Serie Teil 1Mammographie-Screening – Segen oder Fluch?

Früherkennungsuntersuchungen können Leben retten. Aber wie ist eigentlich das Verhältnis von Nutzen und Schaden? In einer mehrteiligen Serie über häufige Screening-Untersuchungen geht unser Autor Dr. Alfred Haug dieser Frage nach.

Ca. 2,8 Millionen Frauen nehmen jährlich am Mammographie-Screening teil.

Seit 2009 gibt es in Deutschland ein flächendeckend umgesetztes Mammographie-Screening, zu dem alle Frauen zwischen 50 und 69 Jahren alle zwei Jahre eingeladen werden. Erklärtes Ziel ist es, Brustkrebs bei Frauen früher zu diagnostizieren und Todesfälle durch diese häufige Erkrankung zu reduzieren. An der Untersuchung nehmen jährlich ca. 2,8 Millionen, also gut die Hälfte der angeschriebenen Frauen teil – zuletzt mit leicht rückläufiger Tendenz.

Wie entscheiden die eingeladenen Frauen?

Seit 2010 erhalten die eingeladenen Frauen eine detaillierte Broschüre (“Entscheidungshilfe”), die Nutzen und Risiken des Mammographie-Screenings differenziert darlegt. Für die Entscheidung für oder gegen die Untersuchung spielt sie jedoch kaum eine Rolle, wie eine Untersuchung belegt. Entscheidenden Einfluss nehmen vielmehr Erfahrungen mit Brustkrebs im persönlichen Umfeld der Frauen (26 Prozent der Nennungen) und die Empfehlung durch den (Frauen-)Arzt (48 Prozent). Das Gespräch mit dem Arzt ist also auch weiterhin entscheidend dafür, ob eine Frau am Mammographie-Screening teilnimmt oder nicht. Die Empfehlung des Arztes hängt wiederum von seinem Kenntnisstand über Nutzen und Risiken dieser Untersuchung ab (Abb. 1).

Der Psychologe Gerd Gigerenzer beschreibt Nutzen und Risiken plastisch in seinem lesenswerten Buch “Risiko”, aus dem einige der folgenden Beispiele stammen.

Mammographie-Screening: Tatsächlicher Nutzen?

Wahrscheinlichkeitsrechnungen, insbesondere wenn sie in Prozent dargestellt werden, verwirren viele Menschen. Deswegen ist es sinnvoll, von natürlichen Häufigkeiten auszugehen. Die Faktenboxen des Harding-Zentrums für Risikokompetenz beruhen im Wesentlichen auf systematischen Reviews der Cochrane Collaboration und bilden damit die beste verfügbare medizinische Evidenz ab. Sie geben eine klare Übersicht über das Problem (Abb. 2).

Hier ist zu sehen, dass ohne Mammographie-Screening 5 von 1.000 Frauen an Brustkrebs sterben, mit Mammographie-Screening 4 von 1.000. Das Mammographie-Screening “rettet” also 1 von 1.000 Frauen – gleichbedeutend mit einer relativen Reduktion der Mortalität um 20 Prozent. Allerdings wird die Gesamtkrebssterblichkeit in dieser Gruppe mit 22 von 1.000 Frauen dadurch nicht reduziert; über die Ursachen darf spekuliert werden.

Testergebnisse richtig interpretieren

Screening-Untersuchungen wie das Mammographie-Screening versuchen wie mit einem Schleppnetz möglichst viele verdächtige Befunde zu erfassen. Dabei gibt die Sensitivität (Empfindlichkeit) eines Tests den Prozentsatz von Individuen an, bei denen die Krankheit – bei positivem Testbefund – tatsächlich zutreffend festgestellt wurde, was man auch “Trefferquote” oder Richtig-positiv-Rate nennt. Die Spezifität gibt an, bei welchem Anteil von Personen ohne Erkrankung der Test auch tatsächlich negativ ausfällt = Richtig-negativ-Rate (Schutz vor Fehldiagnosen). Jeder Test kann also vier Ergebnisse haben (Abb. 3).

Positiver Mammographie-Befund ist gleich Brustkrebs?

Bei einmaliger Mammographie haben nach Angaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) 30 von 1.000 Frauen einen positiven Befund, von denen sich dann sechs als Brustkrebs herausstellen und 24 als harmlos (falsch-positive Befunde, Abb. 4). Die Trefferquote liegt also bei 1:5 oder 20 Prozent (= positiver Vorhersagewert).

Mammographie-Screening kann schaden

Womit wir beim Schaden des Mammographie-Screenings wären, den insbesondere die falsch-positiv getesteten Frauen haben: Oft jahrelange, tiefgreifende Verunsicherung und überflüssige diagnostische Prozeduren wie Ultraschall, Biopsien bis hin zu überflüssigen Operationen sind die Folge. Wie in der Faktenbox dargestellt, finden sich bei 1.000 Frauen, die elf Jahre lang regelmäßig zum Mammographie-Screening gingen, 100 Frauen mit positivem Mammographie-Befund. Bei fünf Frauen mit nicht fortschreitendem Brustkrebs wurde die Brustdrüse unnötigerweise teilweise oder vollständig operativ entfernt (Abb. 2). Auch die Strahlenbelastung sollte nicht unterschätzt werden und führt in Deutschland bei regelmäßiger Mammographie-Teilnahme bei etwa 7 von 100.000 Frauen selbst zu Brustkrebs.

Fazit

  • Auch zehn Jahre nach seiner flächendeckenden Einführung in Deutschland und trotz einer mit ca. 50 Prozent der eingeladenen Frauen guten Beteiligung bleibt das Mammographie-Screening fragwürdig.
  • Entscheidend ist für die meisten Frauen, die unentschlossen sind, weiterhin der Rat ihres Arztes.
  • Hausärzte sollten Nutzen und Risiken kritisch bewerten und ihren Patientinnen vermitteln können, damit diese eine fundierte eigene Entscheidung fällen können.

Literatur beim Verfasser.

Mögliche Interessenskonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

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