Medizinhistorische SchlaglichterGanzheitliche Medizin im 18. Jahrhundert

Verschrobene Alchemisten, die seltsame Gebräue in ihren dunklen Kellern kochen – das Bild der Medizin von früher ist oftmals düster. Die Ausstellung in der Frankeschen Stiftung zeigt, dass viele Gebote von damals aber heute noch gelten. Ein virtueller Rundgang.

Gicht, Geschwülste und Fisteln, alle Arten von Schmerzen, Entzündungserkrankungen, Schlafpro- bleme, “Herzpochen”, für Schwangere und Gebärende und sogar bei Epilepsie – für viele Leiden hatten die Alchemisten des 18. Jahrhunderts eine “herrliche Artzney” parat: die “Essentia Dulcis”, eine alkoholische Lösung mit zerkleinertem Gold und Kampfer als Zutaten.

Auch der Waisenhausarzt Christian Friedrich Richter stellte die Goldtinktur im 18. Jahrhundert im hauseigenen Labor der Franke’schen Stiftungen in Halle an der Saale her. Die Ärzte setzten “Essentia dulcis” sowie viele weitere selbst produzierte Arzneien zur Gesunderhaltung der Angestellten und Waisenkinder der Stiftung ein und exportierten die Medikamente auch in ferne Länder.

Eine Stiftung, die sich selbst versorgt

Die Jahresausstellung der Franke’schen Stiftung “Heilen an Leib und Seele. Medizin und Hygiene im 18. Jahrhundert” (online und jetzt auch vor Ort mit Terminbuchung, bis Oktober für Besucher geöffnet – s. Kasten) zeigt nicht nur die damaligen Arzneien und Heilmittel.

Besucherinnen und Besucher lernen auch, wie die Stiftung zum Beispiel mit einem eigenen, von der Stadt unabhängigen Wasserversorgungssystem weitestgehend von den in Halle grassierenden Seuchen verschont blieb.

Ausgehöhlte, ganze Baumstämme dienten als Wasserrohre, ein fünf Kilometer langes, ausgeklügeltes Röhren- und Stollensystem versorgte die ganze Anstalt mit frischem Quellwasser, das schon damals als notwendige Bedingung für Leben und Überleben der Menschen galt. Darüber hinaus bezog die Stiftung über eigene Güter sowie eine eigene Meierei zur Weiterverarbeitung Nahrungsmittel.

Erstes deutsches Kinderkrankenhaus

Vor 300 Jahren, im Jahr 1721, gründete August Hermann Francke, Theologe, Pfarrer, Pädagoge und Gründer der gleichnamigen Stiftung, das “Krancken-Haus” (s. Bilder). Es diente hauptsächlich zur Versorgung von Waisenkindern und gilt laut der Stiftung als eins der ersten Kinderkrankenhäuser in Europa.

Unter anderem eröffnete der bekannte Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke die Ausstellung: “Im 18. Jahrhundert gab es schon Bücher, in denen sehr viel Kluges, Schönes und Richtiges über Medizin und Hygiene gesagt wurde. An vieles, wie zum Beispiel das Händewaschen, wurde damals hingegen schlichtweg nicht geglaubt”.

Gemütsruhe als oberstes Gebot

Francke begründete nicht nur die Gebäude der Stiftung, sondern auch den sogenannten Halleschen Pietismus. Pietismus leitet sich vom lateinischen Wort pietas (“Gottesfurcht” oder “Frömmigkeit”) ab, war nach der Reformation die wichtigste Bewegung des kontinentaleuropäischen evangelischen Glaubens und beeinflusste auch die damalige Medizin wesentlich. Pietistische Mediziner des 17. und 18. Jahrhunderts sahen Körper und Seele in enger Wechselwirkung zueinander.

Im Zentrum stand die christliche Lebensführung, sich gesund zu erhalten war eine fundamentale Pflicht. Das Gemüt galt als Verbindung von Körper und Seele sowie als Schnittstelle zwischen Außenwelt und dem Inneren des Menschen, als “Tor der Sinne”. Zorn, Gier, aber auch “übersteigerte positive Gefühlslagen” wie Liebe und Freude sahen Pietisten als Ursache von Krankheiten an, erstrebenswert war die “Gemütsruhe” oder ein “ausgeglichener Gemütshaushalt”. Dafür empfahlen sie eine “gute, ausbalancierte Lebensführung”, darunter ausgewogene Ernährung, maßvolle Bewegung. Maßhalten war generell das oberste Gebot. Eine Drechselbank mit Werkzeugen aus Holz, Eisen, Leder, Messing und Hanf etwa diente der Ertüchtigung.

Gegen die enge Verbindung von Leib und Seele wandten sich erst die Arbeiten des französischen Philosophen René Descartes, der an den Dualismus von Körper und Geist glaubte. Mediziner fokussierten sich von da an zunehmend auf die reine Funktionalität des menschlichen Körpers, dem “mechanistischem Menschenverständnis”.

Die Ärzte der Stiftung hielten dennoch weiter an ihrer Theorie der engen Verbindung von Seele und Körper fest, wie zahlreiche Originalschriften der damaligen Mediziner dokumentieren.

Auch “Essentia dulcis” hat heute noch einige Fans. Das damalige Wundergebräu ist immer noch über die Stiftung erhältlich.

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