Off-Label-Use in der Versorgung häufig
Etwa die Hälfte der Arzneimittelanwendungen in der palliativmedizinischen Versorgung erfolgt außerhalb der gesetzlichen Zulassung. Das zeigt eine Studie aus München, in der alle Arzneimittel, die im Oktober 2017 auf der Palliativstation der Klinik der Universität München verabreicht wurden, qualitativ und quantitativ erfasst und anschließend unter anderem mit den Empfehlungen der S3-Leitlinie Palliativmedizin verglichen wurden.
In dem Zeitraum wurden 87 Arzneistoffe mit 2.035 Anwendungstagen an 228 Patiententagen verordnet. 56 Prozent (n=1133) waren Off-label. Davon betrafen 58 Prozent die Indikation, 33 Prozent bzw. 8 Prozent den Applikationsmodus bzw. -weg, 17 Prozent bzw. 6 Prozent die Dosis bzw. das -intervall und 3 Prozent die Anwendungsdauer. Dabei wurden die Anwendungen häufig auch kombiniert.
An oberster Stelle der außerhalb der Zulassung angewendeten Substanzklassen rangierten Opioide und Antipsychotika mit je 89 Prozent sowie Antidepressiva mit 80 Prozent, gefolgt von Antiemetika (74 Prozent), Benzodiazepinen (69 Prozent) und Nicht-Opioid-Analagetika (60 Prozent). Für ein Drittel der Medikamente ist der Off-Label-Use auch in der S3-Leitlinie bzw. weiteren Literatur beschrieben. Als nächster Schritt sollte untersucht werden, ob der häufige nicht zulassungskonforme Gebrauch gut begründet ist, folgern die Autoren der Studie. Die eigene Praxis des Off-Label-Use sei hinsichtlich der Notwendigkeit und Sicherheit der Anwendung regelmäßig zu hinterfragen.
S3-Leitlinie Palliativmedizin: Angstzustände ernst nehmen
Angst ist ein häufiges Phänomen bei palliativen Patienten. Sie kann subsyndromal auftreten, also ohne die Kriterien für eine Angststörung zu erfüllen. Oder sie kann spezifisch sein, d.h. durch die Erkrankungssituation und Begleiterscheinungen ausgelöst. Spezifische Ängste können situativ, organisch oder existenziell sein.
Zu den situativen Ängsten zählen etwa die Furcht vor Chemotherapien, vor Symptomen oder die Sorge um die eigene Existenz und das Wohlbefinden der Angehörigen. Bei den organisch geprägten Angstzuständen können somatische Faktoren, metabolische Störungen wie Hyperkaliämie oder Hypoglykämie, sowie Medikamente wie Steroide, Opioide und Antiemetika oder auch Entzugserscheinungen Auslöser sein.
Existenziell bedrohlich ist die Angst vor der Endlichkeit, dem Tod oder der Isolation. Angstzustände gilt es zu erfassen und in Abhängigkeit von der Symptomlast und dem subjektiven Leid zu behandeln und regelmäßig aktiv zu überprüfen. Psychiatrische Vorerkrankungen sollten ebenso wie die Angst der Angehörigen beachtet werden. Als nicht medikamentöse Maßnahmen gibt die Leitlinie an, die Patienten emphatisch zu begleiten, ihre Ängste ernst zu nehmen und für entsprechende Anzeichen sensibilisiert zu sein.
Die Behandelnden sollten den Betroffenen Sicherheit und Vertrauen geben und angstauslösende Impulse möglichst vermeiden. Orientiert an den individuellen Patientenbedürfnissen kommen Psychotherapie, sozialarbeiterische und andere Verfahren wie Kunst-, Musik- oder Atemtherapie als spezifische nicht-medikamentöse Maßnahmen in Frage. Bleiben damit Erfolge aus, kann eine anxiolytische Therapie erfolgen – etwa mit kurzwirksamen oder in der akuten Panikattacke schnellwirksamen Benzo- diazepinen oder anderen Anxiolytika wie SSRI, SNRI oder Antipsychotika.
Geriatrische Patienten in der Palliativmedizin
Demenz und Delir sind vor allem bei alten Menschen häufige Zustände, die angesichts der demografischen Entwicklung auch die Palliativmedizin vor Probleme stellen. Demenz nimmt exponentiell zu und betrifft ab dem 85. bzw. 90. Lebensjahr jeden vierten bzw. dritten Einwohner. Ein zusätzliches Problem ist, dass viele ältere Menschen allein wohnen und familiäre Pflegepotenziale fehlen. Für diese Patienten gibt es kaum Alternativen zur vollstationären Pflege.
Das Delir betrifft bis zu 50 Prozent aller geriatrischen Patienten. Jeder fünfte erleidet während eines Klinikaufenthaltes ein Delir. In 30-60 Prozent der Fälle wird es nicht diagnostiziert – vor allem bei hypoaktiver Ausprägung, die still verläuft und durch Passivität, Antriebsminderung und reduzierten Redefluss gekennzeichnet ist. Das hyperaktive Delir dagegen ist charakterisiert durch psychomotorische Unruhe, erhöhte Reizempfindlichkeit, Aggressivität, Halluzinationen oder vegetative Begleitreaktionen.
Die Auslöser sind vielfältig und reichen von medikamentösen Ursachen (Anticholinergika) über invasive Maßnahmen (Operation), Stoffwechselentgleisungen und Mangelernährung bis zu nicht kompensierten Seh- oder Hörstörungen und Reizüberflutung. Im Vordergrund stehen präventive Maßnahmen wie Reorientierungsmaßnahmen, Förderung der Eigenständigkeit, Mobilität und Aktivitäten des täglichen Lebens, klar strukturierte Tagesabläufe und vertraute Bezugspersonen sowie Überwachung auch der Ernährung und des Flüssigkeitshaushalts. Medikamentöse Optionen bestehen in Risperidon (etwa 0,25-1,0 mg bis 2x täglich) oder Haloperidol (0,5-1,0 mg 2-4x täglich).
Cannabis: Wo bleibt die Evidenz?
Der Gebrauch an medizinischem Cannabis hat in den vergangenen 3-4 Jahren erheblich zugenommen. Pathophysiologisch und pharmakologisch macht Cannabis durchaus Sinn – die Evidenz aber ist inkonsistent. Einer Metaanalyse von 15 Studien zufolge (davon elf vom Hersteller gesponsert) bescheinigt der Behandlung eine Schmerzlinderung von 30 Prozent gegenüber Plazebo und eine entsprechende Number-Needed-To-Treat (NNT) von 10 sowie eine allgemeine Verbesserung.
Relevante Nebenwirkungen wie zentralnervöse oder psychiatrische Störungen können gehäuft auftreten, bleiben aber meist transient und nicht schwerwiegend. Verwendet wurde überwiegend THC/CBD-Spray, sowie (teil-)synthetisches Cannabis und Medizinalhanf – jeweils zusätzlich zu einer bestehenden Medikation. Bei refraktären, moderaten neuropathischen Schmerzen kann medizinisches Marihuana über eine Dauer von maximal fünf Tagen mit einer Verbesserung assoziiert sein. Dabei erscheint eine Dosis von mehr als 34 mg THC pro Tag nicht sinnvoll.
Empfohlen wird Cannabis als Drittlinientherapie nach Versagen etablierter Optionen.Bei Tumorschmerzen zeigt sich ein Trend zur Besserung von Schmerzzuständen und Lebensqualität, jedoch kein Einfluss auf die Kalorienaufnahme und auf Schlafstörungen. Bei chronischen Schmerzen liegen überwiegend Belege für eine leichte Reduktion vor, nicht aber für einen substanziellen Effekt auf die Symptomatik. Inkonsistent sind auch die Ergebnisse hinsichtlich gastrointestinaler, neuroinflammatorischer, neurologischer und psychischer Erkrankungen.