Hausarzt MedizinZwangsstörungen: Die heimliche Krankheit

Zwangsstörungen werden sehr oft fehldiagnostiziert. Bei Vorliegen eines Verdachts empfiehlt es sich daher, mit gezielten Fragen und einem Screeningtest die Betroffenen zu identifizieren und zu einer Behandlung zu motivieren.

Zwangsstörungen zählen in Deutschland zu einer der vier häufigsten psychischen Erkrankungen (u.a. Wittchen und Jacobi, 2012) und gehen auf Grund der meist chronischen Verläufe mit schweren Beeinträchtigungen im Leben der Betroffenen einher. Neben Schwierigkeiten im sozialen Umfeld sind auch berufliche Probleme zu beobachten, und die Anzahl an Berufsunfähigkeitstagen auf Grund von Zwangsstörungen ist enorm (durchschnittlich 3,2 Tage in vier Wochen; Wittchen und Jacobi, 2012).

S3-Leitlinie Zwangsstörungen

Wirksam behandelt werden können Zwänge nach den geltenden S3-Leitlinien (Kordon et al., 2013) vor allem durch Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) mit Exposition und Reaktionsmanagement. 60 bis 70 Prozent der Betroffenen sprechen positiv auf diese Intervention an (u.a. Olatunji et al., 2013) und es sind auch langanhaltende Effekte über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren zu beobachten (Kordon et al., 2005). Für die Wirksamkeit von analytischer Psychotherapie und tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie hingegen gibt es keine Nachweise, so dass für diese Verfahren nach aktuellen Leitlinien keine Empfehlung gegeben werden kann.

Insbesondere im Falle komorbider depressiver Symptomatik und bei vorherrschenden Zwangsgedanken empfiehlt sich eine zusätzliche medikamentöse Therapie mit Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI). Dabei gelten die verschiedenen SSRI (Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin und Sertralin) als vergleichbar wirksam. Zu beachten ist jedoch, dass Citalopram in Deutschland nicht zur Behandlung von Zwangsstörungen zugelassen ist.

Die Wahl des SSRI sollte sich am Profil unerwünschter Wirkungen und möglicher Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten orientieren. Clomipramin gilt als vergleichbar wirksam wie SSRI, sollte aber auf Grund der stärkeren Nebenwirkungen nur als Mittel der 2. Wahl herangezogen werden (Kordon et al., 2013). Die Wirksamkeit von SSRI und Clomipramin im Vergleich zu Placebo ist mittlerweile durch eine Vielzahl von Studien gut untermauert. Allerdings ist zu beachten, dass die medikamentöse Behandlung von Zwängen in der Regel keine vollständige Remission der Symptomatik bewirkt.

Nur bei ausbleibendem oder unzureichendem Ansprechen auf eine leitliniengerechte Therapie mit SSRI/Clomipramin sollte – insbesondere bei komorbiden Tic-Störungen – als Augmentation eine zusätzliche Therapie mit Antipsychotika z.B. Risperidon, angeboten werden. Quetiapin ist aufgrund der inkonsistenten Datenlage zur Wirksamkeit mit Zurückhaltung einzusetzen. Bei Nicht-Ansprechen auf die Augmentation sollte nach spätestens sechs Wochen ein Absetzen der Antipsychotika erfolgen. Eine psychopharmakologische Monotherapie mit SSRI oder Clomipramin ist nach Leitlinien nur indiziert, wenn die Betroffenen KVT ablehnen oder aufgrund der Schwere der Zwangssymptomatik keine Psychotherapie durchführen können.

Auch zur Überbrückung von Wartezeiten auf einen Therapieplatz oder zur Steigerung der Bereitschaft von Patienten, sich auf eine verhaltenstherapeutische Behandlung einzulassen, kann zunächst eine vorübergehende Monotherapie mit SSRI oder Clomipramin erwogen werden. Im Verlauf sollte jedoch immer eine Kombination mit KVT angestrebt werden. Besonders wichtig erscheint die Kombination einer psychopharmakologischen Therapie mit KVT im Hinblick auf Rückfallprophylaxe. So gilt es als gesichert, dass eine begleitende KVT die Rückfallraten nach Absetzen der medikamentösen Behandlung reduziert.

Da etwa zwei Drittel aller Patienten mit Zwängen im Laufe ihres Lebens auch an einer depressiven Störung erkranken, wird man in der hausärztlichen Praxis bei Zwangssymptomen nicht selten auf eine komorbide Depression treffen. Hier empfehlen die Leitlinien ebenfalls, den Betroffenen eine leitliniengerechte kognitive Verhaltenstherapie mit Exposition und Reaktionsmanagement zukommen zu lassen. Ist die depressive Symptomatik stark ausgeprägt, sollte vor Anwendung der Expositionsbehandlung eine leitliniengerechte Behandlung der Depression erfolgen.

Massive Unterversorung

Trotz der massiven psychosozialen Folgen, der hohen Chronifizierungsraten und der bestehenden effektiven Behandlungsmöglichkeiten erhalten in Deutschland weniger als die Hälfte der Betroffenen eine entsprechende Therapie, was eine unzureichende Versorgungssituation aufzeigt (Vorderholzer et al. 2014).

Die Gründe für die Unterversorgung von Zwangsstörungen sind vielfältig: Betroffene suchen aus Scham und Verheimlichungstendenzen durchschnittlich erst nach 7,5 Jahren erstmals professionelle Hilfe auf, wobei dies meist auf Grund von komorbiden Störungen geschieht. Darüber hinaus kommt es auch in fachärztlichen Praxen nach einer Studie von Wahl und Kollegen (2010) bei 70 Prozent zu einer Fehldiagnose, was auf die fehlende Ausbildung vieler Ärzte und Therapeuten in diesem Bereich zurückzuführen ist. Gerade hausärztliche Praxen könnten dabei eine wichtige Schnittstelle in der Versorgung erfüllen, um Zwangsstörungen früher zu erkennen und zu behandeln.

Zwangspatienten sind häufig psychisch deutlich belastet und zeigen im Kontakt viele Anzeichen einer Depression, erhöhte Angst, Anspannung und Verzweiflung. Zusätzlich sind auch dermatologische und neurologische Komorbiditäten zu beobachten: Durch das exzessive Händewaschen bei Waschzwängen entstehen häufig trockene und rissige Hände bis hin zu Hautekzemen (Koo und Smith, 1991), auch Hautschädigungen durch exzessives Aufkratzen können auf eine Zwangssymptomatik hinweisen.

Bei Vorliegen eines Verdachts empfiehlt sich das direkte und gezeilte Abfragen möglicher Symptome, da es vielen Betroffenen schwer fällt, über die als peinlich erlebten Symptome zu sprechen. Dabei können einfache Screeningfragen eingesetzt werden (Tab. 1). Während Betroffene nur selten gezielt auf Grund ihrer Zwangssymptome professionelle Hilfe aufsuchen, zählen sie im allgemeinen Versorgungssystem zu den „high utilizers“.

Wittchen und Kollegen (2012) zeigen auf, dass Betroffene mit Zwangsstörungen durchschnittlich 18,8 mal in zwölf Monaten einen Arzt aufsuchen (Personen ohne psychische Störung: 6,9 mal), wobei eine Vielzahl auf Allgemeinarztpraxen fällt. Gerade an dieser Stelle ist es notwendig, bessere Diagnosemöglichkeiten zu schaffen, um Betroffene frühzeitig zu identifizieren und in fachärztliche Behandlung zu überweisen.

Literatur beim Verfasser

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