OrganspendeEntwurf für Widerspruchslösung stößt neue Debatte an

Allem Werben zum Trotz warten Tausende Schwerkranke dringend auf Organe. Wie können es mehr Spender werden? In der sensiblen Debatte liegt der erste ausgearbeitete Gesetzentwurf vor - es gibt prompt Kritik.

Von der Entscheidungs- hin zur Widerspruchslösung? Nun liegt ein Entwurf für eine Neuregelung der Organspende in Deutschland auf dem Tisch.

Berlin. Alle Volljährigen in Deutschland sollen nach Plänen einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten künftig grundsätzlich als Organspender gelten – bis auf Widerruf. Die Parlamentarier um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stellten dafür am Montag (1. April) den ersten Gesetzentwurf in der Debatte über neue Regeln vor, um zu mehr lebensrettenden Organspenden zu kommen. Die fraktionsübergreifende Gruppe schlägt eine „doppelte Widerspruchslösung“ vor. Damit wäre automatisch jeder Spender, man könnte dazu aber noch Nein sagen. Sonst wäre – als doppelte Schranke – bei Angehörigen nachzufragen. Von Patientenschützern und anderen Abgeordneten kam Kritik.

Die bisherige Regelung habe nicht gefruchtet, sagte Spahn und verwies auf weiterhin zu niedrige Spenderzahlen. Im vergangenen Jahr waren sie zwar erstmals seit Längerem wieder deutlich auf 955 Spender gestiegen – rund 9400 Patienten warten aber auf Spenderorgane. Diese große Lücke gelte es zu schließen, erläuterte SPD-Fraktionsvize Prof. Karl Lauterbach. Die vorgeschlagene Neuregelung dafür sei unbürokratisch, ethisch vertretbar, effizient und sicher. Spahn betonte, es sei keine Organ-Abgabepflicht, wenn man begründungslos widersprechen könne. Es gehe aber um eine Verpflichtung, sich mit der Frage zu beschäftigen.

Arzt fragt bei Register an

Die Widerspruchslösung kehrte die bisherige Entscheidungslösung um, nach der Organ-Entnahmen nur bei ausdrücklich erklärtem Ja zulässig sind. Künftig müsste man demnach ausdrücklich seinen Widerspruch erklären und dies in einem neuen zentralen Register speichern. Bei einer möglichen Transplantation würde ein Arzt dort abfragen, ob es eine Erklärung gibt. Ist das nicht der Fall und liegt sonst kein schriftliches Nein vor, soll der nächste Angehörige gefragt werden – aber nicht nach seiner eigenen Entscheidung, sondern ob er einen schriftlichen Widerspruch oder einen Willen des Verstorbenen kennt.

Geplant ist eine große Informationskampagne für eine neue Regelung, außerdem soll jeder ab 16 Jahren dreimal direkt mit Informationen angeschrieben werden. Entscheidungen zur Organspende sollen jederzeit geändert werden können. „Es wird niemand zu irgendetwas gezwungen“, sagte der CSU-Abgeordnete Georg Nüßlein. Die Linke-Abgeordnete Petra Sitte sprach von einem „solidarischen Akt“ gegenüber den Mitmenschen. Spahn betonte, in 20 von 28 EU-Staaten gebe es Widerspruchslösungen (s. Kasten).

Wenn Minderjährige als Spender infrage kommen, soll eine Entnahme nur zulässig sein, wenn ein Angehöriger, also wohl meist die Eltern, zugestimmt hat. Bei Menschen, die die Tragweite einer solchen Entscheidung nicht erkennen können – etwa wegen einer geistigen Behinderung – sollen Organspenden grundsätzlich unzulässig sein.

Entscheidung ohne Fraktionszwang

Der Gesetzentwurf soll in den Bundestag eingebracht werden, der dann ohne Fraktionszwang über eine Reform entscheiden soll. Es ist aber nicht der einzige Vorstoß. Eine ebenfalls fraktionsübergreifende Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock schlägt verbindliche regelmäßige Befragungen der Bürger etwa beim Ausweisabholen vor und lehnt eine Widerspruchslösung strikt ab.

Losgelöst von den gesetzlichen Initiativen stärken der Deutsche Hausärzteverband und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Hausärzte in ihrer beratenden Rolle zum Thema. Weil Hausärzte oft jahrzehntelange Ansprechpartner und Vertrauenspersonen sind, kommen auch in ihrem Praxisalltag immer wieder Fragen rund um die Organspende auf. Hausärzteverband und BZgA geben für diese Gespräche Praxismaterialien an die Hand.

Deutliche Kritik am Vorstoß

Prof. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) hob hervor, bei der doppelten Widerspruchslösung müssten sich die Menschen bewusst mit der Frage auseinandersetzen, ob sie spenden wollen. Dies könnte den Beratungsbedarf noch steigern. „Ganz wichtig: Niemand wird zur Organspende gezwungen.“ Bei dem hochsensiblen Thema sei eine besonnene Diskussion nötig, appellierte Montgomery. Unter seinem Vorsitz hatte sich auch der Deutsche Ärztetag im vergangenen Jahr für eine Widerspruchslösung ausgesprochen.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hingegen warnte vor einer Aufgabe der Freiwilligkeit. Die Widerspruchslösung setze darauf, dass die meisten sich nicht mit der Frage beschäftigen, sagte Vorstand Eugen Brysch. „Schweigen heißt aber nicht Zustimmung.“

Auch der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Prof. Peter Dabrock, sprach sich am Montag gegen den Vorstoß aus. „Damit wird für mich der Körper nach dem Hirntod zu einem Objekt der Sozialpflichtigkeit.“ Der Vorstoß der Widerspruchslösung sei unnötig und schädlich, da er Vertrauen beschädige und zu kaum mehr Effizienz bei der Organspende führe. Dabrock sieht zwar einen Unterschied zwischen Hirntod und Tod, hält Organspenden grundsätzlich aber für wichtig und gut, da sie ein „Akt der Solidarität mit schwerstkranken Menschen“ seien. „Wir brauchen eine viel breitere Debatte zu den Schwierigkeiten, die das ganze Transplantationswesen vielen Menschen bereitet, und zwar nicht, damit wir die Bereitschaft senken, sondern dass wir sie erhöhen.“

Mit Material von dpa

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