Oxford. In einer Langzeitstudie haben Forscher eine bislang unbekannte, wohl ansteckendere Variante des HI-Virus in den Niederlanden entdeckt. Die sogenannte VB-Variante von HIV-1 induziere eine etwa 3,5- bis 5,5-fach höhere Viruslast, sei leichter übertragbar und habe das Potenzial, größere Schäden am Immunsystem anzurichten, schreiben die Wissenschaftler der britischen Universität Oxford (Science 2022; 375(6580):540-545).
Zwei deutsche Experten sehen allerdings nicht die Gefahr einer schnellen Ausbreitung der neuen Variante. Auch für Infizierte in Behandlung besteht der Studie zufolge wohl keine größere Gefahr: Nach Beginn der Behandlungen hatten die VB-Patienten demnach ähnliche Verläufe wie andere Patienten.
Entdeckung über Monitoring-Projekt
Die Ergebnisse machten es aber umso wichtiger, dass Menschen mit einem gewissen HIV-Risiko Zugang zu regelmäßigen Tests haben, um frühzeitige Diagnosen und Behandlungen zu ermöglichen, hieß es. “Das begrenzt die Zeit, in der HIV das Immunsystem schädigen und die Gesundheit gefährden kann”, sagte einer der beteiligten Forscher aus Oxford, Professor Christophe Fraser, einer Mitteilung zufolge.
Die VB-Variante wurde als erstes in einem langfristig angelegten Monitoring-Projekt namens Beehive entdeckt, das Proben aus Europa und Uganda sammelt und analysiert. Dabei fielen 17 Fälle der Variante auf, 15 davon aus den Niederlanden. In Tests von weiteren Tausenden in den Niederlanden getesteten Patienten fanden die Forscherinnen und Forscher 92 weitere Infizierte mit der VB-Variante.
Puzzlestück der HIV-Evolution
Diese soll sich während der 1980er und 90er Jahre in dem Land ausgebreitet haben. Seit etwa 2010 soll sich die Verbreitung den Ergebnissen zufolge jedoch wieder verlangsamt haben.
Die Studie sei “ein weiteres Puzzlestück für unser Verständnis der Evolution von HIV”, sagte der Virologe Dr. Maximilian Münchoff von der Ludwig-Maximilian-Universität München der Deutschen Presse-Agentur. Der Experte macht sich jedoch wenig Sorgen darum, dass die Variante der HIV-Epidemie neuen Schwung verleihen könnte.
“Im großen epidemiologischen Kontext eher nebensächlich”
“Die Effekte sind zwar statistisch signifikant, aber im großen epidemiologischen Kontext eher nebensächlich.” Das sehe man auch daran, dass die Variante schon seit Jahrzehnten zirkuliere, ohne andere Varianten verdrängt zu haben. Für behandelte Patienten sei ohnehin die Therapie und ein gesunder Lebensstil entscheidender als die virologischen Faktoren.
Professor Hans-Georg Kräusslich von der Universität Heidelberg rechnet zudem nicht damit, dass die entdeckte Variante zu einem schnelleren Verlauf der HIV-Infektion hin zu einer Aids-Erkrankung führen wird: “Angesichts des langen Zeitraums und der recht geringen Zahl spricht nichts für eine rasche Ausbreitung.”
dpa