Der FallEine Zecke im Bauchnabel

Über Zecken und durch Zecken übertragene Krankheiten kursieren hierzulande sehr viele Geschichten. Patienten mit klaren Worten über reale Risiken aufzuklären, kann ihnen sehr helfen. Wir fragten einen niedergelassenen Allgemeinmediziner aus dem ländlichen Bereich sowie den Leiter des Nationalen Referenzzentrum für Borrelien zu ihrem Vorgehen im Fall "Vater und Tochter N.".


Das sagt der Hausarzt

Solche Fälle sehe ich sehr häufig. Ich entferne die Zecke zunächst vollständig mit Hilfe einer Pinzette. Um das Tier nicht unnötig zu reizen, desinfiziere ich die Stichstelle bewusst erst nach Entfernung gründlich. Ich ermutige Vater und Kind, in Zukunft die Zecke auch so früh wie möglich selbstständig, zum Beispiel mit Hilfe einer Zeckenkarte zu entfernen. Ich erläutere ihnen, dass die Zecke hautnah, langsam und kontrolliert herausgezogen werden soll, möglichst ohne Drehen, und ohne den Kopf abzureißen oder den Leib zu quetschen, denn Borrelien gelangen aus dem Verdauungstrakt der Zecke und deren Speichel in die Haut des Menschen. Da die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung von Borrelien im Gegensatz zur FSME mit der Dauer des Saugaktes steigt, ist es wichtig, die Zecke so früh wie möglich zu entfernen. Ich beruhige die kleine Patientin und den Vater damit, dass bei nur fünf Prozent der gestochenen Patienten eine Infektion – Serokonversion – mit Borrelien erfolgt, aber nur ein Prozent erkrankt.

Bei uns im Kreis Viersen sind noch keine FSME Fälle beobachtet worden. Gerne zeige ich Patienten die aktuelle Google-Maps-Karte unter www.zecken.de zur Verbreitung der FSME. Hier kann ich die Postleitzahl eingeben und den aktuellen individuellen Gefährdungsgrad exakt darstellen. Eine FSME Impfung ist prinzipiell nur bei Exposition gegenüber Zecken in FSME-Risikogebieten zu empfehlen.

Wer von einer Zecke gestochen wurde, ist häufig auch von weiteren Zecken befallen. Deshalb inspiziere ich bei N. die gesamte Hautoberfläche, insbesondere auch Areale, die sie alleine nicht untersuchen kann. Anschließend kläre ich den Vater ausführlich zu Warnzeichen einer Borreliose auf. Die Eltern sollten in den nächsten vier Wochen auf eine kreisförmige, großflächige Rötung der Haut achten. Diese Wanderröte tritt häufig im Bereich des Zeckenstiches, aber auch an anderen Körperstellen auf. Unverzüglich sollten sie dann einen Arzt aufsuchen, damit eventuell ein Antibiotikum gegeben werden kann. Ebenso sollten sich die Eltern sofort melden, wenn das Kind über Fieber, Gelenkschmerzen, Gesichtslähmungen oder Kopfschmerzen klagt.

Das Einsenden von Zecken ins Labor zu einer PCR-Untersuchung empfehle ich nicht. Die Untersuchung gilt nicht als evidenzbasiert, und Vorteile für den Patienten sind nicht gesichert.

Dr. med. Michael Fritz ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Sportmediziner und niedergelassener Hausarzt in Vierse


Das sagt der Facharzt

Der Bauchnabel ist ein schwieriger Ort. Aber hier gilt wie überall: So früh wie möglich heraus mit der Zecke. Das Entfernungsin-strument ist dabei ziemlich egal. Ob es schadet, wenn die Zecke beim Entfernen gequetscht wird – dazu gibt es unterschiedliche Publikationen. Manche sagen, die Manipulation macht nichts, andere zeigen einen Unterschied. Meiner Meinung nach kann man die Zecke auch mal mit den Fingernägeln entfernen, wenn es nicht anders geht. Je länger die Zecke saugt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Infektion. Die Borre–lien hängen zunächst wie am Kleiderbügel physiologisch inaktiv an der Darmwand der Zecke. Durch die Blutmahlzeit verändern sie ihre Oberfläche, lösen sich vom „Kleiderbügel“ und wandern durch die Zecke in die Speicheldrüse von wo sie auf das Opfer übertragen werden. Auf diesem Weg beladen sie sich mit Substanzen aus der Zecke die vor dem Abwehrsystem des Opfers schützen. Das ist ein sehr komplexer Vorgang, und seine Dynamik hängt auch davon ab, welche Borrelien-Spezies in der Zecke sitzt. Wir wissen, dass es von Borrelia burgdorferi sensu lato mehr als 20 Spezies gibt, sechs von ihnen sind gesichert humanpathogen, davon kommen fünf in Deutschland vor. Welche Vorgänge bei den einzelnen Spezies genau passieren und wann, ist bisher wenig bekannt. Deshalb können wir auch keinen genauen Zeitpunkt festlegen, ab dem eine Infektion wahrscheinlich wird. Wir wissen jedoch, dass bis zu zehn Stunden wenig passiert. Im Schnitt kommt es bei 100 Zeckenstichen zu einer klinisch manifesten Borreliose. Aber wie hoch das Risiko bei jedem einzelnen Stich ist, lässt sich nicht sagen. Sie können am Grillplatz zum Beispiel eine Zeckenpopulation haben, bei der 60 Prozent Borrelien tragen, und dann um die Ecke zum nächsten Gebüsch kommen, wo nur jede Zehnte infiziert ist. Das Einschicken der Zecke ist nicht zu empfehlen. Bei den üblichen Tests kommt dann möglicherweise B. burgdorferi sensu lato heraus. Nachdem Studien zeigen, dass keine relevante Assoziation zwischen Borre-liennachweis in der Zecke und einer Erkrankung besteht, hat diese Untersuchung keine therapeutische Konsequenz. Falls ein Teil der Zecke, meistens ist es der Stechrüssel, in der Haut verbleibt, besteht dadurch kein erhöhtes Risiko für eine Borrelieninfektion. Sollte es zu einer Borreliose kommen, sind die Heilungschancen bei einer frühen Manifestation sehr gut. Es gibt keine Resistenzentwicklung bei den Borrelien. Die empfohlenen Antibiotika wirken noch immer, einem sechsjährigen Kind könnte man bei einer Erkrankung zum Beispiel Amoxicillin geben.

Dr. med. Volker Fingerle leitet das Nationale Referenzzentrum für Borrelien am Bayerischen Landesamt für Gesundheit- und Lebensmittelsicherheit in Oberschleißheißheim


Das sagt die Evidenzbasierte Medizin

Zur Diagnostik und Therapie von neurologischen Manifestationen der Lyme-Borreliose bei Kindern und Erwachsenen hat die Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2018 die Leitlinie „Neuroborreliose“ mit der höchsten Entwicklungsstufe (S3) herausgegeben. Sie enthält auch Empfehlungen zum Vorgehen bei einem Zeckenstich und zur Behandlung des Erythema migrans, die dem oben Gesagten entsprechen. Herausgeber der aktuell gültigen S2k-Leitlinie „Kutane Lyme Borreliose“ ist die Deutsche Dermatologische Gesellschaft. Beide Leitlinien gehen auch auf das sogenannte Posttreatment Lyme Disease Syndrome (PTLDS) ein, bei dem ein Nutzen von wiederholten und langzeitigen Antibiotikabehandlungen nicht belegt ist. Geplant ist eine S3-Gesamtleitlinie „Lyme-Borreliose – Diagnostik und Therapie“. Zur Frühsommer-Meningoenzephalitis existiert eine gleichnamige S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. (Abzurufen unter: www.awmf.org). Für beide Erkrankungen findet man ausführliche Informationen und Antworten auf häufig gestellte Fragen auf den Seiten des Robert-Koch-Institutes (www.rki.de). Für die Borreliose besteht in Deutschland keine bundesweite Meldepflicht, aber in einzelnen Bundesländern gibt es ergänzende Verordnungen. Für FSME besteht eine bundesweite Labormelde-pflicht.


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