Interview mit Prof. SchererPandemie: “Koordiniertes kommunikatives Vorgehen”

Hausärztinnen und Hausärzte sind die tragende Säule in der Corona-Pandemie. Trotzdem gelten sie in der medialen Öffentlichkeit nicht als die Experten, die sie sind. Wir sprachen mit Prof. Dr. Martin Scherer über die Rolle des Hausarztes in der Pandemie und Lehren für die Zukunft.

Während der Pandemie wurden eher Virologen und Epidemiologen in der medialen Öffentlichkeit als Experten befragt, weniger Hausärzte, obwohl sie neben den Krankenhäusern die eigentlichen Krisenmanager der Pandemie sind. Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?

Prof. Scherer: Das liegt sicher auch daran, wie wir Deutsche gestrickt sind. Wir wenden uns nun einmal mit allen Problemen gerne an Experten.

Und Hausärzte werden nicht als Experten wahrgenommen?

Es ist für Laien einfach schwer, ein Fach, das so sehr auf den gesamten Menschen fokussiert ist wie die Allgemeinmedizin, in seiner ganzen Dimension zu durchschauen. Allgemeinmedizin bietet von allem etwas, deswegen besteht eine mangelnde Vorstellungskraft in der medialen Öffentlichkeit, was hausärztliches Arbeiten konkret bedeutet.

Daher kommen die Kompetenzzuschreibungen an Experten, die Wissen produzieren. Hausärzte werden eher als die wahrgenommen, die Wissen anwenden. Ihre Zuständigkeit ist hier einfach nicht so klar.

Von den Patienten hingegen werden Hausärzte auf jeden Fall als Experten wahrgenommen, denn bei allen medizinischen Problemen sind Hausärzte die erste Anlaufstelle.

Im Rahmen der practica haben sich Hausärzte gewünscht, künftig mehr an Entscheidungen beteiligt zu werden.

Hausärzte fühlten sich in der Pandemie oft allein gelassen und waren immer wieder verärgert, dass sie die Informationen gleichzeitig mit den Patienten bekommen haben. Um nur ein Beispiel zu nennen: Gesundheitsminister Jens Spahn hat dafür geworben, Patienten ab dem Alter von 60 Jahren zu boostern, die STIKO empfiehlt es aktuell noch ab 70 Jahren.

Die STIKO hinkt in Folge dieser Ankündigung vermeintlich hinterher. Diese Wahrnehmung ist aber falsch. Die Politik prescht vor. Die kognitive Dissonanz bei den unter 70-jährigen Patienten, die geboostert werden wollen, müssen aber die Hausärzte auflösen. Hier würde ein koordiniertes kommunikatives Vorgehen enorm helfen, um unnötige Diskussionen zu vermeiden und die Hausärzte in ihrer Arbeit zu entlasten

Auf der practica haben Hausärzte scharf kritisiert, dass die Presse im Hinblick auf Maßnahmen früher Bescheid wusste.

Wir wurden themenbezogen an allen Gesprächsrunden beteiligt und angehört, wir konnten uns vor Terminen gar nicht retten. Aber wenn anschließend nicht das kommuniziert wird, was vorher besprochen wird, wird es natürlich schwierig. Deshalb wünschen wir uns als DEGAM, dass die Kommunikation in der nächsten Legislaturperiode und darüber hinaus koordiniert abläuft.

Zudem wäre eine Vorabinformation an die Hausärzte wünschenswert, damit Patienten nicht durch Medien getriggert sind und mit unrealistischen Vorstellungen in die Praxis kommen.

Gelingt es der DEGAM ausreichend, sich zu positionieren?

Wir versuchen, wann immer wir können, auf die besondere Situation der Hausärzte hinzuweisen, dass die hausärztliche Versorgung eine wichtige Säule der sozialen Sicherheit in Deutschland ist. Sie ist systemrelevant im wahrsten Sinne des Wortes. Wir brauchen Ruhe im System. Hausärzte haben den Wunsch, dass man sie einfach ihre Arbeit machen lässt.

Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Botschaft ankommt?

Ich sende sie zumindest ständig aus.

Ziel der DEGAM war, Zuversicht zu verbreiten in der Pandemie – ist das gelungen?

Wir haben immer wieder die Botschaft gesendet, dass wir da sind, die Pandemie gut bewältigen, dass Hausärzte extrem erfindungsreich waren und mit Parkplatz- und Fenstersprechstunden, Video- und Telefonsprechstunden alles gegeben haben. Mit der Impfung hat jeder die Möglichkeit, sich seinen persönlichen “Freedom Day” zu schaffen. Man hat alles in der Hand, kann die Basismaßnahmen wie die Impfung durchführen. Wir stehen bereit, sind der Aufgabe gewachsen. Aber Hausärzte wollen nicht ständig das Gefühl haben, dass ihre Arbeit gestört wird.

Die Hausärzte haben bei der practica konkrete Ideen formuliert, was man künftig in einer Pandemie besser machen könnte. Dazu zählt auch, die hausärztliche Forschungsinfrastruktur zu verbessern. Was ist hier konkret geplant?

Wir müssen uns als hausärztlicher Versorgungsbereich besser artikulieren. Wir sind mit 55.000 Hausärztinnen und Hausärzten noch nicht so gut aufgestellt. Wir brauchen hier eine institutionalisierte Forschungsinfrastruktur. Jedes Institut betreibt Versorgungsforschung, dazu haben wir DESAM-ForNet installiert, gemeinsam mit der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V. Wir arbeiten also daran, unsere vorhandene Versorgungsforschung so zu bündeln, dass wir schneller agieren können.

Bündeln – oder auch ausbauen?

Erst einmal bündeln, weil schon sehr viel vorhanden ist. Den Praxisklimaindex, den wir während der Pandemie regelmäßig erhoben haben, wollen wir weiterführen und ausbauen. Wir müssen hier schneller werden, brauchen bessere Monitoring-Tools, um Stimmungen aus den Praxen schneller einfangen zu können.

Die Hausärzte haben außerdem bei der practica angeregt, den Pandemieplan zu überarbeiten. Wo sehen Sie hier den größten Ansatzpunkt?

Es geht vor allem darum, Kommunikation und Koordination zu verbessern. Die Kommunikation ist unser Hauptkritikpunkt. Sie ist zu schlecht gelaufen.

Last but not least wünschen sich die Hausärzte eine verbesserte Health Literacy.

Wir brauchen klare Botschaften. Die Gesundheitskompetenz hat in der Pandemie leider nicht zugenommen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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