Palliative Sedierung“Mehr Köpfe, mehr Augen, mehr Schultern”

Die palliative Sedierung kann unheilbar kranken Menschen mit therapierefraktären Beschwerden einen Sterbeprozess ohne Leid ermöglichen. Dr. med. Daniel Stanze erklärt, was es für Hausärzte zu beachten gibt und warum die Entscheidung im Team geschultert werden sollte.

Eine palliative Sedierung ist aufwändig, sagt Dr. Daniel Stanze.

Ziel einer palliativen Sedierung ist es, mit bewusstseinsdämpfenden Medikamenten eine Leidenslinderung zu erreichen. Wann sollten Hausärzte diese Maßnahme ins Auge fassen?

Dr. Daniel Stanze: Die palliative Sedierung ist indiziert, wenn sich das Leid eines sterbenden oder unheilbar kranken Patienten trotz optimaler Behandlung nicht oder nicht ausreichend lindern lässt. Sei es Schmerzen, Luftnot, unstillbare Übelkeit oder seelisches Leid, das wir in der letzten Lebensphase nicht unterschätzen sollten. Jedoch ist die palliative Sedierung nichts, was der Arzt mal so nebenbei macht. Einem Menschen aktiv das Bewusstsein zu nehmen, ist ein einschneidender Schritt. An diesem Punkt sollten wir nicht plötzlich und auf die Schnelle agieren.

Welches Vorgehen ist stattdessen angezeigt?

Ich rate grundsätzlich dazu, Kontakt zu erfahrenen Palliativmedizinern aufzunehmen. Eine palliative Sedierung ist aufwändig. Ist der Patient noch kontaktfähig, müssen wir seine Wünsche, Ängste und Vorstellungen eruieren. Wir müssen die Angehörigen und einen eventuell beteiligten Pflegedienst mit einbeziehen. Weil wir Leid lindern, nicht aber den Tod herbeiführen möchten, ist Proportionalität gefragt – also so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig an Medikamenten zu geben. Das erfordert ein entsprechendes Monitoring.

Gerade in der Anfangszeit sollte die Medikamentengabe engmaschig überwacht werden, laut Leitlinie der EAPC (s. Link-Tipp) etwa alle 20 Minuten. Im Verlauf sollte der Behandler mindestens dreimal täglich schauen, wie es dem Patienten und der Familie geht. Ich höre von vielen hausärztlichen Kollegen, dass sie das in ihrem Alltag nicht leisten können. Jedoch können sie die Indikation stellen und Kontakt zu einem SAPV-Team – einem ambulanten Palliativteam – aufnehmen. Alternativ erfolgt die Umsetzung auf einer Palliativstation. Dies gilt es individuell zu entscheiden.

Hausärzte sind oft in der allgemeinen Palliativversorgung engagiert, viele arbeiten auch in SAPV-Teams. Wie arbeiten Sie mit Hausärzten zusammen?

Viele Hausärzte vor Ort kontaktieren uns. Entweder, weil Patienten eine intensivere palliativmedizinische Betreuung brauchen oder einfach, weil sie Fragen haben. Das Palliativteam kann auch erstmal zu einem Beratungsgespräch dazukommen und die Patienten weiter betreuen, sobald das notwendig wird – im Rahmen einer Vollversorgung oder

einer additiven Teilversorgung. Palliativmediziner und Hausärzte sind dann gefragt, miteinander in Kommunikation zu bleiben; meist funktioniert das sehr gut. In der ambulanten Palliativmedizin sind Kooperation und Vernetzung grundsätzlich wichtig. Zum Beispiel kann es manchmal notwendig werden, einen Seelsorger, einen Psychologen oder Psychiater dazu zu holen. Ich finde es gut, wenn man frühzeitig erkennt, dass etwas die eigene Expertise übersteigt und jemanden anderen hinzuzieht, sodass man aufeinander aufbauen kann. Es ist auch sinnvoll, als multiprofessionelles Team und vielschichtig an das Ganze heranzugehen. Zur palliativen Sedierung hat jeder seine eigene Meinung, auch innerhalb eines Palliativteams wird viel diskutiert.

Und wie reagieren die Angehörigen in der Regel?

Die Reaktionen können von Erleichterung bis hin zu Bestürzung gehen. Auch bei einer leichten Sedierung kann es sein, dass der Patient nicht mehr imstande ist, klare Gespräche zu führen. Plötzlich wollen Angehörige dann noch etwas mit ihm besprechen oder haben das Gefühl, sich gar nicht mehr richtig verabschieden zu können. Natürlich können wir Patienten bei einer intermittierenden Sedierung wieder aufwachen lassen, aber auch dabei können die Medikamente das Bewusstsein beeinflussen. Es liegt in unserer Verantwortung, das den Angehörigen und soweit möglich auch den betroffenen Patienten vorher mitzuteilen. Im Verlauf der palliativen Sedierung ist eine kontinuierliche Betreuung der Angehörigen wichtig. Ihr Leben geht weiter und eventuell müssen sie auch mit inneren Konflikten weiterleben. Dem kann durch eine einfühlsame und enge Begleitung durchaus vorgebeugt werden.

Womit wir bei der Aufklärung sind. Was sollten Ärzte dabei ansprechen?

Es ist wichtig, den Unterschied hervorzuheben zwischen den umgangssprachlich oft verwendeten Begriffen der indirekten Sterbehilfe im Rahmen der Sterbebegleitung und der aktiven Sterbehilfe – dieses Wissen können wir bei den Angehörigen nicht voraussetzen. “Aktive Sterbehilfe” ist mit der rechtlichen Bezeichnung der Tötung auf Verlangen zu vergleichen. Hiervon unterscheidet sich die palliative Sedierung grundsätzlich in der Intentionalität. “Indirekte Sterbehilfe” entspricht dem Ausdruck der Inkaufnahme einer Lebensverkürzung durch medikamentöse Maßnahmen zur Leidenslinderung.

Immer ein Thema ist auch Essen und Trinken. Auch dazu gibt es unterschiedliche Ansichten. Bei einer tiefen und kontinuierlichen Sedierung – wenn wir ohnehin davon ausgehen, dass der Mensch nur noch wenige Tage zu leben hat – sind künstliche Gaben von Flüssigkeit oder Ernährung nicht mehr sinnvoll, sondern können sogar Probleme hervorrufen. Das muss man erklären und besprechen – wenn möglich mit dem Patienten, ansonsten mit der Familie oder einem Vorsorgebevollmächtigten. Im besten Fall haben die Menschen schon Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung erstellt. Wenn nicht, können wir nur nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, in ihrem Sinne zu handeln und ihren Willen gemeinsam mit den Angehörigen zu eruieren. Und all das sollte man auch gut aufschreiben. Dokumentation ist wichtig und zeugt von Seriosität.

Sie erwähnten die intermittierende Sedierung. Bei einer palliativen Sedierung unterscheiden wir zwischen leicht und tief, zwischen intermittierend und kontinuierlich. Bei welchen Patienten ist welche Form indiziert?

Leid kann sich unterschiedlich ausprägen. Manche Menschen sind von großer Angst geplagt, oft in Kombination mit Luftnot. Die Generation, die sich aktuell aufs Lebensende zubewegt, hat noch die Kriegs- und Nachkriegszeit erlebt. Etwa können manche Patienten, die verschüttet waren, ihre Ängste ein Leben lang kompensieren, in der Sterbephase kommen sie jedoch wieder hoch. In solchen Fällen kann eine leichte Sedierung für ein paar Stunden mit angstlösenden Medikamenten wie Benzodiazepinen eine gute Sache sein.

Dann gibt es Menschen, die psychisch noch nicht so weit sind zu sterben und darunter so intensiv leiden, dass dieses Leid sich körperlich äußert. In diesem Fall kann versucht werden, die Betroffenen nach einem ausführlichen Gespräch intermittierend über Nacht zu sedieren. Vorab ist es empfehlenswert, eine Mitbeurteilung durch eine weitere Fachkraft – beispielsweise einen Psychiater oder Psychologen – in die Wege zu leiten.

Andere Menschen haben nächtelang nicht geschlafen. In der Sterbephase kommt viel zusammen: der Schmerz, die Angst vor dem Sterben, die Sorge um die Familie und Ähnliches. Auch hier kann es helfen, den Betroffenen durch eine intermittierende Sedierung – immer nachts – Erholung zu verschaffen. Dasselbe gilt für Patienten, die in einen verdrehten Tag-Nacht-Rhythmus und dadurch in ein Delir geraten. In so einer Situation ist es durchaus möglich, die Menschen durch eine intermittierende Sedierung wieder aus dem Delir herauszuholen, wenn die Krankheit noch nicht so weit fortgeschritten ist. Ich persönlich habe das aber meistens auf Palliativstationen gemacht – es ist extrem aufwändig und muss von einer kompetenten Fachkraft begleitet werden.

Viele Menschen wollen aber nicht auf die Palliativstation – sie möchten lieber zuhause sterben.

Der Arzt sollte den Menschen erklären, dass Palliativstationen anders sind als das, was sie vom Krankenhaus bisher kennen. Und dass Palliativstation nicht gleich Sterbestation ist. Natürlich gibt es Menschen, die so schwer krank sind, dass sie dort auch sterben. Aber sehr viele verlassen eine Palliativstation auch wieder. In einem ambulanten Palliativteam verläuft es ähnlich: Oft begleiten wir Menschen bis an ihr Lebensende, allerdings betreuen wir auch viele zunächst für einige Wochen und wenn sich die Situation stabilisiert hat, übernimmt der Hausarzt in Absprache wieder die Versorgung.

Und für welche Patienten eignet sich eine tiefe und kontinuierliche Sedierung?

Die tiefe und kontinuierliche Sedierung ist indiziert, wenn ein Leid anders nicht beherrschbar ist. Etwa wenn man intermittierend sediert und sobald die Leute aufwachen, beginnt die Agonie wieder von vorne. Meist ist das der Fall, wenn der Mensch nur mehr Stunden oder wenige Tage zu leben hat.

Oft wird befürchtet, dass Patienten durch die palliative Sedierung schneller sterben.

Wenn die Krankheit zum Tode führt, wird es zur Leidenslinderung in Kauf genommen, dass die Medikation das Sterben eventuell um einige Stunden beschleunigen kann. Studien zeigen jedoch, dass eine palliative Sedierung das Leben bei leitliniengerechter Durchführung nicht signifikant verkürzt.

Was ist bei der Auswahl der Medikamente zu beachten?

Es wird grundsätzlich nicht mit Opiaten sediert – diese wirken zwar bewusstseinseintrübend, sind aber nicht sedierend und stellen daher eher eine Begleitmedikation dar. Geeignet sind Medikamente mit primär sedierender Wirkung wie Benzodiazepine. Häufig zum Einsatz kommen Midazolam und Clonazepam. Ergänzend kann überlegt werden, etwas aus dem Bereich der Psychopharmaka zu geben, etwa Levomepromazin. Im Anhang der EAPC-Leitlinie sind auch geeignete Medikamente aufgeführt.

Wichtig ist, dass der Arzt sich mit den Medikamenten gut auskennt und Erfahrung damit hat, wie sie wirken. Selbst erfahrene Palliativmediziner stehen manchmal da und zerbrechen sich die Köpfe, gelegentlich rufe ich wegen einer speziellen Dosierung beispielsweise einen befreundeten Psychiater an. Es ist empfehlenswert, Rücksprache mit Experten zu halten, um es für Patienten und Angehörige richtig zu machen.

Kommen auch Cannabis-basierte Medikamente zum Einsatz?

Cannabinoide zeigen bei bestimmten Krankheiten und Patientengruppen gute Erfolge, zum Beispiel bei der Schmerztherapie in der Kinderpalliativmedizin und bei neurologischen Erkrankungen. In der Palliativmedizin können Cannabinoide zur Symptomkontrolle verordnet und eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse als “individueller Heilversuch” beantragt werden. Allerdings habe ich bisher geringere Erfolge gesehen als erhofft. Bei der palliativen Sedierung spielen sie jedoch keine Rolle.

Abschließend noch eine Frage zur Rechtssicherheit: Was müssen behandelnde Ärzte beachten, um sich rechtskonform zu verhalten?

Die Leidenslinderung bei der Sterbebegleitung geht mit der Inkaufnahme einer Lebensverkürzung (“indirekte Sterbehilfe”) einher und ist straffrei. Wir müssen das Ganze daher klar von einer Tötung auf Verlangen (“aktive Sterbehilfe”) abgrenzen. Das geht nur über eine gute Aufklärung und Dokumentation, die zeigt, dass es das Ziel ist, im Sinne des betroffenen Menschen therapierefraktäres Leid zu lindern. Das Vorgehen muss sich natürlich auch mit dem medizinischen Sachverstand decken.

Deswegen ist es wichtig, jemanden zur Mitbeurteilung mit einzubeziehen. Mehr Köpfe, mehr Augen, mehr Schultern. Mehr Augen, die draufschauen, mehr Köpfe die darüber nachdenken und mehr Schultern, die diese Entscheidung tragen. Ebenfalls ein wichtiger Punkt: Die Angehörigen nicht vernachlässigen. Eine ausführliche Aufklärung und enge Begleitung der Angehörigen sind entscheidend für den gesamten Verlauf vor, während und nach einer palliativen Sedierung.

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