in der Regel dem Arzt mit. Fraglich ist allerdings, welche heilberufliche Rolle dem Apotheker hierbei zukommt.

Das Ergebnis einer Datenbank-Recherche kann nicht voraussagen, ob eine Arzneimittel-Interaktion bei einem bestimmten Patienten klinisch feststellbare Auswirkungen haben wird und wie groß dabei das Gesundheitsrisiko für den Patienten ist. Das Ergebnis beruht auf einer Vielzahl von Faktoren, dazu gehören: Diagnose, Laborwerte, Dosierung, Einnahmeintervalle, Applikationsart, Dauer der Medikamentenkombination oder weitere Medikamente, Alter und Gesundheitszustand des Patienten. Diese Informationen stehen dem Apotheker in den meisten Fällen nicht zur Verfügung – auch zukünftig wird er keinen Zugang haben.

Denn der Deutsche Apothekerverband (DAV) bestätigte [5], dass er mit der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung einen Kompromiss geschlossen hat, bei dem ein Diagnosefeld im sogenannten AMTS-Datensatz bei der elektronischen Gesundheitskarte nicht vorgesehen ist. Ohne dieses Wissen können Apotheker klinisch relevante Interaktionen allerdings nur stark eingeschränkt seriös einschätzen. Professionssoziologisch sind Apotheker bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneien in der öffentlichen Apotheke immer noch keine eigenständigen Heilberufler sondern ein Assistenzberuf des Arztes [6]. Den öffentlichen Apothekern fehlt nämlich ein eigenständiger heilberuflicher Bereich, für den sie alleinverantwortlich sind und nicht vom Arzt abhängen. Apotheker sollten sich daher überlegen, wie sie ihre heilberufliche Kompetenz definieren wollen, wenn künftig in allen Arztpraxen auf entsprechende Software, wie etwa die ABDA Datenbank, zugegriffen werden kann. Dem Arzt die von der Apotheken-Software ausgewählten Interaktionen vorzulesen, ist keine Tätigkeit eines Heilberuflers.

Allerdings gibt es schon verschiedene Projekte für konstruktive und sinnvolle Formen der Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker – so zum Bespiel in Nordrhein, wo hochspezialisierte Apotheker (sog. Consulting Pharmacists) Hausärzte etwa zu komplexen Fragen des Interaktionsmanagements beraten [7]:

  • Der Arzt übernimmt: Diagnosen, Labor, Arzneimitteltherapie, Prüfung der Indikationen, klinischen Werte, festgelegte Therapien

  • Consulting Pharmacists: AM-bezogene Risiko-Prüfungen, Beratungen des Arztes im Kontext der Umsetzung der vom Arzt/Krankenhaus geplanten oder bereits initiierten Arzneimitteltherapie

Hierbei bleibt die Entscheidung und die Therapieverantwortung allein beim Arzt – auch wenn er sich qualifiziert beraten lässt. Die spezialisierten Beratungsapotheker haben keinen Kontakt zum Patienten und beraten auf Basis von anonym übermittelten Angaben. Diese Beratung der Ärzte erfolgt außerdem ohne irgendeinen Bezug zu einer öffentlichen Apotheke. Anders als bei vielen schon existierenden Beratungs-Programmen, etwa von Krankenkassen oder Instituten, bleibt somit die Entscheidung und die Therapieverantwortung jederzeit vollständig unter ärztlicher Kontrolle.

Arten von Interaktionen

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) definiert Arzneimittelinteraktionen als eine Änderung entweder in der Pharmakodynamik und/oder Pharmakokinetik eines Wirkstoffs, die durch die zeitgleiche Einnahme eines anderen Arzneistoffs, durch Lebensmittel oder Genussmittel wie Tabak oder Alkohol hervorgerufen wird [2].

Pharmakokinetische Interaktionen verändern zum Beispiel die Bioverfügbarkeit eines Arzneistoffes. Hingegen verstärken oder schwächen pharmakodynamische Interaktionen die Wirkung des Arzneistoffes an seiner Zielstruktur. Kenntnisse von Resorption, Verteilung, Elimination sowie Metabolismus der verwendeten Arzneistoffe können vorhersagen, ob

  • die Wirkung beschleunigt oder verlangsamt eintritt,

  • die Wirkung sich verkürzt oder verlängert / verstärkt oder abschwächt.

Klinisch relevant werden diese Interaktionen allerdings erst, wenn sich die therapeutische Aktivität und/oder Toxizität eines Arzneistoffes in dem Maße verändert, dass die Dosis angepasst werden muss oder der Hausarzt medizinisch eingreifen muss.

Dazu zwei Beispiele:

  • Ein Patient nimmt gleichzeitig Clarithromycin und Verapamil. Während Clarithromycin das Isoenzym CYP3A4 hemmt, benötigt Verapamil es zur Metabolisierung. Die gleichzeitige Behandlung verursacht also einen CYP3A4-Mangel, was dazu führt, dass sich die Konzentration von Verapamil erhöht. Für viele Indikationen steht mit Amoxicillin eine interaktionsärmere Alternative zur Verfügung.

  • Sowohl Paroxetin als auch Metoprolol brauchen CYP2D6 und CYP3A4 zur Metabolisierung. Werden beide gleichzeitig verordnet, häuft sich Metoprolol an, da beide Stoffe bei der Metabolisierung konkurrieren und so ein CYP-Mangel die Verstoffwechselung von Metoprolol behindert. Alternativ könnte zum Beispiel Bisoprolol verordnet werden.

Literatur

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