Forum PolitikSpitzenforschung trifft Shopping Mall-Praxis

Bedside-Teaching, Vorlesungen und Unterricht in Kleingruppen: Die Ausbildung amerikanischer Ärzte gilt als exzellent. Im Juni hat sich Allgemeinmediziner Dr. Matthias Frank aus Karlsruhe ein Bild von der stationären und hausärztlichen Versorgung gemacht. Sein Reisebericht zeigt aber auch, woran der Patient USA krankt.

Eine vollautomatisch gesteuerte Skyline-Bahn verbindet die einzelnen Kliniken. Das ganze Areal ist so riesig, dass eine Fahrt bis zu 20 Minuten dauern kann. Eine imposante Klinik, die nicht etwa in New York, sondern in Indianapolis steht, der Hauptstadt von Indiana im Nordosten der USA. Indiana ist eher beschaulich und wenig urbanisiert. Hier, in der Abteilung für Hämatologie und Onkologie am Simon Cancer Center der Indiana University, darf ich fünf Tage hospitieren und amerikanischen Kollegen über die Schulter schauen.

Wer als deutscher Arzt zum ersten Mal ein amerikanisches Krankenhaus betritt und mit den Kollegen spricht, stellt schnell fest, wie gut Ärzte hier ausgebildet werden, wie perfekt die Abläufe auf den Stationen organisiert sind und auf welch hohem Niveau Patienten versorgt werden. Ärzte tragen hier nicht nur einen weißen Kittel, sondern auch Sakko und Krawatte. Ärztinnen laufen in dunklen Hosen, Blusen oder Kostüm über die Flure. Eine Kleiderordnung, die auf mich erstmal ungewöhnlich wirkt.

Ebenso ist die Ausstattung der Klinik luxuriöser als in Deutschland: Einbettimmer sind hochwertig und auf Privatsphäre ausgerichtet. Das amerikanische Gesundheitssystem ist teils öffentlich und privat finanziert. Die Mittelschicht kann damit gut leben. Sicher ein Grund dafür, dass die jüngste Gesundheitsreform „Obamacare“ in den USA nicht unumstritten ist. Wer in den USA eine gute Krankenversicherung besitzt, hat sofortigen Zugang zu den neuesten medizinischen Technologien, sehr gut ausgebildeten Ärzten und zu hochwertig ausgestatteten Einzelzimmern.

Renommierte Ausbildung

Die Ausbildung amerikanischer Mediziner genießt einen ausgezeichneten Ruf. Permanentes Bedside-Teaching, ergänzt durch Vorlesungen und Kleingruppenunterricht bringt den jungen Ärzten für ihren späteren Beruf sehr viel Sicherheit und Wissen. Für Ärzte in der Facharztausbildung (Residents) beginnt jeder Arbeitstag mit Fortbildung und einem Kurzvortrag zu einem eingegrenzten klini-schen Thema. Es folgt die Morgenbesprechung mit dem Fellow, dabei gehen sie die Liste der Patienten durch, diskutieren Diagnostik und mögliche Therapien und stimmen diese aufeinander ab. Fellows haben ihre Facharztausbildung bereits abgeschlossen und absolvieren ihre Weiterbildung zum Spezialisten (zum Beispiel Gastroenterologe, Onkologe). Am Nachmittag findet nochmals eine Besprechung statt. Dieses Mal mit dem Attendant, der mit einem deutschen Oberarzt verglichen werden kann.

Neben der ärztlichen Ausbildung sind die USA für ihre Forschung berühmt – sie sind weltweiter Spitzenreiter in medizinischer Grundlagenforschung und Innovation. Auch in den Laboren der Klinik können Ärzte auf modernste medizinische Geräte zurückgreifen und auf höchstem Niveau forschen. Mein Tutor Heiko König MD PhD forscht vor allem zu gezielten Krebstherapien. So testet er die Wirksamkeit neuer Medikamente gegen Mutationen der akuten myeloischen Leukämie. Schwerpunkt sind hierbei die Effekte auf verschiedene Zelltodmechanismen sowie auf die Differenzierung der Leukämiezellen. Sein Gebiet zählt mit zu den fünf wichtigsten Forschungsprogrammen der Uniklinik.

Belegärzte weit verbreitet

Klinik- und niedergelassene Ärzte sind hier nicht so streng „getrennt“ wie in Deutschland. Vielmehr ist ein Großteil der Niedergelassenen als Belegärzte tätig, schließen also einen Vertrag mit „ihrem“ Krankenhaus ab. Beispielsweise arbeitet eine Oberärztin drei Tage stationär in der Endokrinologie als Konsiliarärztin und für weitere zwei Tage in der endokrinologischen Praxis, die dem Krankenhaus angeschlossenen ist. In den letzten Jahren haben sich daher zunehmend große, interdiszi-plinäre Gemeinschaftspraxen entwickelt. Sehr oft sieht man Praxen, in denen sich drei, fünf oder weitaus mehr Ärzte einer Fachrichtung zusammenschließen. Die Klinik hat auch eine eigene Hausarztpraxis. Sie wird von mehreren Allgemeinärzten geführt und ist als eigenständige Abteilung in die Uniklinik der Indiana University integriert.

Es ist jetzt gerade einmal 19 Uhr, doch es fühlt sich an wie tiefe Nacht. Die Ärzte hier müssen sehr viel arbeiten und haben nur wenig Zeit zur Erholung. Heute ist mein letzter Tag. Morgen geht es früh weiter zu Freunden nach Minnesota. Dort will ich meine Eindrücke aus der Klinik ergänzen und mich über die hausärztliche Versorgung informieren.

Ärzte sind Mangelware

Utah, Arizona, New Mexiko. Das sind nur einige Orte im Herzen Amerikas, die für uns Deutsche nach Urlaub und Abenteuer klingen. Was die medizinische Versorgung der Bevölkerung anbelangt, sieht die Realität aber häufig so aus: Den USA fehlen Ärzte, vor allem auch Hausärzte (Family Physician/General Practitioner). Besonders auf dem Land sind sie Mangelware. Ich denke gleich an die vielen kleinen Dörfer, durch die ich bei früheren Reisen in der Wüste Arizonas gefahren bin, und die Gelegenheitsarbeiter, die dort in ausrangierten Wohnwagen auf den Trailer Courts mit ihren Satellitenschüsseln auf dem Dach leben, oder Navajo-Indianer, die in schnell zusammen gezimmerten Holzhütten mit aufgedrehter Klimaanlage wohnen.

Aufgrund der Geografie, der Bevölkerungsstruktur, des Klimas oder der Abgeschiedenheit wollen viele Ärzte in solchen ländlichen Regionen nicht gerne arbeiten. So gibt es im Schatten der großen Städte viele Menschen in dünn besiedelten Gebieten – vor allem Indianer, Farmer und Viehzüchter, die medizinisch eher im Abseits stehen und die einen Arzt mitunter nur sehr schwer erreichen können. Statt auf große ärztliche Facharztpraxen oder niedergelassene Hausärzte vor Ort trifft man in diesen weitläufigen und ländlichen Gebieten auf rollende Praxen, die auf den staubigen Straßen im Südwesten der USA von Ort zu Ort reisen.

Diese großen Trucks führen das wichtigste Inventar einer Praxis mit sich, berichten mir Ärzte wie Patienten, mit denen ich ins Gespräch komme. Zu festgelegten Zeiten werden Termine zur Sprechstunde angeboten: Zur rollenden Praxis kommen die Menschen, um sich medizinisch versorgen zu lassen. Denn die Alternative wäre mehrere Stunden mit dem Auto über einsame Landstraßen in die nächstgelegene Stadt zu fahren.

Primärarzt – the American way

Zwar müssen Patienten in großen Städten und den umliegenden Suburbs (Vororten) gewöhnlich nur kurz warten, um einen Termin bei einem Spezialisten zu bekommen. Mitunter müssen sie aber viel Geduld mitbringen, um als neuer Patient einen Termin bei einem Familienarzt zu erhalten. Deshalb wählen viele Amerikaner einen Familienarzt als ihren Hausarzt und schreiben sich in dessen Patientenregister ein. Wenn sie allerdings die Praxis länger nicht aufsuchen, werden sie routinemäßig aus dem Register gelöscht. Dann ist es ihnen wiederum sehr schwierig oder gar unmöglich, bei ihrem Hausarzt einen neuen oder kurzfristigen Termin zu vereinbaren.

Häufig ist es für die Patienten aber auch aus anderen Gründen nicht möglich, bei ihrem gewählten Arzt zu bleiben. Meist bezahlt der Arbeitgeber die Krankenversicherung. Daher müssen Patienten etwa ihren Hausarzt wechseln, wenn ihr Arbeitgeber einen Vertrag mit einer anderen Versicherung abschließt oder die Krankenversicherung neue Vertragsbedingungen stellt. So arbeiten viele Private Krankenversicherungen mit ausgewählten Ärzten zusammen – lassen also nur eine beschränkte Arztwahl zu.

Auch in Amerika gründen Hausärzte häufig große Gemeinschaftspraxen, um sich die Kosten teilen zu können. Viele stellen darüber hinaus Family Nurse Practitioner (FNP) an. Diese besonders ausgebildeten, hoch qualifizierten Krankenschwestern/-pfleger dürfen ärztliche Behandlungsmaßnahmen in eigener Verantwortung übernehmen. Viele Hausarztpraxen bieten ihren Patienten eine ärztliche Telefonsprechstunde an und sind auch am Samstagvormittag besetzt. Aber einen Hausarzt zu finden, der auch Hausbesuche macht (house calls), ist in den USA praktisch unmöglich. Nachts und an Wochenenden außerhalb der Praxiszeiten können Patienten sich dann nur an die Notaufnahmen der Kliniken wenden.

Not macht erfinderisch

Trotz vieler Analysen und Vorschläge sehen sich auch die USA mit dem Nachwuchsmangel bei Allgemeinmedizinern konfrontiert. Viele Medizinstudenten streben eher eine Karriere als Spezialist, denn als Hausarzt an. Nach Angaben des Altarum Institute entschieden sich 2009 weniger als 20 Prozent der Absolventen einer Medical School für die primärärztliche Versorgung. Das abnehmende Interesse dürfte auf mehrere Faktoren zurückzuführen sein: abnehmendes Prestige der Allgemeinmedizin, hohe Praxiskosten, zunehmende Bürokratie, schwindende Honorare.

Die Einnahmen der Hausärzte sind zwar respektabel, aber weit niedriger als beim Durchschnitt amerikanischer Fachärzte. Aber: Not macht erfinderisch! In den letzten Jahren sind in den USA sehr erfolgreiche Alternativen zur medizinischen Versorgung entstanden. So finden sich inzwischen in Shopping-Malls, die rund um die Uhr geöffnet sind, kleinere Praxen für die „Laufkundschaft“. Die Idee dahinter: Viele allgemeine Befindlichkeitsstörungen benötigen weder einen Arzt noch eine Klinikambulanz – stattdessen versorgen qualifizierte Nurses und Physician Assistents („Fast-Ärzte“, die einen Gesundheitsberuf erlernt und eine medizinische Basisausbildung haben) schnell und kostengünstig die Betroffenen. Nur bei Bedarf wird ein Arzt hinzugezogen. Für viele Amerikaner ist ein Arztbesuch aufgrund der hohen Kosten Luxus. Durch eine MinuteClinic im Einkaufszentrum oder Drogeriemarkt sparen sie also nicht nur Zeit, sondern auch Geld.

Was als Idee in Minnesota begann, ist inzwischen auf eine von Küste zu Küste reichende Dienstleistung angewachsen.

Primärversorgung in den USA

Zur primärärztlichen Versorgung ( Primary Care, PC) in den USA zählen in der Regel nicht nur Familien- und Allgemeinärzte, sondern auch allgemeine Internisten, Pädi -ater und Geriater. Zur PC Workforce kommen dann noch Nurse Practitioners (NP) und Physician Assistents (PA) hinzu. Diese Gruppe beläuft sich geschätzt auf knapp 295.000 Personen, davon 70 Prozent Ärzte, 20 Prozent NP und zehn Prozent PA. Insgesamt gibt es etwa 624.000 Ärzte in den USA, aber nur ein Drittel von ihnen sind Primärärzte. Von diesen rund 209.000 sind weniger als die Hälfte Familien- und Allgemeinmediziner (43 Prozent), ein Drittel Internisten, 21 Prozent Pädiater und gut ein Prozent Geriater.

Quelle: Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ), 2010

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