SchwindelAlles dreht sich – warum nur?

Mit den richtigen Fragen und wenigen Untersuchungen können Sie eine erste Einordnung von Schwindelerkrankungen vornehmen. Wichtig ist, potenzielle gefährliche Verläufe zu erkennen.

Drehschwindel: Entpuppt sich oft als benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel

Die Schwindelanamnese gestaltet sich oft schwierig, da das Gleichgewichtssystem normalerweise im Unterbewusstsein arbeitet und erst ein Funktionsverlust zur bewussten Wahrnehmung führt. Die Diagnose kann durch eine detaillierte Anamnese (Tabelle 1) und wenige klinische Untersuchungen meist primärärztlich eingeordnet werden [1]. Der Schwindel sollte anamnestisch einer Kategorie zugeordnet werden (Tabelle 2) [1].

Körperliche Untersuchung

Die körperliche Untersuchung sollte nach standardisiertem Vorgehen durchgeführt werden.

Allgemeiner Status

  • Gangbild: Wie kommt der Patient ins Sprechzimmer, Schwankbewegungen, Abstützversuche, Zuhilfenahme von Begleitpersonen/Gehstützen/Rollatoren, Flüssigkeit der Bewegung, Schrittlänge, Adäquatheit des Gangbildes, Blässe (Konjunktiven)
  • Bewegung des Patienten: Hält er sich fest, wenn er abgelenkt ist? Steht er stabil oder nicht?
  • Blutdruck, ggf. im Stehen, Puls, ggf. Schellong-Test bei orthostatischer Dysregulation
  • Herzauskultation
  • Ggf. bei Verdacht: Prüfung auf Subclavian-Steal-Syndrom, Karotis-Druck-Versuch unter EKG-Kontrolle
  • Zeichen der Herzinsuffizienz, Stauung

HWS-Untersuchung

  • Muskuläre Verspannungen
  • Segmentale Bewegungsstörungen auch in Retro- und Anteflexion der Halswirbelsäule

Neurologischer Status

  • Reflexstatus, Sensibilität an den Beinen (Stimmgabel)
  • Romberg-Versuch mit erhöhter Stand­unsicherheit bei geschlossenen Augen: sensorisches Defizit; Standunsicherheit bereits bei offenen Augen: zerebelläre Ataxie
  • Unterberg-Tretversuch (zerebellär, spinal, vestibulär): Drehung zur betroffenen Seite zeigt ein peripher vestibuläres Defizit an
  • Vorhalteversuch (Ausschluss latenter Paresen)
  • Diadochokinese (zerebellär)
  • Finger-Nase- und Knie-Hacken-Versuch (zerebral, zerebellär)

HNO-Untersuchung

  • Inspektion von Gehörgang und Trommelfell
  • Grobe Hörprüfung, insbesondere bei Vorliegen von Hinweisen auf eine vestibuläre Störung: Flüstersprache sollte in mehr als 1 Meter Entfernung mit zugehaltenem rechten Ohr, und dann mit zugehaltenem linken Ohr noch verstanden werden
  • Rinne-Weber-Test (bei Hörstörung)
  • Lagerungsmanöver (Dix-Hallpike-Manöver, Barbecue-Manöver)

Untersuchung der Augenbewegung

  • Extraokuläre Motorikprüfung: Augenbewegung in alle 8 Blickrichtungen, Blick­folgebewegung, horizontale und vertikale Sakkaden
  • Augenabdecktest (Erkennen von Fehlstellungen der Augenachsen)
  • Frenzel-Brille-Untersuchung: Spontannystagmus mit Richtungsangabe horizontal (otogener Schwindel), vertikal (zentralnervöser Schwindel), rotatorisch, Blickrichtungsnystagmus (zentralnervöse Läsion)
  • Kopfschütteltest, Kopfimpulstest

Gefährliche Verläufe erkennen

Bei jedem Beratungsanlass Schwindel gilt es, ein besonderes Augenmerk auf abwendbare gefährliche Verläufe, insbesondere zentrale zerebrale Ereignisse, zu richten.

Hinweise auf zerebrale Schwindelursachen können ein akut einsetzender Drehschwindel und Schwankschwindel sein, vor allem wenn zusätzlich Hirnstammsymptome wie Doppelbilder, Gefühlsstörungen im Gesicht oder an den Extremitäten, Schluck- und Sprechstörungen, Lähmungen, feinmotorische Defizite auftreten oder wenn zusätzlich ein hohes kardiovaskuläres Risiko besteht.

Klinische Zeichen zur Differenzierung zwischen zentralen und peripheren Ursachen können sein:

  • Alternierender Abdecktest
  • Zentraler Fixationsnystagmus
  • Sakkadierte Blickfolge
  • Blickrichtungsnystagmus
  • Pathologischer Kopfimpulstest

Differenzialdiagnosen

Nach der Zuordnung des Schwindels zu einer Kategorie versucht man die Differenzialdiagnosen weiter einzugrenzen und wenn möglich spezifisch zu behandeln.

Grundsätze der Therapie

Oft kann eine definitive Diagnose noch nicht gestellt werden, deshalb sollte zunächst eine symptomatische Behandlung erfolgen. Die Beratung sollte immer darauf abzielen, dem Patienten ein verständliches pathophysiologisches Modell seines Schwindels mitzugeben. Der Patient sollte über den meist gutartigen und nicht lebensgefährlichen Verlauf informiert werden.

Die meist guten Selbstregulierungsmechanismen bei Schwindel (Kompensation, Habituation und Adaptation) dürfen als beruhigende Information mitgeteilt werden. Da die Mehrzahl der Patienten mit akutem Schwindel ihre Erkrankung als bedrohlich und massiv verunsichernd erlebt, sollte eine kurzfristige Wiedereinbestellung überlegt werden [1].

Wenn eine definitive Ursache feststeht, ist ein sehr individualisiertes therapeutisches Vorgehen indiziert [1].

Ist der Einsatz von Antivertiginosa in der Akutphase notwendig, so sollte dieser für maximal etwa 3 Tage erfolgen. Dabei soll auch berücksichtigt werden, dass Antivertiginosa die Akutdiagnostik durch Maskieren der Symptome behindern können. Verabreicht werden können Dimenhydrinat als Einzelsubstanz (Antihistaminika, cave anticholinerge Effekte), Betahistin als Einzelsubstanz bei wenig überzeugender Evidenz (nicht bei Asthma, Phäochromozytom und gastrointestinalen Ulzera) oder Dimenhydrinat in Kombination mit Cinnarizin (Flunarizin). Sie haben einen nachgewiesenen Nutzen bei vertretbaren unerwünschten Wirkungen [1].

Betahistin wird zur Therapie der Ménièreschen Krankheit, aber auch bei Schwindel unspezifischer Ursache empfohlen – bei mäßiger Evidenzlage [7]. Das Homöopathikum Vertigoheel® wurde bisher nicht gegen Placebo getestet, ist beim unspezifischen Krankengut jedoch ebenso wirksam wie Betahistin [5]. Ginkgo biloba zeigte in zwei kleinen Studien eine signifikante Wirkung, eine definitive Bewertung kann aber nicht durchgeführt werden [6].

Allgemeine physikalische Therapie: Es existieren vereinzelte Studien, die eine signifikante und klinisch relevante Besserung bei vermutetem zervikogenem Schwindel nach Physiotherapie (Krankengymnastik) zeigen konnten [1].

Es gibt keine ausreichende Evidenz für den Nutzen von Chirotherapie bei Schwindel. Die Risiken einer solchen Therapie sollen sorgfältig bedacht werden [1].

Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

Literatur

  1. DEGAM-Leitlinie Nr. 17 Akuter Schwindel in der Hausarztpraxis S3-Leitlinie: https://www.degam.de/files/Inhalte/Leitlinien-Inhalte/Dokumente/DEGAM-S3-Leitlinien/053-018_Akuter%20Schwindel%20in%20der%20Hausarztpraxis/053-018L_Akuter%20Schwindel%20in%20der%20Hausarztpraxis_redakt%20ueberarbeitet_20-4-2018.pdf
  2. Der Schwindel der im Ohr entsteht. MMW 2017.15/159: 50-55, Medical Tribune Magazin 2018: Schwindel
  3. W. Chien, J.P. Carey, L.B. Minor: Canal dehiscence. In: Current Opinion in Neurology. Band 24, Nummer 1, Februar 2011, ISSN 1473-6551, S. 25–31, doi:10.1097/WCO.0b013e328341ef88, PMID 21124219
  4. Der Schwindel, der im Ohr entsteht, Prof. Dr. med. Robert Gürkov. MMW 2017.14/15950-55
  5. Häusler R et al. Acta Otorhinolarnygol Belg 1989; 43: 177-85
  6. Haguenauer JP et al. Presse Méd 1986; 15: 1569-72
  7. Schmidt JT, Huizing EH. Acta Otolaryngol 1992; Suppl 497: 9-181
  8. https://www.dgn.org/images/red_leitlinien/LL_2012/pdf/ll_49_2012_schwindel__therapie.pdf
  9. Hauswirth J.Zervikogener Schwindel: Diagnose…Manuelle Therapie 2008; 12:80-93
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