Hausarzt MedizinAntibiotika: Handle with care

Keime, die gegen zahlreiche Antibiotika resistent sind, breiten sich aus. Droht uns das postantibiotische Zeitalter? Eine kleine Bestandsaufnahme.

Seit Jahren warnen Wissenschaftler davor, dass wir von der Ära der Antibiotika bald in der Vergangenheit sprechen müssen, wenn sich an den Verordnungsgewohnheiten in der Humanmedizin und der kaum kontrollierten Verwendung in der Tiermast nicht bald etwas Entscheidendes ändert.

Die Resistenz gegen Antibiotika war im vergangenen November das Thema zweier internationaler Aktionen: der „World Antibiotic Awareness Week“ der WHO und des „9. European Antibiotic Awareness Day“ des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC). Beide richteten sich mit Botschaften an Ärzte und Patienten, wie man der Ausbreitung gefährlicher Resistenzen gegensteuern kann. Zeitgleich veröffentliche das Robert Koch-Institut (Epidemiologisches Bulletin 2016/Nr. 46, [1]) Zahlen für Deutschland zur Colistinresistenz gramnegativer Bakterien.

Resistenzen im Dreierpack

Zu den am meisten gefürchteten Keimen gehören resistente Linien von Staphylococcus aureus sowie der beiden Enterobakterienarten Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae. Einer der beteiligten Resistenzmechanismen ist die Bildung von Betalactamasen. Seit einiger Zeit werden „Extended- Spectrum-Betalactamases“ (ESBL) häufiger, mit denen die Erreger mit einem Schlag die meisten Betalaktamantibiotika inaktiveren, darunter auch die Cephalosporine der dritten Generation. Über Plasmide können die Gene für diese Resistenz an andere Bakterien weitergegeben werden. Oft enthalten Plasmide die Information für mehr als eine Resistenz und übertragen daher eine Unempfindlichkeit gegen mehrere Antibiotikagruppen (Multi Drug Resistance, MDR). Plasmide mit Resistenzgenen können sowohl vom ambulanten in den stationären Bereich übergehen als auch den umgekehrten Weg nehmen.

Das European Antimicrobial Resistance Surveillance Network (EARS-Net) veröffentlicht regelmäßig Zahlen über gemeldete Resistenzen aus allen EU-Staaten plus Island und Norwegen [2]. Danach waren 2015 mehr als ein Drittel der Isolate von K. pneumoniae resistent gegen mindestens eine dieser Antibiotikagruppen: Fluorchinolone, Cepholosporine der dritten Generation, Aminoglykoside und Carbapeneme.

Der Anteil von Keimen, die weder auf Fluorchinolone noch auf Drittgenerationscephalosporine und Aminoglykoside ansprachen, stieg gegenüber 2012 signifikant von 17,7 auf 18,6 Prozent. In diesen Fällen bleiben nur noch wenige therapeutische Alternativen, darunter Reservesubstanzen wie Carbapeneme und Colistin. In Deutschland betrug der Anteil der Dreifachresistenzen 2015 allerdings nur 3,1 Prozent und war gegenüber 2012 (6,2 Prozent) sogar gesunken. Obwohl der Anteil von K.-pneumoniae- Isolaten, die gegen Carbapeneme (und auch meistens gegen die anderen drei genannten Gruppen) resistent sind, in West-, Mittel- und Nordeuropa unter ein Prozent liegt, hat er im Süden und Südosten bedrohlich hohe Werte erreicht, z.B. über 25 Prozent in Italien.

Trendumkehr bei MRSA?

Für E. coli wurde europaweit ebenfalls eine Zunahme von Resistenzen gegenüber Cephalsosporinen der dritten Generation (von 11,9 auf 13,1 Prozent) sowie von Dreifachresistenzen (von 4,9 auf 5,3 Prozent) verzeichnet. Deutschland schneidet hier mit einem Anstieg von 8,8 auf 10,4 Prozent bzw. einem leichten Rückgang von 3,2 auf 3,0 Prozent vergleichsweise gut ab. Die Zahl gegen Meticillin resistenter S. aureus (MRSA) nahm insgesamt von 18,8 auf 16,8 Prozent ab.

In Deutschland wurde ein Rückgang von 15,4 auf 11,2 Prozent verzeichnet. Europaweit kann aber von Entspannung keine Rede sein, denn im Süden (Portugal, Spanien, Italien, Griechenland) nahmen MRSA weiter zu und liegen zum Teil bei knapp 50 Prozent.

Die letzte Linie bröckelt

Colistin kommt als Antibiotikum der letzten Linie zum Einsatz, wenn Drittgenerationscephalosporine, Aminoglykoside, Fluorchinolone und Carbapeneme z. B. gegen Enterobakterien wie E. coli und K. pneumoniae sowie gegen Acinetobacter baumannii versagen. Die WHO hat Colistin daher in die Liste der „Critically Important Antibiotics for Human Medicine“ aufgenommen. Im Jahr 2016 hat die Europäische Arzneimittelbehörde EMA zwar empfohlen, die Anwendung von Colistin in der Tiermast zu verringern, aber keine konkreten Anwendungsbeschränkungen erlassen [3]. Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) wurden 2015 in Deutschland 82 Tonnen Colistin an Tierärzte und tierärztliche Hausapotheken abgegeben. Nach Zahlen des Deutschen Zoonose- Monitoring am BfR sind 5 bis 10 Prozent der E- coli-Isolate von Nutztieren gegen Colistin resistent, am häufigsten bei Geflügel [4].

Umstrittenes Horrorszenario

In einer britischen Publikation aus dem Jahr 2014 [5] wurde gewarnt, dass die Zahl der Menschen, die weltweit jährlich an Infektionen durch multiresistente Erreger sterben, von gegenwärtig rund 700.000 auf 10 Millionen im Jahr 2050 steigen und damit die Zahl der Krebstodesfälle überholen werde.

An dieser Studie wurden jedoch schwere Zweifel angemeldet [6]. So seien in der Zahl von 10 Millionen nicht nur Todesfälle durch bakterielle Infektionen, sondern auch durch andere unbehandelbare Erreger wie HIV und Einzeller enthalten. Außerdem vermittelten die Zahlen des EARS-Net (siehe oben) kein repräsentatives Bild, weil hier vor allem Resistenzmeldungen von Kliniken der höheren Versorgungsstufen eingingen. Besonders kritisiert wurde die Vorhersage über die Zunahme resistenter Keime, denn dafür gebe es keine konkreten Anhaltspunkte. Komplett ausgeblendet worden sei schließlich, dass neue Antibiotika entwickelt werden könnten, mit denen sich Resistenzen durchbrechen ließen.

Appelle an Ärzte und Patienten

Die WHO hat ihre Awareness-Woche unter das Motto „Antibiotics – Handle with Care“ gestellt. Sie ruft Angehörige der Gesundheitsberufe und die Öffentlichkeit auf, sich zu „Antibiotic Guardians“ zu verpflichten (www.antibioticguardian.com).

Das ECDC hat (nachfolgend gekürzt wiedergegebene) Empfehlungen an niedergelassene Ärztinnen und Ärzte herausgegeben:

  • Es besteht eine eindeutige Beziehung zwischen der Antibiotikaexposition und dem Auftreten von Antibiotikaresistenzen.

  • Erfahrungen zeigen, dass im Zuge einer Reduktion der Antibiotikaverordnungen für ambulante Patienten auch die Häufigkeit von Antibiotikaresistenzen abnahm.

  • Auf den ambulanten Bereich entfallen 80 bis 90 Prozent aller Antibiotikaverordnungen, vorwiegend für Atemwegsinfektionen.

  • Es gibt Hinweise, dass Antibiotika bei vielen Atemwegsinfektionen nicht notwendig sind.

  • Bei Patienten mit bestimmten Risikofaktoren, z. B. einer schweren Exazerbation bei chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) mit erhöhter Sputumproduktion, ist andererseits die Verordnung von Antibiotika notwendig.

  • Die unbegründete Verordnung von Antibiotika im ambulanten Bereich ist ein komplexes Phänomen, das hauptsächlich durch Faktoren wie die Fehlinterpretation von Symptomen, diagnostische Unsicherheit und die vermuteten Erwartungen des Patienten beeinflusst wird. Entscheidend ist hier die Kommunikation mit den Patienten.

  • Studien zeigen, dass die Patientenzufriedenheit im ambulanten Bereich mehr von einer effektiven Kommunikation als vom Erhalt einer Antibiotikaverordnung abhängt.

  • Eine professionelle ärztliche Beratung beeinflusst die Wahrnehmung und Einstellung des Patienten gegenüber der Erkrankung sowie das subjektive Bedürfnis nach einer Antibiotikatherapie, insbesondere wenn die Patientin/der Patient Hinweise zum erwarteten Verlauf der Erkrankung (einschließlich einer realistischen Zeitangabe bis zur Genesung) und zu Möglichkeiten der Selbstbehandlung erhält.

  • Ambulant tätige Ärztinnen und Ärzte müssen nicht mehr Zeit für eine Beratung veranschlagen, die Informationen über Alternativen zur antibiotischen Therapie beinhaltet.

Quellen

  • [1] Epidemiologisches Bulletin vom 21. November 2016/Nr. 46. Robert Koch-Institut

  • [2] European Centre for Disease Prevention and Control. Summary of the latest data on antibiotic resistance in the European Union. Stockholm: ECDC; 2016.

  • [3] Updated advice on the use of colistin products in animals within the European Union: development of resistance and possible impact on human and animal health. EMA, 26 May 2016, EMA/231573/2016

  • [4] Irrgang A, Roschanski N, Tenhagen BA, Grobbel M, Skladnikiewicz-Ziemer T, Thomas K, Roesler U, Käsbohrer A: Prevalence of mcr-1 in E. coli from Livestock and Food in Germany 2010–2015. PLoS One 2016 Jul 25;11(7):e0159863. doi: 10.1371/journal.pone.0159863. eCollection 2016

  • [5] Review on Antimicrobial Resistance. Antimicrobial Resistance: Tackling a Crisis for the Health and Wealth of Nations. 2014

  • [6] de Kraker MEA, Stewardson AJ, Harbarth S (2016) Will 10 Million People Die a Year due to Antimicrobial Resistance by 2050? PLoS Med 13(11): e1002184. doi:10.1371/journal. pmed.1002184

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