CoronavirusNeue Praxishilfen zum Umgang mit Risikopatienten

Angesichts überlaufener Praxen und knapper Ressourcen werden Hausärzte kreativ: 9 Tipps, wie Kollegen jetzt den Alltag meistern. PLUS: Zwei neue Praxishilfen zum ambulanten Management besonders gefährdeter Patienten.

Das Wartezimmer möglichst leer halten - aber wie? Das Praxisteam ist in Zeiten der Coronavirus-Epidemie mehrfach gefordert.

Berlin. Werden die aktuell von der Bundesregierung angeordneten Maßnahmen zur Eindämmung der sozialen Kontakte nicht eingehalten, so könnten Hausärzte schon bald noch stärker in der Coronavirus-Epidemie gefragt sein. Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI) Prof. Lothar Wieler sieht in diesem Fall ein Szenario mit zehn Millionen Coronavirus-Infektionen “bis in einigen Monaten”, wie er am Mittwoch (18. März) sagte.

“Wir haben einen exponenziellen Verlauf der Epidemie.” Bereits einen Tag zuvor hatte das Institut die Gefährdung durch das Coronavirus als “hoch” eingestuft, nachdem bislang von einer “mäßigen” Gefährdung ausgegangen war. Als Gründe nannte Wieler steigende Fallzahlen sowie Alarmsignale aus öffentlichen Gesundheitsdiensten und von Kliniken.

Hausärzte und ihre Teams sind daher jetzt gefordert, Risikopatienten für einen möglicherweise schweren Verlauf von COVID-19 zu identifizieren, sie so lange wie möglich ambulant zu betreuen und rechtzeitig stationär einzuweisen. Dafür bekommen sie jetzt neue Praxishilfen an die Hand (s. Kasten unten).

Hausärzte könnten der weiteren Ausbreitung entgegenwirken, indem sie sowohl Arzt-Patienten-Kontakte als auch Patient-Patienten-Kontakte in den Praxen “maximal eindämmen”, erklären Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands, und Prof. Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM), in einem gemeinsamen Briefing für Hausarztpraxen (17. März). Oberste Priorität habe dabei der Schutz des Praxispersonals.

Vielerorts kann der Praxisbetrieb unter dieser Prämisse schon heute nur durch kreative Lösungen aufrechterhalten werden. Im Folgenden stellt “Der Hausarzt” Tipps und Fallbeispiele zusammen.

1. Sprechstunde neu organisieren

“Erwägen Sie eine Verschiebung aller nicht zwingend nötigen Behandlungstermine”, raten  Weigeldt und Scherer. Beispiele: GU, HKS, Patientenschulungen, DMP, Routinelaborkontrollen. DMP können – ähnlich wie Krankmeldungen – durchaus auch telefonisch abgefragt werden, ergänzt Anke Richter-Scheer, Vorsitzende des Hausärzteverbands Westfalen-Lippe, in einem aktuellen Rundschreiben. Ganz besonders gilt dies für Senioren und Patienten mit einem geschwächten Immunsystem: Wenn es nicht medizinisch nötig ist, die Praxis aufzusuchen, sollte man lieber zuhause bleiben und telefonisch Rücksprache mit dem Arzt halten.

Darüber hinaus: Hausbesuche auf das Notwendigste reduzieren, insbesondere bei Risikopatienten oder in Alten- und Pflegeheimen. “Nutzen Sie auch hier zunächst den telefonischen Kontakt und – soweit möglich – Videosprechstunden.”

Wer eine Infektsprechstunde zu Randzeiten der Praxis einrichten will, sollte dies nur tun, wenn ausreichend Schutzkleidung in der Praxis vorhanden ist. Unabhängig davon, wie sich Hausärzte organisieren, sollten sie dies an ihre Patienten auf allen möglichen Kanälen kommunizieren.

2. Bauliche Chancen kreativ nutzen

Einige Praxisteams behelfen sich in diesen Tagen angesichts des Mangels an Schutzausrüstung mit einem einfachen Trick, wie sie gegenüber “Der Hausarzt” berichten: Sie geben Rezepte, AU-Bescheinigungen oder gar Tests auf das Coronavirus durch das Praxisfenster aus, sind die Räume im Erdgeschoss gelegen und erlauben es die baulichen Gegebenheiten. Auch das mobile Kartenlesegerät kann rausgehalten werden, damit der Patient seine Karte selbstständig einsteckt.

Für jeden machbar ist es, die Praxistür geschlossen zu lassen, sodass Patienten nur einzeln die Praxis betreten können. Dadurch sitzen immer nur wenige Patienten gleichzeitig im Wartezimmer und können so 2 Meter Abstand voneinander halten.

3. Infektionsschutz per Acrylglasscheibe

Zum Schutz der Mitarbeiter kann an den Empfangstheken eine Acrylglasscheibe installiert werden (s. Foto), rät Stefan Spieren, Facharzt für Allgemeinmedizin in Wenden, seinen Kollegen. Diese sei vergleichsweise günstig und unsichtbar wirksam, da der Hauptübertragungsweg des Coronavirus die Tröpfcheninfektion ist. Alternativ kann farbiges Tape eine Abstandslinie auf dem Boden markieren.

4. Lokale Tipps statt Online-Fake

Aufgrund der immer knapper werdenden Schutzausrüstung in den Praxen setzen Hausärzte in vielen Regionen auf einen besonderen Handgriff der Nachbarschaftshilfe: Sie sprechen gezielt lokale Handwerksbetriebe oder Landwirte an, ob diese noch (FFP2-)Schutzmasken in ihren Lagern haben. Bei allen Arbeiten, bei denen Feinstaub entsteht – also beispielsweise bei feinen Schleifarbeiten oder beim Schweißen von Stahl und Edelstahl – ist es üblich, sich mit den Masken zu schützen, sodass hier oft Restbestände lagern.

Anzeigen oder Leserbriefe in der Lokalzeitung können auf die Problematik aufmerksam machen, wie Hausärzte berichten. Teils hätten sich nach entsprechenden Veröffentlichungen lokale Betriebe oder Bürger proaktiv gemeldet. Stand 18. März sind außerdem Schutzmaterialien bei www.doccheckshop.de lieferbar.

Unterdessen warnt unter anderem die Polizei in Rheinland-Pfalz vor gefälschten Angeboten für Atemmasken, Desinfektionsmitteln und andere Medizinprodukte im Internet. Vorsicht: Teils sei der Auftritt von betrügerischen Angeboten echten Unternehmen nachempfunden.

5. Alternative Kanäle zur Patientenansprache

Die “normale” Telefonnummer der Praxis ist nicht selten schon in Nicht-Corona-Zeiten überlastet. Hausärzte können für nicht dringliche Patientenanfragen primär auf den Kontakt via E-Mail an die Praxis verweisen. Dies sollte auf Aushängen an der Praxistür und auf der Praxiswebseite entsprechend kenntlich gemacht werden, raten auch Hausärzteverband und DEGAM. “Der Hausarzt” stellt einen Aushang für die Triage an der Praxistür zur Verfügung.

So können die Anfragen einerseits vom Praxisteam nach Wichtigkeit triagiert und geordnet dann auch telefonisch beantwortet werden. Andererseits bleibt so das Praxistelefon frei, was für besonders gefährdete ältere Patienten wichtig ist, um ihre Hausärzte weiterhin gut erreichen zu können.

Eine weitere Idee zur aktuellen Entlastung kann die Einrichtung einer zusätzlichen Telefonnummer zur Meldung von Verdachtsfällen sein, rät Hausarzt Spieren. Alternativ können Hausärzte erwägen, an ihre Risikopatienten eine persönliche Kontakttelefonnummer herauszugeben, wie es etwa bei bereits bei Palliativpatienten üblich ist.

Wichtig: Auch das Ausstellen einer AU ist mittlerweile telefonisch möglich, allerdings formal nur bei leichten Atemwegsbeschwerden und ohne Coronaverdacht. Die Abrechnung erfolgt über die 01435 EBM plus 40122 EBM für das Porto; Versichertendaten der Gesundheitskarte werden, soweit sie noch nicht in der Praxis vorliegen, telefonisch erfragt.

Auch ein Online-Meldeformular zur Meldung von Verdachtsfällen ist denkbar; ein Beispiel stellt Spieren auf der eigenen Webseite zur Verfügung. “Hieraus kann dann nach Dringlichkeit reagiert werden.”

6. Videosprechstunde kostenfrei testen

Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband haben die bislang bestehenden Einschränkungen zur Videosprechstunde vorübergehend aufgehoben. Bisher konnten Ärzte nur jeden fünften Patienten ausschließlich über eine Videosprechstunde behandeln, alle anderen mussten persönlich in der Praxis erscheinen. Auch die Menge der so erbrachten Leistungen war auf 20 Prozent begrenzt.

Mit Beginn des neuen Quartals fallen diese Begrenzungen weg, sodass auch Patienten eine Videosprechstunde in Anspruch nehmen können, die zuvor nicht selbst in der Praxis waren. Die Neuregelung der Vergütung gilt zunächst für das zweite Quartal 2020. Für die verbleibenden rund zwei Wochen des ersten Quartals geht die KBV aber nicht davon aus, dass Ärzte die 20-Prozent-Grenze überschreiten.

Die beiden “Platzhirsche” in Sachen Videosprechstunde, Jameda und CGM, bieten aktuell kostenfreie Angebote an, um die Videosprechstunde in die Praxen zu bringen. Aber auch viele weitere Anbieter haben nachgezogen (eine Übersicht).

Update (19.3.): Die KV Niedersachsen teilt mit, dass Ärzte und Psychotherapeuten ab sofort die Videosprechstunde nutzen können, “ohne dafür eine Genehmigung der KVN zu erhalten”. Darauf werde vorerst bis 30. Juni verzichtet.

Ein weiterer Pluspunkt: Mit der EBM-Reform ab 1. April werden zum Beispiel Video-Fallkonferenzen mit Pflegeheimen besser honoriert.

7. Atteste als Mustertexte in Software einpflegen

Auch Fragen von Arbeitnehmern rund um die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) sowie die Bitte um “Hilfe beim Daheimbleiben”, etwa wenn Arbeitgeber nicht proaktiv das Arbeiten im Homeoffice anbieten, laufen aktuell in Hausarztpraxen auf.

Gemeinsam mit den “Rauchenden Köpfen” stellt “Der Hausarzt” Muster-Formulierungen zur Verfügung, wie diese Anfragen zeitsparend beantworten werden können – indem entsprechende Textbausteine ins Praxisverwaltungssystem (PVS) eingepflegt werden.

8. Homeoffice für MFA

In vielen Branchen kommt aktuell das Homeoffice, also das – auch kurzfristig improvisierte – Arbeiten von daheim aus, zum Einsatz. Auch für Medizinische Fachangestellte (MFA) erachtet Hausarzt Spieren dies als “möglich und sinnvoll” – gerade in der aktuellen Situation. Anrufe, Terminierungen etc. könnten auch außerhalb der Praxisräume erfolgen. “Der Einsatz der entsprechenden Technik und die Beachtung des Datenschutzes sind natürlich eine unabdingbare Voraussetzung.”

9. Kodier-Probleme per Suchlauf überbrücken

Berichten verschiedener PVS-Nutzer zufolge gibt es Probleme beim Kodieren klinischer COVID-19-Verdachtsfälle. Die “U07.1!” gibt es dementsprechend in einigen Softwareprogrammen noch nicht, oder sie ist vorhanden, aber als Platzhalter freigehalten und kann von der Praxis nicht selbst aktiviert werden. Dies soll bei mit dem fälligen Quartals-Update behoben werden, wie Nachfragen von “Der Hausarzt” bei den Anbietern zeigen.

Praxis-Tipp für die Zwischenzeit: Hausärzte sollten die betroffenen Patienten notieren und dann nach dem Update “nachkodieren” – dies erleichtert ein Suchlauf. Bei einem klinischen Verdacht oder nachgewiesener Infektion mit COVID-19 muss dies im PVS nämlich mit 88240 gekennzeichnet werden. Bevor Hausärzte die Quartalsabrechnung an die KV schicken, sollten sie einen Suchlauf nach der 88240 starten und können dann den ICD-Kode nachtragen.

Alternativ kann auch als B34.2 (“Infektion durch Koronaviren nicht näher bezeichneter Lokalisation”) kodiert werden und ebenfalls über einen Suchlauf “korrigieren”.

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