Hausarzt MedizinPalliativmedizin ist mehr als nur Schmerztherapie

Palliativmedizin ist an keine bestimmte Diagnose gebunden. Sie kann sowohl bei Tumorpatienten als auch bei Nichttumorpatienten angewendet werden. Entscheidend ist der Versorgungsbedarf. Palliativ (mit-)betreute Patienten haben meist eine bessere Lebensqualität und leben häufig länger.

Palliativmedizin wird oft fälschlicherweise mit Schmerztherapie gleich gesetzt. Betrachtet man Menschen in palliativer Versorgung, zum Beispiel mit fortgeschrittener COPD oder Bronchialkarzinom, die an ausgeprägter Luftnot leiden, aber keine Schmerzen haben, so wird schnell klar, dass der Bereich der Palliativmedizin deutlich weiter gefasst ist, als nur etwas erweiterte Schmerztherapie. Schmerzen sind ein häufiges Symptom, aber eben nur ein Symptom unter vielen möglichen.

Außerdem wird in der Palliativmedizin Schmerz multidimensional verstanden. Cicely Saunders hat schon in der Zeit der Begründung der modernen Palliativmedizin ein richtungsweisendes Konzept vorgelegt, das sogenannte „total pain Modell“. Demnach kann der Schmerz eines Menschen mit einer schweren Erkrankung in vier Ebenen modellhaft betrachtet werden, der körperlichen, psychischen, sozialen und spirituellen Ebene.

Was ist eigentlich Palliativmedizin?

Diese Frage lässt sich recht einfach und klar durch die Definition der Weltgesundheitsorganisation beantworten, die weltweit Geltung hat und von den meisten nationalen Fachgesellschaften in ihren Grundzügen übernommen wurde. Mit dieser Definition werden einige Missverständnisse ausgeräumt:

WHO Definition

Palliativmedizin ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualitat von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durch fruhzeitige Erkennung, sorgfaltige Einschatzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen korperlicher, psychosozialer und spiritueller Art. Palliative Care:

    1. ermoglicht Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Symptomen
    1. bejaht das Leben und erkennt Sterben als normalen Prozess an
    1. beabsichtigt weder die Beschleunigung noch Verzogerung des Todes
    1. integriert psychologische und spirituelle Aspekte der Betreuung
    1. bietet Unterstutzung, um Patienten zu helfen, ihr Leben so aktiv wie moglich bis zum Tod zu gestalten
    1. bietet Angehorigen Unterstutzung wahrend der Erkrankung des Patienten und in der Trauerzeit
    1. beruht auf einem Teamansatz, um den Bedurfnissen der Patienten und ihrer Familien zu begegnen, auch durch Beratung in der Trauerzeit, falls notwendig
    1. fordert Lebensqualitat und kann moglicherweise auch den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen
    1. kommt fruhzeitig im Krankheitsverlauf zur Anwendung, auch in Verbindung mit anderen Therapien, die eine Lebensverlangerung zum Ziel haben, wie z.B. Chemotherapie oder Bestrahlung, und schliest Untersuchungen ein, die notwendig sind um belastende Komplikationen besser zu verstehen und zu behandeln.

Palliativversorgung nur für Tumorerkrankte?

In der WHO Definition taucht der Begriff Tumorerkrankung gar nicht auf, sondern lediglich der Begriff der lebensbedrohenden Erkrankung. Zu den lebensbedrohlichen Erkrankungen gehören Tumorerkrankungen aber auch die sogenannten Nichttumorerkrankungen, z.B. fortschreitende Herz-, Lungen-, Nierenerkrankungen, neurologische Erkrankungen etc.

Während in Deutschland nur etwas mehr als 25 % der Bevölkerung an Tumorerkrankungen versterben, sind die sogenannten Nichttumorerkrankungen viel häufiger und machen fast 75 % der Todesfälle aus. Direkte Vergleiche bezüglich Symptomschwere, Versorgungsbedarf etc. zwischen beispielsweise Menschen mit Bronchialkarzinom und COPD zeigen einen ähnlich hohen palliativen Handlungsbedarf bei diesen beiden beispielhaften Nichttumor- und Tumorerkrankungen.

Palliativversorgung nur am Ende?

Herkömmlich wurde Palliativversorgung oft anhand eines Phasenmodells betrachtet. Eine Erkrankung wird danach zunächst mit „kurativen“ oder Verlaufs-modifizierenden Maßnahmen behandelt. Erst wenn diese Bemühungen erfolglos erscheinen, findet ein Wechsel von der kurativ intendierten zur palliativ intendierten Versorgung statt. Bei vielen Erkrankten gibt es diesen Umschlagspunkt gar nicht, denn sie sterben plötzlich und unerwartet. Die Definition der Weltgesundheitsorganisation beschreibt eine Parallelität kurativ intendierter und palliativ ausgerichteter Maßnahmen, die schon frühzeitig im Verlauf angewendet werden kann. Maßstab dafür, in welchem Umfang palliativ intendierte oder kurativ intendierte Maßnahmen angewendet werden, sind die Bedürfnisse und Ziele der Betroffenen.

Die nachfolgenden Grafiken verdeutlichen die beiden Modelle im Krankheitsverlauf von der Diagnosestellung bis zum Tod. Das Parallelmodell ist notwendig, um allen Krankheitsverläufen gerecht zu werden. Es ist wesentlich stärker am Patienten orientiert, denn der betroffene Patienten leidet auch schon vor der Endphase an quälenden Symptomen. Eine Studie von Temel et. al (2010) verglich beide Modelle bei Menschen mit Bronchialkarzinom und fand bei den frühzeitig parallel zu tumorspezifischen Therapien palliativ mitversorgten Patienten nicht nur eine bessere Lebensqualität sondern auch eine längere Überlebenszeit.

Es geht nicht nur um Schmerztherapie

Viele Betroffene leiden überwiegend an anderen Symptomen als Schmerzen. Eine reine Zentrierung auf Schmerztherapie greift daher zu kurz. Obwohl Palliativmedizin weit über Schmerztherapie hinaus geht sind für die Tätigkeit als Palliativmediziner gute Kenntnisse in der Behandlung von Schmerzen essenziell.

Keine Verkürzung des Lebens

Die zitierte Studie von Temel et. al (2010) zeigte deutlich, dass eine frühzeitige palliative Mitbehandlung beim Bronchialkarzinom (durchschnittliche Überlebenszeit von ca. einem Jahr) zu einer Lebensverlängerung von fast drei Monaten führt, d.h. die frühzeitig palliativ mitbehandelten Patienten hatten ein Viertel ihrer Überlebenszeit dazu gewonnen und dies mit einer geringeren Menge onkologisch ausgerichteter Therapien. Es entspricht palliativmedizinischer Erfahrung, dass gut palliativ behandelte Patienten eher länger leben.

Palliativmedizin ist eine ärztliche Aufgabe

Viele Tätigkeitsfelder der Palliativmedizin werden traditionell eher anderen Berufsgruppen zugeordnet. So wird die spirituelle Begleitung eher als Aufgabe der Seelsorge, die einfühlsame Begleitung im Alltag eher als pflegerische Aufgabe gesehen. Interessanterweise sehen das die betroffenen Patienten teilweise anders. Befragte Patienten wollen ihre spirituellen Belange noch häufiger mit dem behandelnden Arzt als mit dem Seelsorger besprechen (Frick 2005, zit. nach Gerhard 2015).

Letztlich geht es darum, in einem Team möglichst gut aufeinander abgestimmt, die Bedürfnisse der Patienten zu erfassen und auf sie einzugehen. Nicht der palliative Einzelkämpfer sondern der Teamplayer ist gefragt. Erich Loewy (1995) hat es so schön ausgedrückt: Es geht um die Orchestrierung des Lebensendes und nicht den solistischen Auftritt.

Palliativmedizin findet nicht nur in Hospizen statt

Nur etwa 2 Prozent der deutschen Bevölkerung versterben im Hospiz oder auf der Palliativstation. Der häufigste Sterbeort ist immer noch das Krankenhaus, gefolgt vom Pflegeheim und dem zu Hause Sterben. Im Gegensatz dazu wünschen sich die meisten Menschen ein Sterben zu Hause. Durch gute palliative Versorgungsangebote kann in sehr vielen Fällen ein Sterben zu Hause ermöglicht werden (Vyhnalek et al. 2010). Die Aufstellung zeigt schon, dass sehr häufig palliativer Versorgungsbedarf auf der Allgemeinstation im Krankenhaus, im Pflegeheim oder zu Hause bestehen dürfte.

Gerade wenn Palliativversorgung parallel zur kurativ intendierten Versorgung frühzeitig im Krankheitsverlauf angeboten wird, so findet dies eigentlich immer in anderen Settings, im ambulanten Sektor, im Allgemeinkrankenhaus statt. Die meisten Nichttumorpatienten versterben weder im Hospiz noch auf der Palliativstation. Sicherlich sind die wesentlichsten Grundprinzipien der Palliativversorgung in Spezialeinrichtungen gewonnen worden. Die große Herausforderung ist nun, diese speziellen Prinzipien überall dorthin zu bringen, wo palliativer Versorgungsbedarf besteht und das kann durchaus sogar in der Behinderteneinrichtung, im Obdachlosenasyl etc. sein.

Fazit

Motto: "Palliativversorgung fur Alle, die sie brauchen"

    1. Palliativversorgung ist an keine bestimmte Diagnose gebunden. Sie kann sowohl bei Tumorpatienten als auch bei Nichttumorpatienten angewendet werden. Entscheidend ist der Versorgungsbedarf.
    1. Palliativversorgung kann schon fruhzeitig wahrend des Krankheitsverlaufs parallel zu kurativ intendierten Therapien bei jeder fortschreitenden Erkrankung angewendet werden, falls dies erforderlich ist.
    1. Palliativversorgung kann in unterschiedlichsten Settings (zu Hause, im Pflegeheim, auf der Normalstation des Akutkrankenhauses) zur Anwendung kommen. Sie ist nicht an ein bestimmtes Versorgungssetting (Palliativstation, Hospiz) gebunden.
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