Hausarzt MedizinAIDS und Hepatitis: Heilung in Sicht?

Inspiriert durch den "Berliner Patienten" ist die Diskussion über eine mögliche Heilung von HIV-Infizierten in vollem Gange. Auch bei Hepatitis C besteht aufgrund der aktuellen Behandlungsmöglichkeiten eine gewisse Hoffnung, die Erkrankung in Deutschland zu eliminieren.

Zumindest einmal ist es gelungen: Beim Berliner Patient Timothy Brown konnten seit einer Kombinationsbehandlung aus ablativer Radiochemotherapie plus Immuntherapie im Jahr 2008 keine HI-Viren mehr nachgewiesen werden. Welche Effekte im Einzelnen zu dieser Heilung führten sind jedoch nicht bekannt.

Prof. Georg Behrens aus Hannover warf daher folgende Fragen auf: "Wann dürfen wir behaupten, dass wir HIV heilen können? Wenn einige Wenige oder einige Hundert geheilt wurden, oder erst wenn wir Alle heilen können?" Das aktuelle medizinische Konzept geht weniger von einer endgültigen Heilung aus, als vielmehr von einem erkrankungsfreien Überleben über eine längere Zeit, was eine gewisse statistische Unsicherheit beinhaltet. Demnach kann Heilung von HIV zum Beispiel bedeuten, dass fünf Jahre nach einer Behandlung keine Krankheitsanzeichen mehr nachweisbar sind.

Von dem Ziel einer sterilisierenden Heilung, in der kein replikationsfähiges Virus mehr vorhanden ist, kommt man immer mehr ab. Eher wird eine funktionelle Heilung angestrebt, die eine Viruskontrolle, gute, stabile Immunfunktion, wenig systemische Inflammation und ein geringes Übertragungsrisiko umfasst. "Diese Art der Heilung, die auch als HIV-Remission bezeichnet wird, erreichen wir heute bereits mit Hilfe einer HIV-Therapie bei fast allen Patienten", erklärte Behrens.

HIV-Reservoire: bisher hilft nur die frühe Therapie

Das Kernproblem bei der Viruseradikation ist die dauerhafte Reservoirbildung des HI-Virus in Immunzellen bzw. in verschiedenen anatomischen Strukturen. Die CD4+ Gedächtnis- (Memory-) T-Zellen stellen das größte HIV-Reservoir dar, anatomische Reservoire finden sich zudem in Lymphknoten, Gehirn, ZNS, Gastrointestinaltrakt und dem Genitaltrakt. Trotz optimaler Virussuppression im Blut kommt die antiretrovirale Therapie (ART) nicht an die reservoirbildenden HI-Viren heran. (Abb.1 ) Teilweise sind dafür unzureichende Medikamentenspiegel in den Organen verantwortlich. Außerdem sind ruhende HI-Viren in der Zelle quasi versteckt.

Die gute Nachricht ist laut Behrens, dass in den Reservoirs nur ein geringer Teil der HI-Viren funktionsfähig ist. In einer Studie wiesen nur 11,7 Prozent der Viren ein intaktes Genom auf. "Der Nachweis einer großen Menge HI-Viren im Reservoir bedeutet also nicht, dass viele funktionsfähige Viren vorhanden sind", erklärte der HIV-Experte. Andererseits erwies es sich als schwierig, die intakten, nicht-induzierten Proviren zu aktivieren. Dies gelang in in-vitro-Versuchen nur bei einem sehr geringen Teil der HI-Viren. "Selbst wenn das Reservoir klein ist, besteht die Schwierigkeit darin, an die Viren heranzukommen", resümierte Behrens.

Verschiedene Ansätze werden derzeit untersucht. Beispielsweise induzierten Agonisten von Toll-like Rezeptoren (TLR7) im Tierversuch eine transiente Virämie. Nach dem Absetzen der ART ließ sich bei einzelnen Tieren keine erneut auftretende Viruslast mehr feststellen. Auch die Genschere scheint vielversprechend. Bei Mäusen wurde durch ein künstlich in CD4+ T-Zellen eingebrachtes Gen ein Enzym produziert, welche das HIV-Genom aus der Mäuse-DNA "ausschneidet" und so daran hindert, in den Zellen aktiv zu werden.

Bis diese Ansätze möglicherweise für die Praxis relevant werden, kann es jedoch noch einige Zeit dauern. Eine frühe antiretrovirale Behandlung – noch während der primären HIV-Infektion – scheint momentan die beste Möglichkeit, die HIV-Reservoire zu limitieren und spezielle Immunfunktionen zu erhalten. Dadurch erhöht sich nach derzeitigem Wissensstand die Chance auf eine Viruskontrolle nach dem Therapieende.

Zukunft der HIV-Therapie

Die moderne ART ermöglicht den HIV-Infizierten heute eine normale Lebenserwartung, bei relativ wenig Nebenwirkungen. Die derzeit relevanten Kombinationstherapien aus mindestens drei Wirkstoffen sind häufig im Eintablettenregime verfügbar. Die Grundpfeiler der Initialtherapie bestehen aus Nukleosid-/Nukleotidanaloga (NRTI bzw. NtRTI), nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI), Ritonavir- oder Cobicistat geboosterten Proteaseinhibitoren ("PI/r" bzw. "PI/c") und Integrase-Inhibitoren (INI). Gemäß der Deutsch-Österreichischen S2k-Leitlinie haben sich die Kombinationen aus zwei NRTI mit einem NNRTI, oder einem INI oder einem geboosterten PI als sehr wirksam, sicher und gut verträglich erwiesen.

Unter den bestehenden Wirkstoffklassen befinden sich weitere Substanzen in fortgeschrittener klinischer Entwicklung und könnten bald zu einer Erweiterung der verfügbaren Medikamente führen. So etwa die NNRTI Doravirine und die parenteral verabreichbare Depotsubstanz TMC-278, sowie der ebenfalls parenteral als Depot verabreichbare INI Cabotegravir oder der ungeboostete INI GS-9137.

Auch zwei neue Wirkstoffklassen werden derzeit untersucht. Dabei handelt es sich um HIV-Attachment-Inhibitoren, die früh in den Entwicklungszyklus der HI-Viren eingreifen. Zudem um HIV-Maturations-Inhibitoren, die am Ende des HIV-Lebenszyklus wirken. Daneben werden neue, vielversprechende Kombinationsmöglichkeiten getestet, etwa Norvir-geboostetes Darunavir plus Dolutegravir oder Dolutegravir kombiniert mit Rilpivirin oder mit Lamivudin.

HIV-Prävention für Risikopopulationen

Die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) wird insbesondere vor dem Hintergrund steigender HIV-Neudiagnosen bei Männern, die Sex mit Männern (MSM) haben, zunehmend interessant. Mittlerweile geht man davon aus, dass in einigen Populationen bis zu 70 Prozent der Sexualkontakte ohne Kondomschutz stattfinden. Die Fixkombination aus Tenofovir plus Emtricitabin in Form einer Tablette schützt – einmal täglich oder bei Bedarf eingenommen – besser vor einer HIV-Infektion als der Kondomgebrauch. Dies belegen die beiden Studien iPERGAY und PROUD. Allerdings ist diese Form der PrEP in Europa (im Gegensatz zu den USA) noch nicht offiziell zugelassen. In Frankreich ist die Fixkombination zur Prophylaxe seit Januar 2016 mit einer vorläufigen Zulassung erhältlich, in Großbritannien gilt dies ab Mai 2016. Deutschland hinkt zwar hinterher, doch sind sich die Experten weitgehend einig, dass die Tablette auch hierzulande ein wichtiger Baustein der Prävention werden wird. Das Gießkannenprinzip lehnen viele Ärzte ab, sie sehen die Fixkombination eher für bestimmte Risikopopulationen geeignet.

Ende der Hepatitis-C-Epidemie theoretisch möglich

In Deutschland sind etwa 200.000 bis 400.000 Menschen von einer chronischen Hepatitis-C betroffen. Dank moderner Medikamente, den Direct Acting Antivirals (DAA), liegen ihre Heilungsquoten (für Genotyp 1 und 4) meist über 90 Prozent, selbst für Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungsstadien. Zudem lassen sich diese Medikamente ohne Interferon und in der Regel auch ohne Ribavirin anwenden, was neben einer hohen Wirksamkeit auch eine gute Verträglichkeit ermöglicht. Unter einer konsequenten Therapie wäre es also möglich, die Hepatitis-C zu einer seltenen Erkrankung zu machen. Dem stehen jedoch die erheblichen Kosten einer HCV-Therapie entgegen. Diese würden sich bei geschätzten 200.000 bis 400.000 Betroffenen auf 10 bis 20 Mrd. Euro pro Jahr belaufen. Zum Vergleich: Im Jahr 2014 lag das gesamte Ausgabenvolumen der Krankenkassen für Medikamente bei 34 Mrd. Euro! Dies scheint selbst für das deutsche Gesundheitssystem ein zu hoher Anspruch. Somit wird wohl eine Rationierung bzw. eine Begrenzung auf die Behandlung schwerstkranker Patienten erfolgen.

Bei bis zu zwei Dritteln der Hepatitis-Patienten besteht die Gefahr einer Interaktion zwischen den zur Hepatitis-C-Therapie eingesetzten DAA und der weiteren Medikation. "Dies ist für alle Hepatitis-Regime zu beachten! Etwa 80 Prozent der Patienten nehmen zusätzliche Medikamente", betonte Prof. Heiner Wedemeyer, Hannover. So gibt es Hinweise, dass zum Beispiel die Kombination Ledipasvir/Sofosbuvir bei gleichzeitiger Einnahme eines Protonenpumpenhemmers mit einem niedrigeren anhaltenden virologischen Ansprechen (SVR: sustained virologic response) assoziiert ist.

Problematisch gestaltet sich häufig die Behandlung von dialysepflichtigen Patienten mit Niereninsuffizienz. Wedemeyer verwies auf eine kürzlich publizierte Studie, in der diese Patienten gut auf Grazoprevir plus Elbasvir ansprachen, bei gleichzeitig guter Verträglichkeit.

Für Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose ist noch nicht geklärt, ob sich die Lebersynthese- und -entgiftungsfunktion unter Interferon-freien Therapien verbessert. Einige Registerdaten scheinen zu bestätigen, dass Albumin-, Bilirubin- und INR-Werte im Verlauf und nach der Therapie deutlich besser werden können. "Allerdings verbessern sich nicht alle Patienten. Die Frage, ob der Patient nicht erst nach einer Transplantation behandelt werden sollte, muss daher in Einzelfalldiskussionen geklärt werden", berichtete Wedemeyer.

Quelle: 16. Münchner AIDS- und Hepatitis-Tage, 11.-13. März 2016 in Unterschleißheim

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