Akutes Koronarsyndrom
Die aktuelle Therapie des akuten Herzinfarkts ermöglicht heute das Überleben von über 90 Prozent der in deutschen Krankenhäusern behandelten Patienten. Leider sterben viele Patienten bereits prähospital. Das in den Leitlinien empfohlene Management sieht für einen Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS) die primäre perkutane koronare Intervention (PCI) vor. Bereits präklinisch wird die medikamentöse antithrombotische Therapie initiiert, die sich aus Plättchenhemmung und plasmatischer Antikoagulation zusammensetzt. Eine Verbesserung der Infarktprävention und -therapie versprechen in Zukunft einerseits Strategien zur Beherrschung von Ischämie-Reperfu sions schäden und andererseits eine Optimierung der Primär- und Sekundärprophylaxe.
Duale Antiplättchentherapie: Generell wird in der Therapie eines akuten Koronarsyndroms (NSTEMI, STEMI oder instabile Angina pectoris) eine duale Plättchenhemmung für zwölf Monate empfohlen, unabhängig davon, ob eine PCI erfolgte und ob ein Bare-metal-Stent (BMS), ein Drug-eluting Stent (DES) oder ein bioresorbierbarer Scaffold (BVS) eingesetzt wurde. Die oralen ADP-Rezeptor-Hemmer Ticagrelor und Prasugrel sind seit einigen Jahren fest etablierte Kombinationspartner der Acetylsalicylsäure (ASS), die beim akuten Koronarsyndrom das Clopidogrel weitgehend ersetzt haben (Abb. 1).
Nach einer PCI bei Patienten mit stabiler KHK hingegen wird ASS auch weiterhin mit Clopidogrel kombiniert. In der Sekundärprophylaxe erscheint mit dem dualen Ansatz mit ASS und Prasugrel oder Ticagrelor die Thrombozytenhemmung weitgehend ausgereizt, auch wenn mit Vorapaxar seit 2015 auch eine Dreifachhemmung möglich ist (mit ASS und Clopidogrel).
Plättchenhemmung zwölf Monate oder länger? Die Revaskularisierungsleitlinien der europäischen kardiologischen Fachgesellschaften (ESC) von 2014 behalten die IB-Empfehlung für eine zwölfmonatige duale Plättchenhemmung nach ACS bei (und empfehlen sechs Monate nach elektiver PCI mit aktuellen DES bei stabiler KHK).
Seit der Veröffentlichung der DAPT-Studie im November 2014 schlägt das Pendel seither aber eher wieder in Richtung einer längeren dualen Therapiedauer aus – zumindest bei Patienten mit hohem Ischämierisiko. Es konnte durch eine um weitere 18 Monate verlängerte duale Plättchenhemmung mit ASS und einem Thienopyridin (Clopidogrel, Prasugrel) die Rate von Stentthrombosen von 1,4 Prozent auf 0,4 Prozent reduziert werden. Erwartungsgemäß waren moderate oder schwere Blutungsereignisse aber häufiger (2,5 versus 1,6 Prozent). Die harten klinischen Endpunkte Tod kardiovaskulärer oder anderer Ursache wurden durch die verlängerte Therapie weder in der DAPT-Studie noch in einer aktuellen Metaanalyse verhindert. Insgesamt eröffnen diese Daten aber die Möglichkeit einer fortgesetzten dualen Plättchenhemmung für Patienten mit hohem ischämischem und eher niedrigem Blutungsrisiko.
Neue Substanzen: Vorapaxar ist der erste Vertreter der oralen Protease-aktivierten Rezeptor-(PAR-)1-Antagonisten, die die thrombininduzierte Thrombozytenaktivierung hemmen (Abb. 1). In den Phase-III-Studien TRACER (ACS ohne ST-Hebung; zusätzlich zu ASS und Clopido grel) und TRA 2P-TIMI 50 (stabile Atherosklerose) ging die Reduktion ischämischer Ereignisse mit vermehrten Blutungen einher. Es fiel auf, dass insbesondere intrakranielle Blutungen bei denjenigen Patienten häufiger auftraten, die in der Vorgeschichte eine transitorische ischämische Attacke (TIA) oder einen Schlaganfall hatten. Weitere Analysen zeigten, dass Vorapaxar für Patienten mit vorausgegangenem Myokardinfarkt, aber ohne Schlaganfall/TIA-Ana mnese, insgesamt vorteilhaft war. Dementsprechend wurde Vorapaxar zur dreifachen Plättchenhemmung in Kombination mit ASS und Clopidogrel zugelassen. Die Kombination mit Ticagrelor oder Prasugrel wurde nicht untersucht.
Attraktiv ist das Konzept einer reversiblen ADP-Rezeptorhemmung mit kurzer Halbwertszeit mit Cangrelor in der stationären Therapie, weil hierdurch eine effektive Thrombozytenhemmung jederzeit an- und abschaltbar ist. Die periprozedurale Gabe von Cangrelor intravenös reduzierte ischämische Ereignisse gegenüber Placebo in der CHAMPION-PHOENIX-Studie signifikant (von 5,9% mit Clopidogrel auf 4,7 Prozent) und in der CHAMPION-PLATFORM-Studie (p = 0,2) und der CHAMPION-PCI-Studie (p = 0,6) numerisch. In einer gepoolten Analyse aller CHAMPION-Daten ergab sich ein positives Bild: Ischämische Ereignisse wurden bei leicht erhöhter Blutungsrate insgesamt signifikant reduziert. Dementsprechend wurde Cangrelor in Europa zugelassen.
Sekundärprophylaktische Antikoagulation: Mit einer sehr niedrigen Dosierung von Rivaroxaban (2 x 2,5 mg) in Kombination mit einer (überwiegend) dualen Thrombozytenhemmung mit ASS und Clopidogrel ist es in der ATLAS-2-Studie gelungen, bei ACS-Patienten ischämische Ereignisse zu verhindern, ohne relevante Blutungskomplikationen in Kauf nehmen zu müssen. Es kristallisierte sich ein Nettonutzen heraus: Die Gesamtsterblichkeit wurde von 4,5 Prozent unter Placebo auf 2,7 Prozent unter Rivaroxaban gesenkt. Dieser Effekt beruhte zu großen Teilen auf einer effektiven Verhinderung von Stentthrombosen. In einer Subgruppenanalyse der Patienten mit STEMI senkte Rivaroxaban die Gesamtsterblichkeit von 4,2 Prozent auf 2,0 Prozent. Zu beachten ist, dass die duale Thrombozytenhemmung in ATLAS 2 überwiegend aus ASS und Clopidogrel bestand, weil zu Studienbeginn Prasugrel und Ticagrelor noch nicht verfügbar waren. Eine Extrapolation der Ergebnisse auf die neueren ADP-Hemmer ist nicht ohne Weiteres möglich. Bei Vorhofflimmern oder Thromboembolie sollte das Ultraniedrigdosis-Regime vorerst nicht eingesetzt werden.
Antithrombotische Tripletherapie: Eine besondere Herausforderung ist die Behandlung von Patienten, die zur ACS-Therapie einen koronaren Stent erhalten haben und Patienten mit erhöhtem Schlaganfallrisiko sollten zur Schlaganfallprophylaxe eine plasmatische Antikoagulation benötigen, z. B. bei Vorhofflimmern mit erhöhtem Embolierisiko oder nach venöser Thromboembolie. Eine aktuelle Übersicht schlägt ein Schema bestehend aus ASS (4 Wochen), Clopidogrel (12 Monate), Marcumar (dauerhaft, Ziel-INR 2,0 – 2,5 innerhalb der ersten 12 Monate) und einem Protonenpumpeninhibitor (12 Monate) vor. Im Kern findet sich dieses einfache Schema auch im Mitte 2014 veröffentlichten Konsensuspapier der ESC.
Die Kombination der neuen Plättchenhemmer Ticagrelor oder Prasugrel mit Marcumar ist bislang nicht ausreichend belegt und wird wegen des erhöhten Blutungsrisikos nicht empfohlen. Eine Ausnahme können Patienten mit Stentthrombose unter bestehender Therapie mit Marcumar, ASS und Clopidogrel sein.
Auch der Einsatz direkter oraler Antikoagulanzien (DOAK) ist bislang nicht durch separate Studien mit dieser Fragestellung untermauert. Das Konsensuspapier extrapoliert aber aus Post-hoc-Analysen der Vorhofflimmernstudien ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil und schlägt den Einsatz von Marcumar oder DOAK in der Tripletherapie als äquivalente Alternativen vor. Insgesamt unterstützen aktuelle Daten zunehmend die Strategie, eine antithrombotische Tripletherapie möglichst kurz zu halten.
Vorhofflimmern
Patienten mit erhöhtem Schlaganfallrisiko (CHA2DS2-VASc-Score größer gleich 1) sollten zur Schlaganfallprophylaxe eine plasmatische Antikoagulation in therapeutischer Dosierung erhalten. Abzuwägen ist im Einzelfall ein relevant erhöhtes Blutungsrisiko (HAS-BLEDScore größer gleich 3), insbesondere in Fällen mit geringem bis moderatem Embolierisiko. Neben Vitamin-K-Antagonisten stehen direkte orale Antikoagulanzien zur Verfügung. In aller Regel wird die Antikoagulation dauerhaft empfohlen. Für Patienten mit erhöhtem Embolierisiko, die nicht antikoaguliert werden können, bietet der interventionelle Vorhofohrverschluss eine effektive Alternative.
Dabigatran: In der RE-LY-Studie zeigte Dabigatran eine überlegene Sicherheit bei äquivalenter Wirksamkeit in der Dosierung 2 x 110 mg und eine überlegene Wirksamkeit bei ähnlicher Sicherheit mit 2 x 150 mg. Registerdaten verdeutlichen Probleme in der klinischen Praxis: Eine neuseeländische Erhebung von Blutungskomplikationen identifizierte Unsicherheiten in der Verschreibungspraxis als Ursache von 25 Prozent der Blutungen. Es fiel auf, dass in einigen Fällen bei der Umstellung von VKA auf Dabigatran der geforderte INR-Abfall auf < 2,0 nicht abgewartet wurde oder dass trotz Niereninsuffizienz oder niedrigem Körpergewicht keine Dosisanpassung vorgenommen wurde. In einigen Fällen wurde auch die Kontraindikation bei einer Kreatininclearance (CrCl) < 30 ml/min außer Acht gelassen. Mit Idarucizumab wird voraussichtlich bald ein spezifisches Antidot zur Verfügung stehen, die Zulassung ist seit März 2015 beantragt.
Rivaroxaban: In ROCKET-AF war Rivaroxaban (1 x 20 mg bei einer CrCl > 50 ml/min und 1 x 15 mg bei CrCl 30 – 49 ml/min) dem VKA in der Wirksamkeit nicht unterlegen bei insgesamt ähnlichem Blutungsrisiko. In der On-treatment-Population war Rivaroxaban wirksamer als VKA und intrakranielle und tödliche Blutungen waren unter Rivaroxaban seltener.
Laut Zulassungsbestimmungen sollte bei einer angestrebten Umstellung von VKA auf Rivaroxaban bei Patienten mit Vorhofflimmernten ein INR-Abfall auf = 3,0 abgewartet werden – wobei klinisch eher ein INR-Abfall auf = 2,0 zu empfehlen ist.
Die Wirkung von Rivaroxaban kann wie bei allen Faktor-Xa-Hemmern bei Bedarf mit der Bestimmung der Anti-Xa-Aktivität ermittelt werden. Ob der verwendete Assay die Wirkung des eingenommenen Faktor-Xa-Hemmer erfasst, sollte mit dem lokalen klinisch-chemischen Labor geklärt werden. Bei schweren Blutungen kann wie bei allen DOAK der Einsatz von Gerinnungsfaktoren erwogen werden.
Apixaban: Die AVERROES-Studie ergab eine deutliche Überlegenheit von Apixaban gegenüber ASS bei Patienten mit Vorhofflimmern. In der ARISTOTLE-Studie war Apixaban den VKA in der Reduktion des primären Endpunkts (ischämischer oder hämorrhagischer Schlaganfall oder systemische Embolie) überlegen. Schwere Blutungen traten unter Apixaban seltener auf (31 Prozent relative Risikoreduktion). Die Gesamtsterblichkeit reduzierte sich signifikant von 3,9 Prozent mit VKA auf 3,5 Prozent mit Apixaban. Bis zu einer CrCl von 15 ml/min kann Apixaban in reduzierter Dosis (2 x 2,5 mg) eingesetzt werden, ohne eine relevante Erhöhung des Blutungsrisikos in Kauf zu nehmen.
Edoxaban: In der Zulassungsstudie ENGAGE-AF war Edoxaban (30 oder 60 mg 1 x täglich) dem VKA nicht unterlegen (und in der modifizierten Intention-to-treat-Analyse überlegen). Beide Dosierungen reduzierten schwere Blutungsereignisse signifikant. Mit der niedrigeren Dosis konnte weiterhin eine relative Risikoreduktion für Tod jeglicher Ursache um 13 Prozent beobachtet werden.
Venöse Thromboembolie
Dabigatran: Die RE-COVER-Studie zeigte die Nichtunterlegenheit von 2 x 150 mg Dabigatran gegenüber VKA in der Rezidivprophylaxe bei Patienten mit venösen Thromboembolien (VTE). Die Gesamtzahl der Blutungen war mit Dabigatran verringert (Dyspepsien waren häufiger). Schließlich wurde die um weitere 16 Monate prolongierte Erhaltungstherapie in der RE-MEDY- (Vergleich mit VKA) und der RE-SONATE-Studie (Ver gleich mit Placebo) untersucht. Insgesamt erscheint Dabigatran in der Behandlung von VTE ähnlich effektiv, aber sicherer als VKA. Die Initialtherapie erfolgt mit der mindes tens 5-tägigen Gabe von niedermolekularem Heparin oder Fondaparinux.
Rivaroxaban: Die EINSTEIN-DVT-Studie zeigte die Nichtunterlegenheit für Rivaroxaban (2 x 15 mg für drei Wochen, gefolgt von 1 x 20 mg für drei, sechs oder zwölf Monate) gegenüber VKA in der Akuttherapie und Sekundärprophylaxe bei akuter tiefer Venenthrombose. EINSTEIN-Extension schloss hieran weitere sechs bis zwölf Monate mit Rivaroxaban (1 x 20 mg) versus Placebo an und zeigte eine überlegene Wirksamkeit in der Verhinderung von VTE-Rezidiven (Number needed to treat: 15) bei erhöhtem Blutungsrisiko (Number needed to harm für schwere Blutungen: ca. 139). Die EINSTEIN-PE-Studie zeigte die Nichtunter legenheit für die Akuttherapie und Sekundärprophylaxe bei akuter Lungenembolie im Vergleich mit VKA.
Apixaban: In der AMPLIFY-Studie war Apixaban (initial 2 x 10 mg für 1 Woche, gefolgt von 2 x 5 mg) der Therapie mit Enoxaparin/VKA bei Patienten mit VTE nicht unterlegen und reduzierte das Blutungsrisiko. In der AMPLIFY-EXT-Studie zeigte sich ein deutlicher Vorteil für eine prolongierte Rezidivprophylaxe mit Apixaban mit der reduzierten Dosis (2 x 2,5 mg), die dem Placebo deutlich überlegen in der Verhinderung von Rezidiven war (relative Risikoreduktion um 67 Prozent), ohne das Blutungsrisiko signifikant zu erhöhen.
Edoxaban: Die Hokusai-Studie verglich Enoxaparin/Edoxaban (30 oder 60 mg in Abhängigkeit von Nierenfunktion und Körpergewicht) mit Enoxaparin/VKA. Edoxaban war dem VKA nicht unterlegen und reduzierte das Blutungsrisiko (relative Risikoreduktion 19 Prozent). Auch hier ist eine Therapieinitiierung mit niedermolekularem Heparin über 5 Tage erforderlich.
Fazit
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Die antithrombotische Therapie der koronaren Herzerkrankung fußt nach wie vor auf einer einfachen (stabile Patienten) oder dualen Plättchenhemmung (nach Stentimplantation).
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Nach koronarer Stentimplantation sollten Patienten mit Vorhofflimmern oder Thromboembolie möglichst kurz mit der Dreifachkombination aus ASS, Clopidogrel und Marcumar oder DOAK behandelt werden. Ein Plättchenhemmer (vorzugsweise ASS) kann in vielen Fällen nach vier Wochen abgesetzt werden. Nach zwölf Monaten genügt bei den meisten stabilen Patienten die alleinige plasmatische Antikoagulation mit Marcumar oder DOAK.
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Eine längerfristige Kombinationstherapie mit ASS, Clopidogrel und Rivaroxaban in ultraniedriger Dosis nach akutem Koronarsyndrom (ohne Vorhofflimmern oder Thromboembolie) ist möglich, gemäß der Leitlinienempfehlung sollte aber die duale Plättchenhemmung mit ASS und Ticagrelor oder Prasugrel vorgezogen werden.
Literatur bei den Verfassern
Mögliche Interessenkonflikte:
D. Duerschmied: Vortragshonorare von Bayer
C. Bode: Forschungsmittel von Regado, Merck, Sanofi-Aventis, Bayer, GlaxoSmithKline, Astellas; Vortragshonorare von Bristol-Myers-Squibb/Pfizer, Daiichi-Sankyo, Boehringer Ingelheim, Sanofi-Aventis, Novartis, AstraZeneca, Lilly; Beraterhonorare von Merck, Bayer, Boehringer Ingelheim, Sanofi-Aventis