Hausarzt MedizinAbwarten oder Antibiotikum verordnen?

Ohrenschmerzen sind bei Kindern ein häufiger Beratungsanlass in der Allgemeinarztpraxis. Dann gilt es zu entscheiden: Handelt es sich um eine Otitis media? Ist die Verordnung eines Antibiotikums erforderlich?

Plötzlich einsetzende heftige Ohrenschmerzen zusammen mit Hörstörungen, reduziertem Allgemeinzustand, Reizbarkeit und Fieber, sowie Paukenerguss (vorgewölbtes Trommelfell) sind typische Symptome einer akuten Mittelohrentzündung.

Dabei sind dieOhrenschmerzen bei Kindern in der Kombination mit Fieber zumeist das Leitsymptom einer Otitis media. Es handelt sich um eine häufige, in der Regel jedoch meist komplikationslos verlaufende Erkrankung im Kindesalter. In einer Studie mit 363 Kindern mit akuter Otitis media zeigten sich die Symptome mit folgenden Häufigkeiten:

Klassischerweise ist das Trommelfell hyperämisiert, vorgewölbt, vermindert beweglich und matt. Eine alleinige Rötung des Trommelfells gilt nicht als sicheres Zeichen einer akuten Otitis media. Eine tympanometrische Untersuchung ist der Goldstandard und sollte, sofern sie vorhanden ist, eingesetzt werden, jedoch ist sie in der Regel in deutschen Hausarztpraxen nicht verfügbar. Im Übrigen verändert sich dadurch kaum die Behandlungsstrategie.

Ursachen

Die häufigsten bakteriellen Erreger, abhängig vom Patientenalter, Land und Kontinent, sind Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae und Moraxella catarrhalis.

Aktuelle Metaanalysen weisen darauf hin, dass bei Vorliegen einer doppelseitigen Otitis media eine größere Erfolgsaussicht einer antibiotischen Therapie besteht. Damit ist im Gegensatz zu früheren Meinungen bei beidseitiger Otitis media eher von einer bakteriellen Genese auszugehen. Kindergartenbetreuung, Passivrauchen, mehrere Geschwister, kein Stillen in den ersten 3 Lebensmonaten und ein niedriger sozialer Status gelten als prädisponierende Faktoren. In Einzelstudien wird ferner eine erhöhte Disposition beim Gebrauch von Schnullern, bei allergischer Diathese sowie eine Geschlechtsabhängigkeit (männlich > weiblich) beschrieben.

Abwendbar gefährliche Verläufe

Generell sind gefährliche Verläufe von Patienten mit Ohrenschmerzen bei einer akuten Otitis media sehr selten. Abwendbar gefährliche Verläufe als Komplikation der akuten Otitis media sind in erster Linie

  • Mastoiditis

  • Mastoidabszess

  • Meningitis

  • Rezidivierende od. chronische Otitis media

  • Länger anhaltende Hörminderung und evtl. eine dadurch bedingte Sprachentwicklungsverzögerung bei Kleinkindern

Diagnostik

Bei erkrankten Kindern liegt häufig nur eine Fremdanamnese vor. Aus diesem Grund muss grundsätzlich bei Säuglingen, bei im Allgemeinzustand beeinträchtigten Kleinkindern sowie bei kommunikationsgestörten Patienten eine orientierende Ganzkörperuntersuchung erfolgen. Ansonsten ist eine symptomorientierte Untersuchung ausreichend.

Für eine sichere Diagnose der akuten Otitis media sind wegen der oft unklaren klinischen Symptomatik und der nicht immer eindeutigen otoskopischen Befunde folgende 3 Kriterien zu fordern:

  • Akuter Beginn der Krankheit: Fieber, Krankheitsgefühl, Irritabilität

  • Zeichen und Symptome einer Mittelohrentzündung: Rötung des Trommelfells und Otalgie

  • Otoskopisch nachgewiesener Mittelohrerguss: Vorwölbung des Trommelfells mit manchmal durchschimmerndem eitrigem Erguss; Flüssigkeitsspiegel oder Luftblasen hinter dem Trommelfell; Auftreten einer Otorrhö innerhalb der letzten 24 Stunden.

Wenn alle 3 Kriterien erfüllt sind, kann die Diagnose als sicher gelten; sind nur 2 der genannten Kriterien erfüllt, ist die Diagnose fraglich.

Behandlungsempfehlung

Bei Patienten ohne Risikofaktoren mit einer unkomplizierten akuten Otitis media sollte zunächst eine symptomatische Behandlung mit systemischer Analgetikagabe durchgeführt und auf die sofortige antibiotische Therapie verzichtet werden.

Bei Kleinkindern ist die Indikationsstellung je nach Alter und Diagnosesicherheit spezifisch zu stellen.

Bei Patienten mit erhöhtem Risiko (akute Otitis media mit Otorrhö, jünger als 24 Monate mit beidseitiger akuter Otitis media, Begleit-/Grunderkrankungen, rezidivierenden Infekten, Paukenröhrchen, Immunsuppression, schlechtem Allgemeinbefinden, hohem Fieber, anhaltendem Erbrechen und/oder Durchfall) ist eine sofortige antibiotische Therapie einzuleiten.

Bei Kleinkindern zwischen 6 und 24 Monaten, die nicht schwer krank sind (kein Fieber, kein Erbrechen), kann eine engmaschige Befundkontrolle (innerhalb von 24 Stunden) vor einer antibiotischen Therapie erwogen werden. Die engmaschige Kontrolle kann notfalls auch durch eine kurzfristige telefonische Kontrollbefragung der Eltern erfolgen, wenn diese gut aufgeklärt und kooperativ sind.

Analgetikagabe: Paracetamol bis maximal 60 mg/kg KG/d (3–4 x 10–15 mg/kg KG/d) oder Ibuprofen bis maximal 20–30 mg/kg KG/d (verteilt auf 3–4 Gaben/d).

Antibiotika: Die sofortige Verabreichung von Antibiotika hat keinen Einfluss auf die Schmerzen innerhalb der ersten 24 Stunden. Der Nutzen eines Antibiotikums ist nur bezüglich der Schmerzen ab dem 2. Behandlungstag in geringem Maße nachgewiesen. Selbst bei Fieber und/oder Erbrechen ist es vertretbar, die ersten 24 bis 48 Stunden unter Beobachtung des Kindes abzuwarten und erst bei einer Verschlechterung der Symptome oder einer ausbleibenden Besserung Antibiotika zu verordnen. Allerdings bedarf es, auch aus forensischen Gründen, einer guten Aufklärung und Absprache mit den Eltern! Ist eine Wiedervorstellung in der Praxis nach 48 Stunden nicht möglich (z. B. am Wochenende), kann bei guter Mitarbeit der Eltern die vorsorgliche Ausstellung eines Antibiotikum-Rezepts mit ausführlicher Aufklärung über Anwendungsbeginn, Dosierung und mögliche Nebenwirkungen erfolgen.

Bei weiterhin bestehenden Ohrenschmerzen nach 48 Stunden wird folgende Antibiotikatherapie empfohlen:

    1. Wahl: Amoxicillin 50 mg/kg KG/d (2–3 Einzeldosen) über 7 Tage
    1. Wahl: Orales Cephalosporin der Gruppe 2, z. B. Cefuroximaxetil 20–30 mg/kg KG/d.
  • Bei Vorliegen von Allergien gegen Penicilline/Cephalosporine ein Makrolid, z. B. Erythromycin über 7 Tage.

Bei persistierenden Beschwerden nach Beendigung der antibiotischen Therapie ist eine Wiedervorstellung in der Praxis notwendig. Bei Verschlechterung unter antibiotischer Therapie sind ggf. HNO-Kollegen hinzuzuziehen.

Fazit für die Praxis

  • Ohrenschmerzen bei Kindern sind häufig das Leitsymptom einer akuten Otitis media.

  • Gefährliche Verläufe bei einer akuten Otitis media sind sehr selten.

  • Eine akute Otitis media ist sicher diagnostizierbar bei akutem Beginn der Krankheit, Zeichen und Symptomen einer Mittelohrentzündung und otoskopisch nachgewiesenem Mittelohrerguss.

  • Bei Patienten ohne Risikofaktoren mit einer unkomplizierten akuten Otitis media ist zunächst eine symptomatische Behandlung ausreichend.

  • Bei Patienten mit erhöhtem Risiko ist eine sofortige antibiotische Therapie einzuleiten.

Patienteninformation "Mittelohrentzündung"

Für Patienten gibt es ein Merkblatt mit den wichtigsten Informationen zur Mittelohrentzündung: www.degam.de/patienteninformationen.html

Leitlinie "Ohrenschmerzen"

Die Leitlinie "Ohrenschmerzen" der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) finden Sie im Internet unter www.degam.de/degam-leitlinien-379.html.

Literatur beim Verfasser

Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor ist Verfasser der DEGAM-Leitlinie "Ohrenschmerzen".

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