Erfurt. Die schlechten Nachrichten über die elektronische Gesundheitskarte (eGK) sind so alt wie die Karte selbst. Seit sie 1995 – damals noch als Krankenversichertenkarte – eingeführt wurde, ranken sich Negativmeldungen um sie.
Ähnlich ergeht es auch der Betreibergesellschaft gematik, die 2005 von den Leistungserbringern und Krankenkassen gegründet wurde, um die eGK und vor allem deren Anwendungen auszubauen. Seither ist über eine Milliarde Euro investiert worden, von flächendeckenden Anwendungen fehlt aber jede Spur.
Derzeit letztes Drama um die eGK ist die Telematik-Infrastruktur (TI), die Datenautobahn, auf der in Zukunft einmal die Daten aller Patienten zwischen Ärzten, Krankenhäusern und Apotheken fließen sollen.
Versagen der Industrie
Als Leittragende der momentanen Posse um die TI sehen sich vor allem die Vertragsärzte, wie auf der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) am Dienstag in Erfurt abermals deutlich wurde. Denn bislang haben lediglich rund 15.000 Arztpraxen einen Konnektor, der sie an die TI anbindet, wie KBV-Vorstand Dr. Thomas Kriedel in Erfurt berichtet. Das ist gerade einmal jede siebte Praxis in Deutschland.
Das Problem: Jeder zweite Praxisinhaber kann sich momentan gar nicht anbinden, selbst wenn er wollte. Schlicht weil es für deren Praxissysteme bislang keine kompatiblen Konnektoren gibt. Einzig die Compugroup bietet bislang einen an. Deren Systeme kommen in rund 50 Prozent der Praxen zum Einsatz. Die Telekom und weitere Anbieter sprachen jüngst von einem baldigen Marktstart. Kriedel sprach in Erfurt von einem „Versagen der Industrie“.
Die Vorsitzende der Vertreterversammlung, Dr. Petra Reis-Berkowicz, ging noch weiter: „Es ist geradezu verhöhnend, dass sich der angekündigte Markteffekt beim Konnektor nicht wie angekündigt einstellt.“
Sie repliziert damit auf seinerzeitige Ankündigungen seitens der Kassen und Industrie, es würden pünktlich zum Roll-out genügend Anbieter auf dem Markt sein. Damit sollte jede Praxis fristgerecht und kostendeckend sich einen Konnektor anschaffen können.
Keine Konnektor = kein VSDM = Honorarabzug
Zur Erinnerung: Die Kassen sind gesetzlich laut § 291a Absatz 7 SGB V zur Finanzierung verpflichtet. So sieht es nicht nur die KBV, sondern auch der Deutsche Hausärzteverband.
Die Kassen hatten damals eine vollständige Finanzierungszusage bis Ende Juni 2018 gemacht. Ab Juli wollen sie die Förderpauschale um 1.200 Euro absenken. Die Hoffnung damals: Gäbe es nur genügend Anbieter, würden die Preise schon sinken.
Weit gefehlt. Damit müssen die Ärzte ab Juli wohl „die Zeche zahlen“, wie es in Erfurt hieß. Oder mit den Worten von KBV-Vorstand Kriedel: „Es wäre eine Farce, wenn unsere Mitglieder am Ende Strafen zahlen müssen, obwohl wir unsere Hausaufgaben gemacht haben.“
Er verhandelt zwar derzeit mit dem GKV-Spitzenverband über eine Anpassung der Finanzierung, noch gibt es aber keine Einigung. Vorsorglich hat die KBV schon im Frühjahr das Schiedsamt angerufen.
Das zweite Problem: Wenn Vertragsärzte nicht bis Ende dieses Jahres erstmals das Versichertenstammdatenmanagement (VSDM) durchgeführt haben, droht ihnen nach jetziger Gesetzeslage ein Honorarabzug von einem Prozent. Das VSDM ist die erste – und bislang einzige – Anwendung der TI. Sie funktioniert aber eben nur mit Konnektor, der erst einmal bestellt und installiert werden will.
Spahn: „Und dann werde ich entscheiden“
Die Kassenärzte sehen sich deswegen doppelt bestraft für etwas für das sie nichts können. In Erfurt hat die Vertreterversammlung deswegen einstimmig die Politik aufgefordert, die Sanktionen „mindestens bis 30.06.2019 auszusetzen“. Eine ähnlich lautende Forderung hatten jüngst auch die Delegierten des Deutschen Hausärzteverbands bei ihrer Frühjahrstagung auf Sylt beschlossen.
Derweil deutet sich allerdings so etwas wie eine Rolle rückwärts, ein Neustart an. In einem am Dienstag veröffentlichten Interview bezeichnete Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Stand der elektronischen Gesundheitskarte als „völlig inakzeptabel“.
Er bezweifelte, dass die Karte in ihrer jetzigen Form noch sinnvoll sei und forderte, sie mit den Plänen für ein Bürgerportal zu koordinieren. Den Stand der Digitalisierung, und damit auch die Rolle der gematik, wolle er in „den nächsten zwei, drei Monaten (…) genau analysieren.“ Spahn: „Und dann werde ich entscheiden, wie wir weiter vorangehen.“