Hausarzt MedizinVorsicht Gehirnerschütterung!

Die Gehirnerschütterung ist eine häufige Verletzung, die langfristige Folgen haben kann. Allerdings wird sie oft nicht erkannt. Was muss der Hausarzt wissen?

Eine Gehirnerschütterung kann gerade im Sport, aber auch in der Freizeit und im Arbeitsleben jederzeit eintreten. Ihre Häufigkeit nimmt deutlich zu, mittlerweile sind im Sport 10 bis 20 Prozent aller Verletzungen Gehirnerschütterungen [2, 3]. Die Dunkelziffer nicht erkannter Verletzungen ist jedoch mit 40 bis 50 Prozent hoch [5]. Denn die häufig für die Diagnose geforderte Voraussetzung, die klassische Trias Bewusstseinsverlust, Amnesie und Erbrechen, liegt nur in 10 bis 20 Prozent der Fälle vor [1, 8].

Definition

Nach der aktuellen internationalen Konsensuskonferenz wird die Gehirnerschütterung als neurologische Funktionsstörung des Gehirns infolge einer direkten oder indirekten Gewalteinwirkung gegen den Kopf mit oder ohne Verletzung des Gehirns definiert [7]. Es resultiert typischerweise eine rasche, kurze Beeinträchtigung neurologischer Funktionen, die sich spontan wieder bessern.

Eine sofortige ärztliche Evaluation ist bei Vorliegen der Red-Flag-Symptome notwendig (Tab. 1). Leitliniengerecht erfolgt eine computertomographische Diagnostik zum Ausschluss einer strukturellen Hirnschädigung [4], die in weniger als ein Prozent beobachtet wird. Diese Diagnostik erfolgt typischerweise akut im Krankenhaus.

Individuelle Symptomatik

Die Art der neurologischen Funktionsstörung hängt vom Unfallmechanismus und vor allem von der Richtung der einwirkenden Kräfte ab. Dementsprechend können unterschiedliche Gehirnregionen durch den "Schüttelmechanismus" betroffen sein, was sich letztlich in der sehr individuellen Symptomatik und Erholungsphase äußert. Für die Akuteinschätzung steht eine international etablierte Taschenkarte zur Verfügung, die von der Initiative "Schütz Deinen Kopf" der "ZNS – Hannelore Kohl Stiftung" zur Verfügung gestellt werden kann www.schuetzdeinenkopf.de. Der beobachtete Symptomkomplex ist vielfältig und beinhaltet klinische und neurokognitive Symptome sowie Verhaltens- und Schlafveränderungen (Abb. 1).

Am häufigsten (über 70 Prozent) werden akut Kopfschmerzen und Schwindel angegeben, aber auch Licht- und Lärmempfindlichkeit, Sehstörungen, Gleichgewichtsstörungen, Konzentrations- und Erinnerungsschwierigkeiten sowie Schlafstörungen im weiteren Verlauf.

Regelhaft kommt es innerhalb kurzer Zeit zur vollständigen subjektiven Symptomerholung, bei der sich die klinischen Symptome schneller erholen als die neurokognitiven Einschränkungen. In 85 Prozent der Fälle besteht vollständige Symptomfreiheit nach einer Woche und in 97 Prozent nach einem Monat [6]. Eine komplette Symptomerholung erfolgt typischerweise spätestens innerhalb von 3 bis 12 Monaten. Trotzdem werden auch nach einem Jahr noch bei 15 Prozent der Patienten relevante, aber unspezifische Symptome, überwiegend Kopfschmerzen und Bewegungsstörungen, angegeben.

Maßnahmen und Empfehlungen

Die Therapie der Gehirnerschütterung umfasst die primäre Reduktion körperlicher und geistiger Belastungen und die daran anschließende stufenweise Wiederaufnahme dieser Belastungen.

Das Einhalten von Ruhe in der (sub-)akuten Phase umfasst körperliche Aktivitäten (z. B. Erledigen von Haushaltsarbeiten oder Fitnessübungen) und auch geistige Aktivitäten wie Lesen, Fernsehen oder Videospiele. Eine Beratung hierüber kann die Erholungsphase verkürzen!

Das konsequente Liegen über längere Zeit in einem abgedunkelten Raum ist nicht nötig. Leichte körperliche Belastung oder geistige Aktivität können den Heilungsprozess sogar verbessern. Auf ausreichend Schlaf ist zu achten. Es ist jede Aktivität erlaubt, die nicht zu einer Symptomverschlechterung oder dem Auftreten neuer Symptome führt.

Das Führen von Fahrzeugen sollte erst erlaubt werden, wenn Sehstörungen, Konzentrationsstörungen und eine verminderte Reaktionszeit nicht mehr vorliegen.

Eine medikamentöse Therapie kann symptomabhängig erfolgen. Schmerzmittel können bei Kopfschmerzen sinnvoll sein, können aber eine Chronifizierung der Schmerzen bewirken. Entsprechend sollte additiv über eine Anpassung des Lebensstils beraten werden. Andere Behandlungen wie Krankengymnastik oder Massage können im Einzelfall eine zusätzliche Erleichterung bringen.

Bei längerfristigem Vorliegen von Schwindel und Gleichgewichtsstörungen ist frühzeitig eine HNO-ärztliche Mitbehandlung anzudenken und ggf. eine vestibuläre Rehabilitationsmaßnahme einzuleiten.

Bewegung und Sport sind sehr wichtig, da die Erholung dadurch verbessert werden kann. Leichte aerobe Übungen wie Nordic Walking können stufenweise gesteigert werden. Entsprechende Konzepte sind etabliert.

Der Patient ist dahingehend zu beraten, alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um eine weitere Gehirnerschütterung in dieser Heilungsphase zu vermeiden. Ein zusätzliches Gehirntrauma während dieser Zeit kann die Symptome verschlimmern und die Heilungsphase verlängern.

An Hormonstörungen denken

Gehirnerschütterungen können mechanismusbedingt Schädigungen der Hypophyse bewirken mit resultierenden hormonellen Funktionsstörungen. Diese treten bei bis zu 20 Prozent der Betroffenen im ersten Jahr, auch bei Kindern, auf [9]. Neben den typischen von der Art des Hormons abhängigen Konsequenzen können auch unspezifische neurokognitive Probleme hormonell bedingt sein. Eine endokrinologische Abklärung und Behandlung sollte deshalb im Einzelfall in Erwägung gezogen werden, wenn über einen längeren Zeitraum depressive Symptome, Müdigkeit, Lethargie und Apathie, Angstsymptome, eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit und Konzentrationsstörungen vorliegen.

Prognose

Verschiedene Risikofaktoren können den klinischen Verlauf negativ beeinflussen [6]. Verstärkte Symptome werden bei Mädchen/Frauen sowie bei initial retrograder bzw. antegrader Amnesie gesehen. Eine verzögerte Erholung ist ebenfalls mit dem weiblichen Geschlecht, dem Vorliegen einer Amnesie, vorbestehenden hirnfunktionellen Störungen und einer zu frühen postkontusionellen körperlichen und geistigen Belastung assoziiert. Vorbestehende Angstzustände und/oder Depressionen, Lernstörungen oder Migräne können zu vermehrter Müdigkeit führen und eine Verstärkung der jeweiligen Symptome bedingen und somit die neurokognitive Erholung verzögern.

Auch die Art der primären Symptomatik kann den Verlauf negativ beeinflussen. Eine prolongierte Erholungsphase wurde bei primär vorhandenen erheblichen Kopfschmerzen, Schwäche/Müdigkeit sowie einer pathologischen neurologischen Untersuchung beobachtet.

Relevant ist die inverse Beziehung zwischen Patientenalter und Dauer von Gehirnerschütterungssymptomen, so dass gerade bei Kindern von einer längeren Erholungszeit auszugehen ist.

Fazit

  • Die Gehirnerschütterung ist eine häufig noch unterschätzte Verletzung.

  • Die Symptomatik umfasst neben den klassischen klinischen Symptomen auch neurokognitive Symptome sowie Verhaltens- und Schlafveränderungen.

  • Die subakute Einschätzung kann anhand einer Taschenkarte erfolgen.

  • Eine Symptomerholung erfolgt bei über 85 Prozent der Patienten regelhaft innerhalb von einer Woche.

  • Prolongierte Verläufe kommen vor, die bekannten Risikofaktoren sollten berücksichtigt werden.

  • Eine gestaffelte, ggf. ärztlich überwachte Wiederaufnahme der geistigen und körperlichen Aktivität wird empfohlen.

  • Kinder sind für einen protrahierten Verlauf besonders gefährdet.

Literatur

  • 1 Benson, B, Meeuwisse, W, Rizos, J, Kang, J and Burke, C, A prospective study of concussions among National Hockey League players during regular season games: the NHLNHLPA Concussion Program. CMAJ, 2011. 183: p. 905-911.

  • 2 Castille, L, Collins, C, Mcllvain, N and Comstock, R, The epidemiology of new versus recurrent sports concussions among high school athletes, 2005–2010. Br J Sports Med, 2012. 46: p. 603-610.

  • 3 Comstock, R, 5th Annual Youth Sports Safety Summit. 2014.

  • 4 DGN, Leitlinie Leichtes Schädel-Hirn-Trauma. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, 4. überarbeitete Auflage, ISBN 978-3-13-132414-6; Georg Thieme Verlag Stuttgart 2008; 654 ff. 2008.

  • 5 Gänsslen, A, Schmehl, I, Klein, W and Rickels, E, Handlungsempfehlung – Gehirnerschu¨tterung im Sport. Trauma Berufskrankh, 2016. 18: Suppl 4: p. 326-331.

  • 6 McCrea, M, Mild traumatic brain injury and postconcussion syndrome. Oxford: Oxford University Press, 2008.

  • 7 McCrory, P, Meeuwisse, W, Aubry, M, Cantu, B, Dvorák, J, Echemendia, R, Engebretsen, L, Johnston, K, Kutcher, J, Raftery, M, Sills, A, Benson, B, Davis, G, Ellenbogen, R, Guskiewicz, K, Herring, S, Iverson, G, Jordan, B, Kissick, J, McCrea, M, McIntosh, A, Maddocks, D, Makdissi, M, Purcell, L, Putukian, M, Schneider, K, Tator, C, and Turner, M, Consensus statement on concussion in sport: the 4th International Conference on Concussion in Sport held in Zurich, November 2012. Br J Sports Med, 2013. 47: p. 250-258.

  • 8 Meehan, Wr, d’Hemecourt, P and Comstock, R, High school concussions in the 2008-2009 academic year: mechanism, symptoms, and management. Am J Sports Med, 2010. 38: p. 2405-2409.

  • 9 Scranton, R and Baskin, D, Impaired Pituitary Axes Following Traumatic Brain Injury. J Clin Med, 2015. 4: p. 1463-1479.

Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

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