Berlin. Angesichts der Ausbreitung des neuen Coronavirus erscheint es fraglich, ob die Epidemie bald gestoppt werden kann. Umso wichtiger wäre ein Impfstoff. Mitte Februar einigten sich 400 Experten auf einer Konferenz in Genf, die Suche danach zu beschleunigen, wie der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, mitteilte. In vielen Ländern wird derzeit an der Entwicklung eines Impfstoffes gearbeitet. Doch wie schnell könnte er einsatzbereit sein?
„Ich bin insgesamt sehr sicher, dass wir erste experimentelle Impfstoffe noch dieses Jahr sehen werden“, sagt der Virologe Gerd Sutter von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ob und wann sie an Menschen getestet werden könnten, sei eine andere Sache. „Die Entwicklung eines Impfstoffs ist ein langwieriger, mühsamer Prozess, vor allem die Zulassung und die klinische Prüfung eines Kandidaten.“
15 Jahre Entwicklungsdauer
Gemeinhin werden für die Entwicklung von Impfstoffen etwa 15 Jahre veranschlagt. Für das Mers-Virus, das 2012 auf der Arabischen Halbinsel entdeckt wurde und das auch zu den Coronaviren gehört, wird ein Impfstoff erst seit 2018 klinisch geprüft.
Dennoch kündigen Forscherteams weltweit an, einen Impfstoff gegen das Virus Sars-CoV-2 entwickeln zu wollen. Sie setzen vor allem auf biotechnologische Verfahren – die sollen die Zeit verkürzen, um einen Impfstoffkandidaten für die Prüfung in klinischen Studien bereitzustellen. Dabei werden nicht wie üblich die Viren selbst zur Herstellung eines Impfstoffes benötigt, sondern nur deren genetische Information. Die Sequenz des neuen Virus ist seit Wochen bekannt.
Darin stecken alle Informationen für seine Vermehrung – auch für die Herstellung jener Bestandteile, auf die der Körper nach einer Impfung mit der Bildung von Antikörpern und anderen Abwehrstoffen reagiert. Bei Coronaviren sei das ein Protein der Virushülle, erläutert Sutter. „Das Virus nutzt das Protein, um in menschliche Zellen einzudringen.“
Impfen mit Nanopartikeln
Auf dieses Protein konzentrieren sich die Impfstoffentwickler. In China arbeitet das Krankenhaus der Shanghaier Tonji Universität gemeinsam mit dem Unternehmen Stermirna Therapeutics an einem mRNA-Impfstoff, wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua meldete. Auch das biopharmazeutische Unternehmen CureVac mit Hauptsitz in Tübingen setzt auf mRNA.
Dieses Molekül in Zellen vermittelt die Umsetzung der im Erbgut steckenden Informationen in ein Protein. Die Bauanleitung für das Hüllprotein von Sars-CoV-2 verpacken die CureVac-Wissenschaftler in Nanopartikel, die die mRNA in die Zellen liefern. Die Zellen bilden dann das Hüllprotein und präsentieren es auf ihrer Oberfläche, woraufhin das Immunsystem mobilisiert wird.
„Das Verfahren ahmt ein Konzept der Natur nach“, erläutert Mariola Fotin-Mleczek vom CureVac-Vorstand. „Wir erreichen damit eine sehr starke Aktivierung des Immunsystems.“
Alternative Hüllprotein
In Kooperation mit dem Team um Sutter arbeitet auch eine Gruppe um den Virologen Stephan Becker von der Universität Marburg an einem Impfstoff. Sie nutzen als Transporter für das Hüllprotein ein Virus, das Menschen nicht krank macht. Es dringt nach der Impfung in Zellen ein und bildet das Hüllprotein, das vom Immunsystem erkannt wird. Die Konstruktion des Impfvirus und erste Produktionsschritte seien voraussichtlich bis Ende März abgeschlossen, erläutert Becker.
Sutter und Becker gehören zu den Entwicklern des Impfstoffs gegen das Mers-Coronavirus. Das dafür entwickelte Konzept wollen sie für das neue Coronavirus anpassen. Außer der Zeitersparnis besteht ein Vorteil der biotechnologischen Verfahren darin, dass ein einmal etabliertes Konzept schnell an neue Erreger angepasst werden kann. Lediglich die Bauanleitung für das Protein, auf das der Körper reagiert, muss dazu ausgetauscht werden.
Die Entwicklung eines Impfstoffkandidaten ist allerdings nur der erste Schritt in Richtung Impfstoff – richtig mühsam wird es hinterher: Zulassung und klinische Prüfung des Kandidaten sind die Entwicklungsphasen, die am meisten Zeit verschlingen. „Gibt es einen Kandidaten, prüft man im Tiermodell, ob überhaupt Antikörper gebildet werden und ob diese das Virus hemmen“, erläutert Becker. Als Nächstes werde geprüft, ob man Tiere mit dem Wirkstoff vor einer Ansteckung schützen kann, dann werde der Impfstoff in großem Maßstab produziert und toxikologisch getestet. „Wenn das alles gut verläuft, kann man einen Antrag stellen auf eine klinische Studie.“
Aufwand gerechtfertigt
Ein für Becker notwendiges Prozedere. „Diese Impfstoffe müssen sicher sein, sonst tut man sich keinen Gefallen.“ Wenn der politische oder medizinische Druck hoch genug sei, würden die Zulassungsverfahren beschleunigt. Während des Ebola-Ausbruchs in Westafrika etwa sei die Erlaubnis für die klinische Studie sehr schnell vom zuständigen Paul-Ehrlich-Institut erteilt worden.
Becker ist optimistisch, auch für einen Kandidaten gegen Sars-CoV-2 vergleichsweise schnell die Zulassung für eine klinische Studie zu bekommen – eben weil die eingesetzte Plattform bereits im Zusammenhang mit dem Mers-Impfstoff etabliert wurde.
Aber kann ein Impfstoff rechtzeitig fertig sein, um den Verlauf der aktuellen Epidemie zu beeinflussen? „Wir wissen nicht, wie sich die Epidemie entwickelt“, sagt Becker. Wenn sich das Virus etabliere, wäre ein Impfstoff sehr hilfreich. „Ich glaube, das ist gut investiertes Geld.“
WHO-Chefwissenschaftlerin Soumya Swaminathan glaubt, dass erste Impfstoff-Tests an Menschen in drei bis vier Monaten beginnen könnten. Ein zertifizierter Impfstoff für weitreichenden Einsatz stehe aber wohl erst in 18 Monaten zur Verfügung.
Quelle: dpa