Das Medizinportal Medscape hat zwischen Ende Juni und Anfang September 2019 eine nicht repräsentative Online-Umfrage unter seinen Lesern durchgeführt. Das Thema: Sexuelle Belästigung in Kliniken und Praxen. Unter den 1.055 Teilnehmern waren vor allem Ärzte, knapp ein Fünftel davon Assistenzärzte.
Jede siebte Ärztin (13 Prozent) und einer von 25 Ärzten (4 Prozent) gab an, in den letzten drei Jahren von einem anderen Mitarbeiter, zum Beispiel einem Arzt-Kollegen, dem medizinischen Personal oder einem Verwaltungsangestellten, sexuell belästigt worden zu sein. Fast jeder vierte Mediziner und mehr als ein Drittel des Pflegepersonals berichteten zudem von sexuellen Übergriffen durch Patienten.
Gesundheitsbereich besonders betroffen
Damit decken sich die Ergebnisse des Medscape-Reports mit den Erkenntnissen einer kürzlich veröffentlichten Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS): Darin hatte jede siebte erwerbstätige Frau (13 Prozent) und jeder zwanzigste Mann (5 Prozent) von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz berichtet. Am stärksten betroffen: der Bereich Gesundheits- und Sozialwesen.
„Ich finde es gut, dass es für Deutschland jetzt endlich einmal Zahlen zu sexuellen Belästigungen von Ärzten und Ärztinnen gibt“, kommentiert die Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB) Dr. Christiane Groß den Medscape-Report. „Als Arzt oder Ärztin ist man, was sexuelle Übergriffe angeht, mehr gefährdet als in manch anderen Berufen – nicht nur von Kollegen, sondern auch von Patienten und Patientinnen, weil wir körperlich viel näher an den Menschen dran sind.“
Auch Patientenversorgung leidet
Knapp die Hälfte der Betroffenen fühlte sich nach dem Übergriff verletzt oder sehr verletzt. Vier von zehn Medizinern (39 Prozent) gaben an, dass das Erlebte sie stark im Berufsalltag beeinträchtigt hat, fast ein Viertel (23 Prozent) kündigte nach dem Übergriff. Bemerkenswert: Trotz dieser erheblichen Auswirkungen haben drei von vier Betroffenen den Täter nicht gemeldet.
Die Mehrheit der Befragten war sich einig einig: Sexuelle Belästigungen wirken sich am Ende negativ auf die Qualität der Patientenversorgung aus.
Was Betroffene empfehlen
Unbedingt mit Kollegen, dem Vorgesetzten oder dem Betriebsrat reden und den Vorfall melden – das rät die Mehrzahl der Befragten ihren betroffenen Kolleginnen und Kollegen. Ein konkreter Vorschlag lautete: „Dem Aggressor sollte man verbal unmissverständlich klarmachen, dass man diese Belästigung nicht möchte. Wenn erforderlich auch körperlich Gegenwehr leisten. Falls dieses Vorgehen nicht sofort zur Beendigung dieses Verhaltens führt, sollte man Zeugen oder Dritte zu Hilfe rufen. Damit eine eventuelle polizeiliche Anzeige auch Erfolg hat.“
„Jeder hat eine andere Schwelle, an der für ihn sexuelle Belästigung beginnt“, räumt Groß im Gespräch mit Medscape ein. „Wenn man aber selbst das Gefühl hat, es handelt sich um einen Übergriff, sollte man diesen Eindruck ernst nehmen und mit einer Vertrauensperson darüber sprechen“, so der Ratschlag der DÄB-Präsidentin.
Quellen:
Medscape-Report „Sexuelle Belästigung unter Ärzten, Pflegepersonal und Patienten“, Medscape Deutschland, veröffentlicht: 12.11.2019. https://hausarzt.link/gPmbw
Studie “Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz – Lösungsstrategien und Maßnahmen zur Intervention”, Antidiskriminierungsstelle des Bundes, veröffentlicht: 25.10.2019. https://hausarzt.link/rtzrz