Außergewöhnliche DienststelleEhrliche Medizin hinter Gittern

32 Jahre hat Joe Bausch Strafgefangene in der Justizvollzugsanstalt Werl betreut. Für ihn klassische Hausarztmedizin – aber mit vielen Spezialfällen.

Doppelleben: Joe Bausch war bis vor Kurzem Gerichtsmediziner im Tatort und Gefängnisarzt

Im echten Leben behandelt er Verbrecher, im fiktionalen jagt er sie: Joe Bausch mochte sein Doppelleben im Gefängnis und auf dem Bildschirm. Fast sein halbes Leben lang betreute der 65-jährige Hausarzt rund 1.000 Insassen der Justizvollzugsanstalt (JVA) Werl in Nordrhein-Westfalen, seit 1997 seziert er als Pathologe Joseph Roth im WDR-Tatort Opfer von Verbrechen.

Zwei Jobs, zwei Leben. Mit dem Gefängnis ist es seit Ende November vorbei; Joe Bausch ging nach 32 Jahren in den Ruhestand. Praktizieren wird er wohl weiter, wenn auch nicht im Knast. Es gibt Jobangebote unter anderem auf einem Kreuzfahrtschiff und “als Substitutionsarzt könnte ich sofort überall anfangen, das will ja keiner mehr machen”. Er hat sich noch nicht entschieden, nur dass es weitergehen wird. “Wer als Arzt bei klarem Verstand ist, kann nicht einfach aufhören”, findet er, dazu sei der Beruf zu sehr Berufung.

Niederlassung? Nur eine kurze Idee

Vielleicht die Berufung, sicher aber ein gewisser “sportiver Ehrgeiz” und die Neugier auf die “Blackbox Gefängnis” führten Joe Bausch 1986 in die JVA Werl, wo er auf gute Arbeitsbedingungen und einen motivierten Hausarzt-Kollegen stieß.

Ihr Klientel: Männer im Alter von Anfang zwanzig bis Ende 80, zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, viele mit anschließender Sicherungsverwahrung. Verurteilte Verbrecher – das ja, aber für Joe Bausch in erster Linie Patienten. Im Gefängnis könne man “ehrliche Medizin machen, ohne auf Budgets schauen zu müssen”.

Über seine Arbeit findet er nur lobende Worte. Die Arbeitsbedingungen seien gut, es gebe keine Nacht-, Bereitschafts- und Wochenenddienste, Gehalt nach Tarif, um Praxisausstattung und Abrechnung kümmert sich die Justizvollzugsanstalt.

Aufgestiegen ist er bis zum Leitenden Regierungsmedizinaldirektor, alle Vorteile der Verbeamtung inklusive. Und: “Ich hatte immer die Möglichkeit, Fernsehen zu machen” oder seine Bücher zu schreiben. Über eine Niederlassung hat Joe Bausch deswegen nur mal kurz nachgedacht.

Überweisung stets letzte Option

Die Medizin im Gefängnis beschreibt er als klassische Hausarztmedizin mit einer Häufung von Spezialfällen. Gut zehn Prozent der Strafgefangenen sind drogenabhängig, etliche haben psychische und psychiatrische Erkrankungen, einige HIV und Infektionskrankheiten wie Hepatitis C oder Lues, hinzu kommen immer wieder Verletzungen in Folge von Gewalt unter Gefangenen. “Lotsenarzt ist man im Gefängnis sicher nicht”, sagt Joe Bausch, man müsse ein breites Behandlungsspektrum abdecken.

“Man sollte sich ein bisschen mit Psychiatrie, Haut, Orthopädie und Chirurgie auskennen.” Überwiesen wird nur, wenn es nicht anders geht, zum Herzkatheter, für große Operationen, zur radiologischen Diagnostik.

Joe Bausch hat deshalb zum Facharzt für Allgemeinmedizin Zusatzqualifikationen von Suchtmedizin über Betriebsmedizin bis hin zur Reisemedizin erworben. “Manche Strafgefangene werden nach der Haft in ihre Heimat abgeschoben, die sie nie betreten haben”, sagt er. Da stelle sich allein schon die Frage adäquater Impfungen. Nur sein Ernährungsmediziner ist weniger auf seine Patienten in Werl als vielmehr auf diätbegeisterte Kollegen am Set zurückzuführen. “Da wollte ich Antworten geben können.”

Gut ausgestattete Praxis

Die Gefängnispraxis in Werl ist ausgestattet mit Sonografie, Doppler, EKG und Belastungs-EKG, einer augenärztlichen und einer Grundapparatur für HNO-ärztliche Diagnostik. Das benachbarte Krankenhaus macht das Labor, aufwändigere Parameter werden in Köln bestimmt.

Wer stationär aufgenommen werden muss, kommt unter Bewachung in eben dieses Krankenhaus. Medikamente gibt die Gefängnisapotheke aus. Manche Präparate, insbesondere zentral wirksame Analgetika, lässt Bausch nur unter Aufsicht einnehmen, manche gibt er nur in Dispensern ab, “die neuen, teuren Medikamente gegen Hepatitis C zum Beispiel, um auch an die Compliance der Patienten zu appellieren”.

“Hausbesuch” in der Zelle

Asthmatiker, insulinpflichtige Patienten oder Strafgefangene mit Herzbeschwerden bekommen ihre Medikation mit auf die Zelle. “Wenn die Insassen am Wochenende mehr als zwanzig Stunden eingeschlossen sind, ist es blöd, wenn das Asthmaspray leer geht.”

Manchmal ist Joe Bausch dort zum “Hausbesuch”: Sind Patienten zu krank, um auf die Krankenstation zu kommen, hält der 65-Jährige es für unverhältnismäßig, seine Krankenpfleger mit Trage oder Rollstuhl loszuschicken. “Dann gehe ich halt hin, und ich mache das auch mal ganz gerne, denn bei depressiven Patienten sagt mir ein Blick in die Zelle manchmal mehr als das, was sie mir erzählen”.

Und das ist Alltag: Neben Suchtproblematiken sieht Joe Bausch bei seinen etwa 50 Patienten am Tag viele psychische Erkrankungen. “Es sind hypochondrische Patienten dabei, Patienten, die nicht arbeiten wollen, die mit sich und ihrem Leben oder der Haft nicht klarkommen, sie sind psychovegetativ ganz schlecht drauf, haben somatoforme Störungen”. Manche Patienten seien derart mente captus, dass sie nicht einmal ihre Blutdruckmedikamente korrekt einnehmen könnten, “diese Patienten sehen wir engmaschig”.

Therapielücke nach Entlassung

153 der 1.003 Strafgefangenen, die im November in Werl einsaßen, waren laut Bausch substituiert, “zum Teil Schwerstabhängige”. In Haft klappt die Substitution unter Aufsicht gut, schon lange aber kritisiert der Gefängnismediziner den Übergang bei Entlassung, der insbesondere bei verarmten Strafgefangenen eine gefährliche Lücke in der Substitution biete.

“Wir akzeptieren achselzuckend, dass rückfallgefährdete Patienten ohne Sicherheitsnetz entlassen werden.” Bis die Versicherung geklärt sei und sie zum ersten Mal einen Hausarzt sehen, vergehe oft zu viel Zeit. Groß sei die Gefahr wieder in die Subkultur zu rutschen. Daran etwas zu ändern, “daran bin ich gescheitert”.

Auch deshalb ist das Problem ein Thema in seinem neuen Buch “Gangsterblues. Harte Geschichten”, in dem er die Geschichten seiner Patienten vorstellt. Verfremdet natürlich. Das Buch ist eine Erinnerung an 32 Jahre Leben.

Und man liest heraus, dass Bausch seinen Job mochte, das spezielle Klientel, die Haltung, die es als Gefängnisarzt braucht. Ein Nachfolger war beim Gespräch mit “Der Hausarzt” in Sicht, doch noch nicht verpflichtet. Joe Bausch schließt nicht aus, dass er vertretungsweise nochmals hinter Gitter geht. Nur nicht in Werl. Dort sollen jetzt andere ran.

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