Düsseldorf. Nach einer Häufung von Handfehlbildungen bei Neugeborenen in einer Gelsenkirchener Klinik gibt es Forderungen nach einem bundesweiten Register. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) verweist darauf, dass Fehlbildungen bei Neugeborenen sehr unterschiedliche Ursachen haben können, und dass dazu eine sehr sorgfältige Analyse erforderlich ist. „Ein Register würde uns auf jedem Fall weiterhelfen“, sagte der BVKJ-Bundessprecher Hermann Josef Kahl der Deutschen Presse-Agentur (dpa) am Montag.
Register wird begrüßt
Auch die Chefärztin der Handchirurgie des Katholischen Kinderkrankenhauses Wilhelmstift Hamburg, Wiebke Hülsemann, hält ein Register für sinnvoll. „In Deutschland gibt es keine Meldepflicht und kein Fehlbildungsregister. Das ist aber Voraussetzung für einen Vergleich, ob die Fehlbildungen eventuell durch eine Noxe (Medikamente oder Umwelteinflüsse) gehäuft neu entstanden sind“, erklärte sie. Man könne bisher nur schätzen, dass etwa eins von 1.000 Lebendgeborenen eine Handveränderung aufweist. Das reiche von einem kleinen Ausmaß bis hin zu einer schweren Fehlbildung.
Ungewöhnliche Häufung
Im Sankt Marien-Hospital Buer waren in 12 Wochen drei Kinder mit fehlgebildeten Händen geboren worden. „Das mehrfache Auftreten jetzt mag auch eine zufällige Häufung sein. Wir finden jedoch den kurzen Zeitraum, in dem wir jetzt diese drei Fälle sehen, auffällig“, hatte die Klinik auf ihrer Homepage mitgeteilt. Fehlbildungen dieser Art habe man in der Klinik viele Jahre nicht gesehen, hieß es.
Die Klinik hat nach eigenen Angaben Kontakt mit Fachleuten der Berliner Charité aufgenommen. „Aktuell liegen keine ausreichenden Informationen vor, um diesen Sachverhalt qualifiziert beurteilen zu können“, bekräftige eine Sprecherin des Charité am Montag. Auf die Fälle in Gelsenkirchen und weitere hatten Hebammenvertreterinnen aufmerksam gemacht.
Ergebnisse zum Monatsende
Das NRW-Gesundheitsministerium, dass alle Geburtskliniken des bevölkerungsreichsten Bundeslandes zu Fehlbildungen bei Säuglingen abfragt, hofft Ende nächster Woche auf Ergebnisse. „Anschließend werden wir die wissenschaftliche Expertise suchen, um eine Ersteinschätzung zu erhalten, ob die erhobenen Zahlen auffällig sind“, erklärte eine Ministeriumssprecherin in Düsseldorf am Montag. „Wir nehmen Kontakt zu den Ärztekammern, dem Hebammenverband, dem Bund und den anderen Bundesländern auf, um Erkenntnisse auszutauschen und gegebenenfalls mögliche weitere Schritte zu besprechen“, erläuterte sie.
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) forderte eine umfassende Aufklärung. „Natürlich müssen wir rausfinden und muss auch rausgefunden werden von den zuständigen Behörden, ob da irgendwie etwas hintersteckt, was man bekämpfen kann, wenn man es erkannt hat“, sagte er im Gespräch mit der „Bild“-Zeitung. Das stehe auch den Eltern und den Kindern zu, um die es gehe.
Abwarten, nicht spekulieren
Zur Frage, ob ein Register für Fehlbildungen bei Neugeborenen für sinnvoll erachtet wird, äußerte sich das Bundesgesundheitsministerium am Montag auf Anfrage nicht konkret. „Bevor wir jetzt über Ursachen und Konsequenzen spekulieren, warten wir die Untersuchungsergebnisse ab. Wo wir können, werden wir die Aufklärungsarbeiten unterstützen“, sagte ein Ministeriumssprecher.
In Frankreich gibt es bereits seit längerem eine Debatte, nachdem sich die Fälle von Fehlbildungen bei Babys in einigen Regionen des Landes gehäuft hatten. Die Kinder leiden an einer Deformation von Gliedmaßen. In Frankreich ist das Phänomen unter dem Schlagwort „Babys ohne Arme“ bekannt. Besonders im Département Ain im Osten des Landes, im Département Loire-Atlantique im Westen und in Morbihan in der Bretagne kommen seit mehreren Jahren besonders viele Babys ohne Arme zur Welt. Über die Ursache wird spekuliert. So sollen viele der betroffenen Familien in der Nähe von Feldern leben, weshalb der Verdacht im Raum steht, Pestizide könnten für die Fehlbildungen verantwortlich sein. Sie könnten das Trinkwasser verunreinigt haben.
Disperse Ursachen
Eine Untersuchungskommission untersuchte seit Herbst 2018 die Fälle. Insgesamt seien 143 Berichte von Menschen mit Fehlbildungen und 43 Beiträge zu Hypothesen über mögliche Ursachen analysiert worden, heißt es im ersten Bericht der Gesundheitsbehörde Anses, der im Sommer veröffentlicht wurde. Eine Ursache für die Fehlbildungen konnten die Experten bisher allerdings nicht finden. Es gab aber auch Kritik an dem Bericht. So wird zum Beispiel bemängelt, dass nicht alle Fälle von Fehlbildungen berücksichtigt worden seien.
Quelle: dpa