Robert Nikolaus Braun, geb. 11. Januar 1914, † 13. September 2007
Aus dem Wien des 19. Jahrhunderts erhielten viele Fachdisziplinen der Medizin wichtige Beiträge, nicht zuletzt durch die Psychoanalyse Sigmund Freuds und seiner Schüler. Im 20. Jahrhundert profitierte die wissenschaftliche Allgemeinmedizin von Robert Nikolaus Braun, dessen Vater und Großvater in Wien bereits als praktizierende Ärzte tätig waren. Er bereicherte uns mit über 500 Publikationen, deren bedeutendste in der Festschrift zu Brauns 90. Geburtstag [1] durch Dr. Rudolf L. Meyer dokumentiert sind.
Eine umfangreiche Lektüre von Brauns Lebenswerk, das hierzulande Prof. Frank Mader, Gründer der practica des Deutschen Hausärzteverbandes, propagiert und fortführt, ist jedem Hausarzt, besonders dem Nachwuchs, zu wünschen – gerade im Jubiläumsjahr der DEGAM. Brauns Lebenswerk ist auch eine Mahnung: Die Zukunft der Allgemeinmedizin muss neben politischen Aktivitäten auch auf Forschung und Lehre gründen.
Sein Medizinstudium (1932-37) schloss Braun mit Auszeichnung ab und leistete bis 1940 Wehrdienst. Danach forschte er bis 1944 in Marburg an der Sulfonamid-Therapie. Dann zog es ihn nach Marburg an der Lahn, wo er seine Tätigkeit als praktischer Arzt aufnahm. Dabei beobachtete er, „wie selten gewisse Diagnosen – im Verhältnis zu meiner Erwartung – vorkamen. Ich versuchte, dem nachzugehen. Ich erfasste die Beratungsursachen der zwei ersten Praxis-Vierteljahre und verglich sie miteinander. Das statistische Bild beider Abschnitte fiel weitgehend ähnlich aus. Nun errechnete ich die prozentuale Häufigkeit der einzelnen Vorkommnisse. Schließlich stellte ich Listen der häufigsten zusammen.“
Diese Listen – ergänzt mit im klinischen Unterricht bevorzugten, praktisch jedoch seltenen Krankheitsbildern – zeigte er sowohl Medizinstudenten in den höheren Semestern wie auch erfahrenen Marburger Praktikern. „Die Studenten erwiesen sich der Aufgabe in keiner Weise gewachsen. Es wurde einfach drauflos geraten. Meiner eigenen seinerzeitigen Erwartung entsprechend hielten die Studenten die während der Ausbildung betonten Krankheitsbilder auch für praktisch wichtig.“ Anders die Niedergelassenen: „Es war ein gänzlich anderes Erlebnis, zu beobachten, wie die Praktiker mit Bedacht und Kritik die Häufigkeit der einzelnen Positionen nach ihren Erfahrungen abwogen und in Prozentwerte brachten. Die Schätzwerte der einzelnen Praktiker waren untereinander weitgehend ähnlich und stimmten im Großen und Ganzen auch mit meinen Ziffern überein“ [2].
Damit wurde 1944 in Marburg die „Braunsche Lehre“ geboren. Sie beinhaltet das FälleVerteilungs-Gesetz, also die Problembeschreibung der Beratungsanlässe durch Symptome und Syndrome, Diagnosen werden nur verwendet, wenn sie abgesichert sind. Dennoch gibt es Interventionsstrategien nach den Prinzipien, gefährliche Verläufe abzuwenden und ungefährliche abwartend offen zu lassen.
Literatur:
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- Meyer RL. Zum 90. Geburtstag von Robert Nikolaus Braun, dem großen Pionier der wissenschaftlichen Allgemeinmedizin. Primary Care 2004; 4: Nr. 1-2 (http://bit.ly/21ZFVJa);
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- Braun RN. Die gezielte Diagnostik in der Praxis – Grundlagen und Krankheitshäufigkeit. Stuttgart: Schattauer; 1957.S. 14–5