BehandlungsstrategienGerinnung: Zu wenig und zu viel machen krank

Blutungen, Thrombosen, Antikoagulanzien. Das Gerinnungssystem begleitet den Hausarzt tagtäglich. Im Rahmen der diesjährigen virtuellen 65. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH, 23.2.–26.2.2021) wurden innovative Behandlungsstrategien vorgestellt. (Dr. med. Peter Stiefelhagen)

Tiefe Venenthrombose. Lichtmikroskopische Aufnahme eines Blutgerinnsels (Thrombus, dunkelrosa), das eine Vene im Wadenmuskel vollständig blockiert.

Gentherapie bei Hämophilie

Die Standardtherapie der Hämophilie A und B mit der Faktorensubstitution ist mit einer Reihe von Problemen assoziiert (lebenslange i.v.-Injektionen, Compliance, keine komplette Blutungsprophylaxe). Die Gentherapie bei der Hämophilie ist deshalb eine neue vielversprechende Option. Dabei wird das kranke Gen durch ein gesundes ersetzt.

Das Gen für den Gerinnungsfaktor VIII beziehungsweise IX wird mittels Adenoviren in die Leberzellen transportiert. Die Gentherapie bietet bei der Hämophilie die Chance einer Heilung des Blutungsphänotyps. Das Gentherapeutikum wird nur einmal intravenös injiziert. Bei einem Teil der Patienten ist eine vorübergehende Immunsuppression erforderlich.

In den bisher durchgeführten Studien bei Hämophilie B-Patienten blieben die Faktorenspiegel über bis zu 10 Jahre konstant. Somit ist ein lebenslanger Therapieerfolg nach einer einmaligen Infusion möglich. Bei der Hämophilie A kommt es nach einem Jahr zu einem sukzessiven Abfall der Faktorspiegel, die nach vier Jahren noch etwa bei 25 Prozent des 12-Monats-FVIII-Spiegel liegen.

Bei der Hämophilie A ist die Dauer des Therapieerfolgs wahrscheinlich begrenzt. Auch ist die Beurteilung von Langzeitrisiken noch nicht möglich.

Ein weiterer innovativer Ansatz sind monoklonale Antikörper gegen TPFI (tissue pathway factor inhibitor). Die Hemmung von TFPI führt zu einer vermehrten Generierung von Thrombin und zu einer Verlängerung der Initiierungsphase der Gerinnung und somit zu einer Aktivierung des Gerinnungssystems.

Johannes Oldenburg, Bonn

Thrombotische Mikroangiopathie

Das atypische hämolytisch-urämische Syndrom (aHUS), auch thrombotische Mikroangiopathie genannt, ist eine seltene Erkrankung, die häufig nicht erkannt wird. Ursache ist eine genetisch determinierte übermäßige und unkontrollierte Aktivität des Komplementsystems, die bei entsprechender genetischer Disposition durch unterschiedliche Trigger wie Infekte, Impfungen und Schwangerschaft induziert werden kann.

Durch diese überschießende Aktivität des Komplementsystems kommt es zu einer endothelialen Dysfunktion mit nachfolgender Thrombusbildung und Hämolyse. Dies wiederum führt zu Durchblutungsstörungen, wobei alle lebenswichtigen Organe insbesondere die Niere, das Herz, die Lunge und das ZNS betroffen sein können. Die häufigsten Symptome sind Hämolyse mit Anämie, Thrombozytopenie und Nierenversagen.

Viele Betroffene benötigen eine Dialyse oder sogar eine Nierentransplantation.

Neue Studienergebnisse zeigen, dass auch eine Covid-19-Infektion zu einer exzessiven Aktivierung des Komplementsystems führen kann und somit eine thrombotische Mikroangiopathie auslösen kann.

Bei 60 Patienten, davon 20 mit einem sehr schweren Verlauf und 11 Patienten mit einem tödlichen Verlauf, wurden zahlreiche genetische und serologische Parameter des Komplementsystems analysiert, um zuverlässige Prädiktoren für einen kritischen Erkrankungsverlauf identifizieren zu können.

Ziel der Forschungsaktivitäten ist es, diejenigen Covid-19-Patienten früh und zuverlässig erkennen zu können, die von einer Komplement-Inhibition mittels monoklonaler Antikörper profitieren.

Ziel der Therapie bei der thrombotischen Mikroangiopathie ist es, das Komplementsystem wieder zurück ins Gleichgewicht zu bringen. Für die Therapie stehen neben der Plasmapherese monoklonale Antikörper (Eculizumab und Ravulicumab) zur Verfügung, die an die Komplementkomponente C5 binden. Dadurch wird die Spaltung von C5 verhindert und somit die Hämolyse reduziert.

Florian Langer, Hamburg

Neues Antidot für Faktor-XA-Inhibitoren

Intrakranielle Blutungen treten unter einem NOAK deutlich seltener auf als unter einem Vitamin-K-Antagonisten (VKA). Trotz des geringeren Risikos kann es unter einer Therapie mit einem Faktor-Xa-Inhibitor wie Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban zu einem solchen potenziell fatalen Ereignis kommen.

Dies erfordert neben einer sofortigen Blutdrucksenkung ein rasches effektives Gerinnungsmanagement, um das Hämatomwachstum zu verhindern. Die Verhinderung eines Hämatomwachstums ist der einzige modifizierbare Prognoseparameter.

Die Blutdrucksenkung auf einen Wert ≤ 140/90 mm Hg ist bei tiefen zerebralen Blutungen von Vorteil, vor allem bei Stammganglienblutungen. Bei Thalamus-Blutungen konnte aber kein sicherer Effekt dokumentiert werden. Ein intensives Blutdruckmanagement ist insbesondere innerhalb von zwei Stunden nach Symptombeginn wirksam.

Was das neurochirurgische Vorgehen betrifft, so konnten bisher keine eindeutigen positiven Effekte nachgewiesen werden, wobei durch minimalinvasive Verfahren eine günstige Wirkung erzielt werden könnte. Wichtig ist eine rasche Fiebersenkung, da eine solche das Perifokalödem verhindern kann und dies mit einem besseren Outcome einhergeht.

Für das Gerinnungsmanagement konnte bei VKA gezeigt werden, dass eine rasche Anhebung des INR-Wertes das Outcome verbessert, wobei Prothrombin-Komplex-Konzentrate (PPSP) effektiver sind als Fresh Frozen Plasma (FFP). Zusätzlich empfiehlt die Leitlinie 10 mg Vitamin K i.v..

Auch wenn ein solches Gerinnungsmanagement intuitiv sinnvoll erscheint, so konnte bisher kein eindeutiger Effekt auf Mortalität und Morbidität nachgewiesen werden. Für Blutungen unter dem Thrombin-Inhibitor Dabigatran steht seit einigen Jahren mit Idarucizumab ein spezifisches Antidot zur Verfügung. Mit Andexanet alfa gilt dies jetzt auch für Faktor-Xa-Inhibitoren wie Apixaban und Rivaroxaban. Damit wird eine wichtige Versorgungslücke geschlossen.

Andexanet alfa ist ein modifiziertes humanes Faktor-Xa-Molekül, das biotechnologisch hergestellt wird. Selbst hat es keinen Einfluss auf die Blutgerinnung, stellt aber eine Art Köder für Apixaban und Rivaroxaban dar, die daran binden.

Im Rahmen der ANNEXA-4-Zulassungsstudie wurde bei 352 Patienten, die unter der Behandlung mit einem Faktor-Xa-Hemmer eine schwere Blutung erlitten, die Wirksamkeit von Andexanet alfa untersucht. Die Mehrheit der Patienten (64 Prozent) hatte eine intrakranielle Blutung, wobei diese meist klein waren.

Am Ende der Bolusgabe von Andexanet alfa war die Anti-F-Xa-Aktivität um 92 Prozent gesunken. Auch wenn die Daten aus Beobachtungsstudien für eine günstige Wirkung auf die Hämatomprogression im Gehirn mit konsekutiver Abnahme der Frühletalität sprechen, so ist angesichts der aktuellen Studienlage noch keine abschließende Bewertung der Substanz möglich.

Edelgard Lindhoff-Last, Frankfurt a.M.

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