HandchirurgieAbgetrennte Arme und Zehen als Ersatz-Finger

Heute ist in der Handchirurgie vieles möglich. Manche Gefahr wird aber unterschätzt. Ein Chefarzt über Katzenbisse, künstliches Gewebe und das richtige Verpacken abgetrennter Gliedmaßen.

Zukunftsmusik: Eine bionische Ersatzhand in Massenproduktion.

Frankfurt/Main. Ohne Mühe greift der Patient zu einem Glas Wasser, reicht es von der linken in die rechte Hand und zurück. „Ein sensationelles Ergebnis“, kommentiert sein Arzt. Was für andere Menschen nichts Besonderes wäre, kommt bei dem 73-Jährigen einem Wunder gleich: 2013 war der Landwirt bei Schreinerarbeiten mit beiden Armen in eine Bandsäge geraten. Der rechte Unterarm wurde komplett abgetrennt, der linke hing gerade noch so dran. Nun ist er zu einer weiteren Nachuntersuchung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (BGU) in Frankfurt.

Die Klinik steht kurz vor einem runden Jubiläum: Am 18. August 1969, vor 50 Jahren, wurde die Abteilung für Handchirurgie gegründet – als eine der ersten in Deutschland. Heute leitet sie Chefarzt Michael Sauerbier. In seinem Team arbeiten 9 Oberärzte und 14 Fach- und Assistenzärzte.

Spektakulär weil wichtig

Handchirurgen schaffen es mit spektakulären Operationen auch immer wieder in die Medien. Gerade erst wurde in München in einer fast zehnstündigen Operation einem 13-Jährigen nach einem Badeunfall ein abgerissener Unterarm wieder angenäht. Sauerbiers Vorgänger hat schon in den 1990er Jahren einem Fünfjährigen, der alle Finger einer Hand verloren hatte, drei Zehen abgenommen und daraus Ersatz-Finger modelliert.

Natürlich sind nicht alle Fälle so spektakulär. Aber: „In der Handchirurgie sind auch Bagatellverletzungen sehr speziell“, sagt Sauerbier. Wer nur beim Tomatenschneiden mit dem Messer abrutscht, durchtrennt oft schon zwei Sehnen, zwei Nerven, zwei Gefäße und mit etwas Pech auch noch den Knochen. Hände sind nicht nur enorm wichtig für uns Menschen, sie sind auch besonders gefährdet.

Katzenbisse: Oft unterschätzte Gefahr

40 Prozent aller Arbeitsunfälle sind Statistiken der Berufsgenossenschaften zufolge Handverletzungen. Neben Arbeitsunfällen sind auch Gartengeräte, Teppichschneider oder Motorradfahren Risikofaktoren. Schnitte, Brüche oder Quetschungen gehören zu den häufigsten Schäden. Eine unterschätzte Gefahr sind Tierbisse in die Hand, sagt Sauerbier. Nach einem Katzenbiss sollte man solche Wunden sofort im Krankenhaus ansehen lassen.

„Die Mikrochirurgie war der entscheidende Schritt, dass die Plastische Chirurgie da heute ist, wo sie ist“, sagt Sauerbier. Man könne Haut, Muskeln und Nerven „an einem ernährenden Gefäß“ komplett von einem Ort im Körper an einen anderen verpflanzen. Häufig werden dafür dem Rücken oder dem Oberschenkel Gewebeteile entnommen. Anders als zum Beispiel bei einer Brust-Rekonstruktion nach einem Tumor sei es aber „immer sehr aufwendig, eine Hand wiederherzustellen“.

Erfahrung bestimmt den OP-Ausgang

In Fällen mit gutem Ausgang wie dem Unfall des Landwirts werden Gliedmaßen sauber abgetrennt und können wieder angenäht werden. Einfach ist das natürlich keineswegs. Jeder winzige Nerv, jede millimeterdünne Ader müssen verbunden werden, „das erfordert erhebliche Perfektion“, sagt Sauerbier. Wenn das Gewebe aus einer anderen Körperregion entnommen werden muss, sind acht bis zehn Kollegen im Einsatz. Ein Team ist für die Entnahmeregion zuständig, eines für die Empfängerregion. Ob es klappt liegt laut Chefarzt vor allem an einem Faktor: „Erfahrung“.

Die Methoden, Hände wieder anzunähen oder zu rekonstruieren, seien feiner geworden, sagt Sauerbier, die technischen Hilfsmittel wie Mikroskope besser. „Für die Behandlung der Hand stehen uns zunehmend neue Verfahren zur Verfügung“, sagte Andreas Eisenschenk, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie (DGH), im Juni beim bislang weltgrößten internationalen Kongress für Handchirurgie und Handtherapie in Berlin. Vor der Operation erleichterten zum Beispiel 3D-Modelle die genaue Planung einer Operation.

Ohne Facharzt-Anerkennung

Deutschland sei flächendeckend mit Zentren für Handchirurgie versorgt, sagt DGH-Generalsekretär Jörg van Schoonhoven. Eine besonders große Bedeutung und die längste Tradition habe die Handchirurgie an den neun Berufsgenossenschaftlichen Kliniken Deutschlands. Aber auch an anderen Häusern gebe es eigenständige Abteilungen, zum Beispiel in Bad Neustadt an der Saale, wo van Schoonhoven tätig ist. Die Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie zählt 1.100 Mitglieder und kämpft darum, den Handchirurgen als eigenständigen Facharzt zu etablieren.

Grenzen des heute Machbaren

Trotz vieler Ärzte, großer Spezialisierung und langer Erfahrung gibt es Grenzen des Machbaren. Zum Beispiel ist die Zeit, innerhalb derer ein abgetrenntes Körperteil erhalten werden kann, nicht länger geworden. Bei einem Arm liegt die sogenannte Ischämiezeit bei rund sechs, bei einem Finger bei etwa zehn Stunden – wenn er „gut gelagert ist“, sagt Sauerbier. Gekühlt, aber nicht direkt im Eis, rät der Experte, in einem sterilen Behälter, der mit Eis gekühlt wird.

„Ich habe 100-fach Glück gehabt“, sagt der Landwirt sechs Jahre nach seinem Unfall. Sein Sohn fand den ohnmächtigen Vater, der Mieter wurde zum Ersthelfer, Opfer plus fachmännisch verpackter Arm wurden nach Frankfurt geflogen, in einer zehnstündigen Operation wurden der abgetrennte rechte und der halb abgerissene linke Arm wieder angenäht. „Ohne Sie hätte ich meinen Arm verloren“, sagt der 73-Jährige heute zu Sauerbier, „wenn nicht mein Leben“.

Nachzucht von Organen

Und die Entwicklung geht weiter. Dass Menschen, die eine Hand verloren haben, die Hand eines Toten transplantiert wird, ist kein Einzelfall mehr. An der BGU wurde ein solcher Eingriff noch nicht durchgeführt. Ein weiterer Forschungsansatz, der künftig die Handchirurgie revolutionieren könnte, ist das Züchten von Ersatzgewebe. Auf diese Entwicklung setzt Sauerbier große Hoffnung, auch wenn er heute sagt: „Soweit sind wir noch nicht.“

Quelle: dpa

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