Ein Fall, drei MeinungenUnruhe bei Demenz

Unruhige und demente Patienten sind oft eine Herausforderung – selbst für Hausärzte, die viel Geduld und Sympathie für unangepasste Menschen mitbringen. Wir fragten eine hausärztliche Internistin und einen Gerontopsychiater zu ihren Ideen im Fall einer Patientin mit einer besonders unübersichtlichen Medikation.

Frau B., 87 Jahre, lebt im Altenheim. Ein Kollege übernimmt die Patientin, da der vorherige Hausarzt keine Hausbesuche durchführt. Die Therapieanordnung erfolgte zuletzt telefonisch. Vorherrschendes Symptom der Patientin, auch unter der derzeitigen Medikation, ist Unruhe bei Demenz. Ihre Diagnosen lauten: Demenz; arterieller Hypertonus; Insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ II.

Die aktuelle Medikation:

  • Actrapid Insulin nach Schema
  • Levemir 8-0-20 IE
  • Carvedilol 12,5 mg 0,5-0-0,5
  • Torasemid 5 mg 1-1-0
  • Mirtazapin 30 mg 0-0-1
  • Oxazepam 10 mg 0-1-0-1
  • Lorazepam 0,5 mg 0-0-0-1
  • Zopiclon 7,5 mg 0-0-0-1,5
  • Trimipramin 25 mg 1-0-1-2

Das sagt die Hausärztin

Dr. med. Caroline Neubert ist niedergelassen als hausärztliche Internistin in Berlin-Wedding

“Zunächst würde ich klären, wie die Patientin zu dieser Medikation kommt – ob es vielleicht zwei verschiedene Ärzte waren, etwa der Neurologe und der Hausarzt, die hier parallel angeordnet haben, oder ob noch andere Gründe dahinterstecken, zum Beispiel eine weitere psychische Erkrankung. Dann würde ich die Nierenfunktion untersuchen. Bevor ich etwas umstelle, möchte ich zuerst wissen, was die Patientin überhaupt verträgt. Bei Patienten wie Frau B. geht es in der Regel darum, zwei Lebensqualitäten zu bessern – einmal die von ihr selbst, und dann die ihrer Umwelt. Mein Ziel bei Patienten wie Frau B. ist normalerweise maximal ein festes psychoaktives Medikament, plus ein Bedarfsmedikament. Dafür möchte ich unter anderem wissen, ob die Patientin auch tagsüber unruhig ist, oder vor allem in der Nacht. Und ob sie nur unruhig ist oder auch aggressiv.[habox:issues]Bei Patienten, die vor allem nachts unruhig sind, habe ich gute Erfahrungen mit Quetiapin gemacht, wenn Aggressionen im Vordergrund stehen, mit Risperidon. Bei Frau B. würde ich mich aber zuerst auf jeden Fall mit einem Neurologen oder Psychiater besprechen, bevor ich etwas umstelle. Bei fünf psychoaktiven Substanzen lassen sich die Wechselwirkungen auch kaum mehr abschätzen. Bei manchen älteren Patienten, die schon sehr lange Benzodiazepine nehmen, lasse ich sie ihnen auch und setze sie nicht unbedingt ab. Aber dies hier ist eine besondere Situation. Bei diesem Sedativa-Beschuss würde ich auf jeden Fall versuchen etwas zu ändern, aber mit Rücksprache zu einem Fachkollegen. Ich würde außerdem probieren, das Insulin so umzusetzen, dass es der Patientin nur einmal am Tag gespritzt werden müsste. Blutzucker-Messgeräte ohne Pieken sind für demente Menschen oft auch ein Segen.”

Das sagt der Facharzt

PD Dr. med. Martin Haupt ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie im Neuro-Ccentrum Düsseldorf

“Wenn wir davon ausgehen, dass diese Patientin ihre Medikamente schon über mehrere Jahre einnimmt, können wir sie nicht einfach absetzen. Möglich ist, in kleinen Schritten zu reduzieren. Weiterhin gehe ich davon aus, dass die Patientin eine Alzheimer-Demenz hat – bei einer anderen Form von Demenz wäre das Vorgehen eventuell ein anderes. Ich würde dann mit dem trizyklischen Antidepressivum, Trimpramin, beginnen und alle drei, vier Tage um jeweils eine Tablette reduzieren. Vorher möchte ich allerdings noch wissen, wann Frau B. die stärkste Unruhe zeigt: Den ganzen Tag oder vor allem nachts? Oder ist es ein typisches „Sundowning-Phänomen“, mit einer Getriebenheit am späten Nachmittag, die sich später legt? Je nach dem, setze ich dann dagegen das niedrig potente Neuroleptikum Pipamperon ein, wenn die Unruhe unter Trimipramin-Reduktion zunimmt. Als Saft lässt es sich am besten steuern, 5 ml entsprechen 20 mg, wahrscheinlich kommt man am Ende mit 10 – 15 ml hin. Eine Alternative ist Quetiapin, bei dem extrapyramidale Nebenwirkungen kaum vorkommen. Wenn das Trimipramin abgesetzt ist, würde ich versuchen, eine Tablette Oxazepam wegzulassen. Etwa zwei Wochen später könnte man versuchen, eine halbe Zopiclon zur Nacht herauszunehmen. Danach zwei bis drei Wochen beobachten, ob die Unruhe zunimmt. Benzodiazepine sind lipophil, es dauert, bis sie aus den Fettzellen und dem Stoffwechsel raus sind. Die Unruhe kann man mit Pipamperon ausgleichen, oder eben mit Quetiapin – wobei man neben den üblichen Leber- und Nierenwertkon-trollen dann auch EKG-Kon-trollen durchführen sollte, um die QT-Zeit zu bestimmen. Daneben bleibt auch Spielraum, die Mirtazapin-Dosis nach Verträglichkeit bis auf 45, 60 mg zu erhöhen. Mirtazapin ist ein gutes Medikament gegen nächtliche, nicht psychotisch bedingte Unruhe. Ziel wäre, im Verlauf von Wochen oder Monaten eines der beiden Benzodiazepine absetzen zu können. Bei sehr alten Menschen, die lange Benzo-diazepine nehmen, sind die Aussichten meist schlecht, den Stoffwechsel ganz frei von ihnen zu bekommen, daher sollte man eines in einer niedrigen Dosis belassen.”

Das sagt die Evidenzbasierte Medizin

Die Priscus-Liste (www.priscus.net), „Potentially inappropiate medication in the elderly“, führt als „inadäquat“ zum Beispiel trizyklische Antidepressiva, wie Imipramin, auf. Als Begründung nennt sie etwa die anticholinergen Nebenwirkungen, kognitive Defizite und ein erhöhtes Sturzrisiko. Als Alternative listet sie auch Mirtazepin. Als „inadäquat“ gelten laut der Liste auch kurz- mittel- und langwirksame Benzo-diazepine wie Oxazepam und Lorazepam. Als mögliche Ausweichsubstanzen benennen die Autoren zum Beispiel Zolpidem in einer Dosierung ≤ 5 mg oder sedierende Antidepressiva wie Mirtazepin.

Die Autoren der S3-Leitinie “Demenzen”, Januar 2016, AWMF-Register-Nr.:038-013 (www.awmf.de ) sagen zum Einsatz von Antipsychotika grundsätzlich: “Die Gabe von Antipsychotika bei Patienten mit Demenz ist wahrscheinlich mit einem erhöhten Risiko für Mortalität und für zerebrovaskuläre Ereignisse assoziiert. Es besteht wahrscheinlich ein differenzielles Risiko, wobei für Haloperidol das höchste und Quetiapin das geringste Risiko hat.” Die Leitlinie differenziert “Unruhe” als Symptom viel genauer, als dieser Artikel es kann, sie unterscheidet etwa psychomotorische Unruhe, aggressives Verhalten und psychotische Symptome. Zu vielen Substanzen fehlen für eine Aussage aber Daten. Bei aggressivem Verhalten empfehlen die Autoren unter anderem Risperidon.

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