Experten-InterviewWas tut sich in der Diabetes-Therapie?

Die Diabetes-Therapie befindet sich in einem ständigen Wandel,nach wie vor wird an neuen Therapieoptionen gearbeitet. Zum aktuellen Stand der Forschung befragten wir Privatdozentin Dr. med. Susanne Reger-Tan vom Universitätsklinikum Essen.

?Lange Zeit hieß es, die Diabetes-Therapie könne nur den Blutzucker senken, habe aber keinen Einfluss auf die Mortalität und die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse. Hat sich in dieser Hinsicht etwas geändert?

Reger-Tan: Ja, neue Therapieoptionen nützen nicht nur dahingehend, dass der Blutzucker besser eingestellt ist. Es konnte nun nachgewiesen werden, dass sie sich bei Typ-2-Diabetikern auch auf diabetesspezifische Komplikationen wie das Herzinfarktrisiko, das Schlaganfallrisiko und das Überleben des Patienten positiv auswirken. Das gilt für den SGLT2-Inhibitor Empagliflozin und das Inkretin-Analogon Liraglutid. Inzwischen mehren sich aber zumindest bei den Inkretin-Analoga die Hinweise darauf, dass es sich um einen Gruppeneffekt handelt.

Diese Effekte sind durchaus klinisch relevant, denn Diabetiker sterben wegen solcher Komplikationen durchschnittlich sechs Jahre früher als Menschen ohne Diabetes. Wir sind sehr froh über diese neuen Daten. Eine derartige Risikoreduktion war bisher nur für Metformin nachgewiesen.

?Kommt der positive Effekt der neuen Substanzen nur durch die Blutzuckersenkung oder durch zusätzliche medikamentenspezifische Wirkungen zustande?

Reger-Tan: Es wurde auch gezeigt, dass sie das Auftreten einer fortschreitenden Niereninsuffizienz und Dialysepflichtigkeit verzögern und die Häufigkeit von Herzinsuffizienz-bedingten Hospitalisierungen reduzieren können. Diese Substanzgruppen scheinen über die Blutzuckersenkung hinaus zusätzliche kardiometabolisch günstige Wirkmechanismen zu haben. Bei SGLT2-Hemmern sieht man, dass die Schere zwischen der Behandlungsgruppe und Placebo schon nach drei Monaten auseinander geht. Daher ist davon auszugehen, dass allein die Verbesserung der Stoffwechsellage nicht der alleinige Grund für diesen Effekt ist. Dazu gibt es verschiedene Hypothesen. Es könnte sein, dass der diuretische Effekt der SGLT2-Inhibitoren dafür verantwortlich ist, wenn auch nicht als einziger Mechanismus. Bei der Thrifty-substrate-Hypothese geht man davon aus, dass der Effekt der SGLT2-Inhibitoren über eine Stimulation der Ketonsynthese erklärbar ist. Es entstehen mehr Ketone, die als alternatives, energetisch günstigeres Energiesubstrat für das Herz verwendet werden können und somit dafür sorgen, dass das insuffiziente diabetische Herz wieder effizienter arbeiten kann. Die Kehrseite der Medaille dieses Effekts könnten die Fallberichte mit eugklykämischer Ketoazidose als Nebenwirkung der SGLT-Inhibitor-Therapie sein. Das Risiko scheint jedoch mit 1/1000 Patientenjahre eher gering zu sein.

?Verändern diese Erkenntnisse die Diabetes-Therapie?

Reger-Tan: Wir beginnen die Therapie weiterhin mit Metformin, weil hierfür die Daten zur Prognoseverbesserung am längsten vorliegen und wir damit die längste Erfahrung haben. Es ist zudem ein preisgünstiges Medikament. Metformin bleibt weiterhin das Standardmedikament Nummer 1. Ein früher und möglichst langdauernder Einsatz von Metformin wäre wünschenswert. Neu ist die Empfehlung der amerikanischen und europäischen Diabetesgesellschaften (ADA und EASD), für bestimmte Patientengruppen, nämlich solche mit Diabetes und koronarer Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, chronischer Nierenerkrankung oder Übergewicht als zweite Therapieoption Präparate mit positiven Endpunktdaten zu verwenden. Ich gehe davon aus, dass die deutschen Leitlinien bald nachziehen werden.

?Die Nationale Versorgungsleitlinie wird gerade aktualisiert. Die neuen Substanzen werden bisher aber nur sehr zurückhaltend für ausgewählte Diabetiker mit Herzerkrankungen empfohlen. Wird sich das ändern?

Reger-Tan: Der Effekt von Empagliflozin und Liraglutid wurde bei Patienten mit Diabetes getestet, die überwiegend bereits eine Herzerkrankung aufwiesen. Durch Dulaglutid konnten nach Herstellerangaben nun auch positive Ergebnisse bei Patienten mit Diabetes gezeigt werden, die überwiegend noch keine bekannte Herzerkrankung haben. D.h. dass auch Diabetiker, die noch keine manifeste Herzerkrankung haben, hinsichtlich des Auftretens von Herzerkrankungen und hinsichtlich des Überlebens von einer Therapie mit dieser Substanz profitieren. Die genauen Ergebnisse dieser Studie werden im Herbst erwartet.

?Sind in der medikamentösen Diabetes-Therapie weitere Neuerungen zu erwarten?

Reger-Tan: Derzeit wird untersucht, wie die Kombinationen der verschiedenen Präparate wirken. Da sie auf unterschiedliche Weise auf den Kardiometabolismus wirken, möchte man herausfinden, ob sie einen additiven Effekt haben. Auch eine Ausweitung der Indikation wäre denkbar, so wird der Einsatz von SGLT2-Inhibitoren auch bei Typ-1-Diabetes untersucht. Ein weiterer Ansatz ist, auch SGLT1 zu inhibieren. SGLT1 wird in Magen und Darm exprimiert und beeinflusst die Kohlenhydratresorption. Außerdem wird untersucht, ob man einen SGLT2-Inhibitor auch bei Patienten mit Herzinsuffizienz, aber ohne Diabetes einsetzen kann. Inkretin-Analoga wird es in Zukunft wahrscheinlich mit längerer Wirkdauer und auch in oraler Form geben, dann entfällt für den Patienten die aktuelle noch für ihn möglicherweise unangenehme subkutane Injektion.

?Was tut sich bei der Insulin-Therapie?

Reger-Tan: Man versucht, die Insulin-Therapie für die Patienten angenehmer zu machen. Derzeit untersucht man, ob Insulin auch in Form eines Nasensprays eingesetzt werden kann. Darüber hinaus befindet sich ein Smart Insulin Patch in der Entwicklung. Dabei wird das Insulin zusammen mit einer Glukoseoxidase von einem hypoxiesensitiven Polymer ummantelt und in die Mikrodornen eines Pflasters gepackt. Das Pflaster wird auf die Haut gelegt und die Dornen befinden sich dann schmerzfrei im subkutanen Fettgewebe. Wird Glukose vom Blut ins Gewebe abgegeben, dann wird abhängig vom Glukosespiegel eine Enzymreaktion und eine anschließende Hypoxie ausgelöst. Das Ausmaß der Enzymreaktion und damit der Abbau der Polymerummantelung erfolgt damit abhängig von der Gewebeglukosekonzentration vor Ort. Die Menge des vom Pflaster freigesetzten Insulins wird durch die Glukosemenge gesteuert, das entspräche quasi einem endokrinen Mikropankreas.

?Auch eine Magenverkleinerung könnte eine Option für die Diabetes-Therapie sein. Was bringt sie?

Reger-Tan: Durch die bariatrische Chi-rurgie kann sich der Zuckerstoffwechsel sehr schnell bessern. Dies geschieht nicht nur durch die Gewichtsreduktion, sondern weil durch den Bypass bestimmte Hormonsignale verbessert werden, so dass die Patienten rasch keine Diabetes-Therapie mehr benötigen. Der Effekt der bariatrischen Chirurgie hält lang an.

In Studien waren die Patienten 10 Jahre nach der Operation noch diabetesfrei und benötigten keine Medikamente mehr oder nur in einer deutlich geringeren Dosis. Allerdings ist die Operation nur für Patienten mit einer Adipositas Grad III oder einem BMI von 35 kg/m² mit Komorbiditäten geeignet, denn die Konsequenzen sind extrem. Das Magenvolumen wird extrem reduziert, der Dünndarm wird zum großen Teil ausgeschaltet, die Resorptionsstrecke wird bis auf einen Meter verkürzt. Die Patienten müssen daher ihr Leben lang damit zurechtkommen, häufig kleine Mahlzeiten zu sich zu nehmen und sie müssen auf eine gesunde Ernährung achten und Vitamine regelmäßig substituieren, weil viel schneller Mangelerscheinungen auftreten können.

?Welche neuen Erkenntnisse gibt es zum Einfluss des Lebensstils?

Reger-Tan: Man darf nicht unterschätzen, dass eine Intensivierung einer Lebensstiländerung signifikant zu einer Verbesserung der Glukosestoffwechsellage führen kann. Eine aktuelle Studie*, die im hausärztlichen Setting durchgeführt und 2018 hochrangig publiziert wurde, zeigt, dass bei übergewichtigen bis adipösen Patienten mit Typ-2-Diabetes ohne Insulintherapie durch eine intensive Lebensstiländerung mit Einsatz einer Formula-Diät 25 Prozent der Patienten eine Gewichtsreduktion von 15 kg und mehr und eine Remission des Diabetes in 45 Prozent der Fälle erreicht werden konnte. Diese Daten sind sehr spannend und alltagsnah. Wir als behandelnde Ärzte können mit den Patienten gemeinsam in der Behandlung des Diabetes viel erreichen.

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