Neue NVL DiabetesDas große Aufräumen bei den Medikamenten

Die neue Nationale Versorgungsleitlinie Diabetes wurde lange erwartet, vor allem weil die bislang zwei Therapiealgorithmen zu einem werden sollten. Hat sich die Hoffnung erfüllt?

In der neuen NVL Diabetes gibt es nur noch einen Therapiealgorithmus.

Die Gültigkeit der zuletzt im November 2014 aktualisierten Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) „Therapie des Typ-2-Diabetes“ endete am 1. August 2018. Die Auswahl der Medikamente war schon beim Erstellen der NVL umstritten:

Denn es gab zwei unterschiedliche Empfehlungsstränge von Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und Deutscher Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) einerseits sowie Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) andererseits.

Da eine Reihe neuer Studien zu den (damals) kontroversen Substanzen vorliegt, werden die neuen Empfehlungen mit Spannung erwartet – eine Vorschau.

Eine für alles

Neben der abgelaufenen Leitlinie zur Therapie des Typ-2-Diabetes gab/gibt es eine Reihe weiterer NVL zu Diabetes:

  • Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter
  • Strukturierte Schulungsprogramme
  • Nierenerkrankungen im Erwachsenenalter
  • Präventions- und Behandlungsstrategien für Fußkomplikationen
  • Prävention und Therapie von Netzhautkomplikationen bei Diabetes

Bis auf die NVL zu Netzhautkomplikationen sind alle Teile abgelaufen. Ende 2016 wurde beschlossen, die Einzelpapiere im Rahmen der Überarbeitung in einer einzigen neuen NVL zusammenzuführen.

Mitte Juli dieses Jahres wurde eine vorläufige Fassung der ersten beiden Teile („Partizipative Entscheidungsfindung und Teilhabe in allen relevanten Lebensbereichen“ sowie „Medikamentöse Therapie des Glukosestoffwechsels“) bis 27. August zur Konsultation bereitgestellt.

Erweitert: Bedeutung der partizipativen Entscheidungsfindung

In der alten NVL kam das Wort „partizipativ“ nicht vor. Man sprach vielmehr auf einer halben Seite von „Shared Decision-Making“. Der Nutzen dieser patientenzentrierten Kommunikation hinsichtlich des HbA1c-Werts sei zwar in einigen Studien signifikant gewesen, in anderen aber nicht, hieß es dazu in der alten NVL.

In der Konsultationsfassung der geplanten neuen NVL nehmen die „partizipative Entscheidungsfindung und die Teilhabe in allen relevanten Lebensbereichen“ 15 Seiten ein. Darin enthalten ist auch ein Abschnitt über Therapieadhärenz.

Therapieziele neu eingeteilt

Neu ist die Einteilung von Therapiezielen in „übergeordnet“ (z.B. Unabhängigkeit erhalten), „funktionsbezogen“ (z.B. Erhalten der Sehkraft, Auto fahren) und „krankheitsbezogen“ (z.B. Folgeschäden vermeiden, Schmerzen verringern). Vergeblich sucht man aber Angaben, wie sich solche eher abstrakten Ziele in konkrete Behandlungsvorgaben (für HbA1c, Blutdruck usw.) übersetzen lassen.

So wird in der neuen NVL in einem realen Fallbeispiel als funktionsbezogenes Ziel „eventuell wieder Tanzen können“ genannt, aber nicht diskutiert, wie man es erreichen könnte.

Patientenrelevante Endpunkte darstellen

Hinzugekommen ist ferner ein Abschnitt über Risikokommunikation. Danach sollen Nutzen und Schaden immer anhand patientenrelevanter Endpunkte und priorisierter Therapieziele diskutiert und dabei als absolute Ereignishäufigkeiten ausgedrückt werden. Ein Beispiel: „Von 1.000 Patienten, die Medikament A nehmen, leben nach drei Jahren noch 943. Von 1.000 Patienten unter Placebo noch 917. Medikament A hat also in drei Jahren 26 Menschen vor dem vorzeitigen Tod bewahrt.“

Wichtig: Zur Risikokommunikation gehört auch, dass Ärzte den Verzicht auf eine Maßnahme als eine Option aufzeigen sollen.

Bei anstehenden gesundheitsbezogenen Entscheidungen bezüglich des Typ-2-Diabetes soll die Gesprächsführung zwar entsprechend dem Konzept der partizipativen Entscheidungsfindung erfolgen. Der Nutzen dieses Ansatzes wird aber nach wie vor als „nicht festgestellt“ oder „nicht deutlich“ eingestuft. Welche Schritte für die partizipative Entscheidungsfindung nötig sind, zeigt Abbildung 2 aus der NVL.

Beschrieben wird in der Konsultationsfassung ferner, wie mit ungenügender Therapieadhärenz, das heißt dem Nicht-Erreichen von Behandlungszielen, umzugehen ist. Dafür werden zwar einige Schritte genannt, zum Beispiel „Analyse von Faktoren auf Seite der Patienten bzw. der Behandelnden“. Aber es fehlt wie schon beim Vereinbaren von Therapiezielen der Bezug zu konkreten Behandlungsvorgaben.

HbA1c, Lipide, Gewicht und Blutdruck

Es fällt auf, dass die „spezifische Therapiezielfindung für Stoffwechsel, Gewicht und Bluthochdruck“ erst nach der ausführlichen Diskussion der einzelnen Wirkstoffgruppen beschrieben wird. Für konkrete Angaben zu den Lipiden wird auf die NVL chronische KHK verwiesen, für den Blutdruck auf die ESC/ESH-Leitlinie zur arteriellen Hypertonie. Die Empfehlungen zum Gewicht werden noch erarbeitet (nicht-medikamentöse Therapie).

Weiterer Zielkorridor für HbA1c

Als Zielkorridor für das HbA1c nennt die Konsultationsfassung einen Bereich von 6,5 bis 8,5 Prozent, die alte Fassung sprach noch von 6,5 bis 7,5 Prozent „zur Prävention von Folgekomplikationen“. Welche Aspekte für das HbA1c-Ziel künftig zu berücksichtigen sind, fasst Abbildung 8 der NVL zusammen.

In der neuen NVL wird ein HbA1c-Ziel unter 6,5 Prozent nicht mehr diskutiert. In der abgelaufenen Fassung hieß es noch, dass ein Ziel unter 6,5 Prozent nur zu verfolgen sei, wenn es ausschließlich mit Lebensstiländerung oder Medikamenten ohne erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen und mit belegtem Endpunktnutzen erreicht werden könne.

Medikamentenwahl – nur ein Algorithmus

In der abgelaufenen NVL schieden sich die Geister bei der Auswahl der Medikamente. AkdÄ und DEGAM einerseits sowie DDG und DGIM andererseits gaben unterschiedliche Empfehlungen, wenn Lebensstiländerungen allein oder zusammen mit Metformin das Therapieziel nicht erreichten. Während AkdÄ/DEGAM bisher zusätzlich Insulin, Glibenclamid oder ein Gliptin (DPP-4-Hemmer) empfahlen, schlugen DDG/DGIM die Erweiterung um unter anderem Gliptine, GLP1-Agonisten, Insulin, Gliflozine (SGLT2-Hemmer) und Sulfonylharnstoffe vor.

Den neuen Algorithmus (s. Abb. 6 der NVL) tragen jetzt alle Fachgesellschaften. Erwartungsgemäß sind Lebensstilveränderungen wieder die Basis aller Therapiemaßnahmen, die um Metformin erweitert werden, wenn damit allein das Therapieziel verfehlt wird.

Individuelles Risiko ausschlaggebend

Welche Wirkstoffe bei Bedarf zusätzlich zu Metformin verordnet werden, hängt nun vom Risiko für diabetesassoziierte kardiovaskuläre und/oder renale Ereignisse ab. Besteht eine klinisch relevante kardiovaskuläre Erkrankung oder ist das Risiko dafür hoch, kommen zusätzlich SGLT2-Hemmer oder GLP1-Agonisten zum Einsatz. Sie werden abhängig von ihren Effekten auf die im Einzelfall priorisierten Endpunkte wie Gesamtmortalität, kardiovaskuläre, mikrovaskuläre und renale Ereignisse, Hypoglykämien und Entwicklung des Körpergewichts ausgewählt.

Gemäß einer Übersicht dazu in der neuen NVL sind für Sulfonylharnstoffe und Gliptine keine relevanten Risikoreduktionen belegt, aber im Fall der Sulfonylharnstoffe steigt das Gewicht und es können schwere prolongierte Hypoglykämien auftreten. Sulfonylharnstoffe und Gliptine werden daher vermutlich künftig nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Der Alphaglukosidasehemmer Acarbose wird in der neuen NVL nicht mehr erwähnt.

Sonderfall Insulin

Auch für Insulin ist die Evidenz zur Endpunktreduktion dünn, das heißt es gibt nur aus methodisch nicht hochwertigen Studien Hinweise auf das Senken mikrovaskulärer Endpunkte – zum bekannten Preis des Hypoglykämierisikos und des Gewichtsanstiegs.

Selbstverständlich bleibt Insulin immer noch Mittel der Wahl bei schwerer Stoffwechseldekompensation. Eine mögliche Indikation ist ferner gegeben bei Gabe diabetogener Medikamente (etwa Glukokortikoide) oder bei eingeschränkter Nierenfunktion.

Wichtig: Ausdrücklich weist die neue NVL darauf hin, eine Deeskalation der Insulintherapie zu prüfen, wenn die Indikation nicht mehr besteht, die Zielwerte erreicht wurden, Hypoglykämien auftreten oder sich das Therapieziel ändert (z.B. wegen Multimorbidität).

Die erste Stufe einer Insulintherapie besteht in der Ergänzung von Metformin (alleine oder in Kombination mit SGLT2-Hemmer/GLP1-Agonist, siehe oben) um ein Basalinsulin (zunächst nur zur Nacht). Die weiteren Stufen sind die Kombination von Basalinsulin und kurzwirksamem Insulin und schließlich die intensivierte Insulintherapie.

An Insulinanaloga scheiden sich die Geister

Ganz ohne abweichende Voten der Fachgesellschaften kommt aber auch der Entwurf der künftigen NVL nicht aus: Während bei den langwirksamen Insulinen AkdÄ/DEGAM keinen Vorteil für Insulinanaloga gegenüber NPH-Insulin sehen, favorisieren DDG und DGIM Insulin degludec, detemir und glargin.

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