MasernIst eine Impfpflicht sinnvoll?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kann sich vorstellen, den Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas oder Schulen an die Masern-Impfung zu koppeln. Auch der Brandenburger Landtag und die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen haben sich Mitte April dafür aus- gesprochen. Aber ist eine Impfpflicht der richtige Weg zu einem besseren Schutz vor Masern? "Der Hausarzt" hat bei zwei Ärzten nachgefragt.

“Wer nicht impft, gefährdet sich und andere”

Kommentar von Prof. Martin Scherer, Leiter des Instituts und der Poliklinik für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Bei Masern ist es wichtig, dass so viele Menschen wie möglich geimpft sind. Denn sie sind hoch infektiös: Wenn ein Infizierter mit einem Ungeimpften spricht, liegt die Wahrscheinlichkeit bei 100 Prozent, dass sich der Ungeimpfte durch Mikrotröpfchen in der Luft ansteckt. Das wichtigste Argument für eine breite Durchimpfung ist daher der Eigen- und Fremdschutz.

Wer sich gegen Masern impft, wendet einerseits gefährliche Verläufe einer Infektion bei sich selbst ab. Kritiker halten oft dagegen, dass es besser sei, die Erkrankung “durchzumachen”. Wer dies überlebt, ist lebenslang geschützt. Doch wer stirbt, hat “Pech gehabt” – und das Risiko dafür ist hoch: Ohne Impfung stirbt 1 von 1.000 an Masern. Vergleichsweise selten kommt es aber zu Nebenwirkungen der Impfung – nur in 1 von 1,5 Millionen Fällen.

Andererseits ist die Masernimpfung auch eine Frage der Solidarität: Wir atmen alle dieselbe Luft, deswegen müssen wir die Ausbreitung von Masern so gut es geht verhindern. Dafür ist es essentiell, dass alle, die sich impfen lassen können, dies auch in Anspruch nehmen. Aus zwei Gründen:

1.Es gibt einige Kinder, für die eine Masern-Impfung kontraindiziert ist, etwa weil sie an Leukämie oder einer Störung des Immunsystems leiden. Sie sind auf den Herdenschutz durch die geimpfte Gemeinschaft angewiesen, wodurch sich das Masernvirus schlechter verbreiten kann.

2.Unter den Geimpften gibt es “Impfversager”: Die Impfquote liegt in Deutschland etwa bei 95 Prozent. Die Erfolgsrate einer Impfung beträgt 92 Prozent, bei zwei Impfungen 98 Prozent. Die Impfung ist also hochwirksam, trotzdem gibt es auch bei Geimpften immer wieder Durchbrüche – man nennt das primäres oder sekundäres Impfversagen. Mit den Nicht-Geimpften und diesen “Impfversagern” finden Masern also immer wieder einen Weg, sich auszubreiten. So ist es zu erklären, dass Masern ab und an lokal ausbrechen.

Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) befürwortet daher eine möglichst hohe Durchimpfung der Bevölkerung (S. 8). Trotzdem meint sie aber auch, dass eine staatliche Impfpflicht, wie vom Bundesgesundheitsminister vorgeschlagen, nicht der richtige Weg ist, dieses Ziel zu erreichen. Offener steht die DEGAM zum Beispiel Sanktionen von Einrichtungen wie Kitas oder Schulen gegenüber. Indem sie vor der Aufnahme von Kindern beispielsweise Impfpässe kontrollieren und nicht geimpfte Kinder “nach Hause schicken”, fordern die Einrichtungen gesellschaftliche Solidarität für diejenigen ein, die sich nicht selbst schützen können.

“Moralische Pflicht oder staatlich sanktionierte Rechtspflicht?”

Prof. Wolfram Henn, Leiter der Humangenetischen Beratungsstelle der Universität des Saarlandes

„Ich bin dafür!“ „Ich bin dagegen!“ Bevor man sich in solch eindimensionalen Debatten ergeht, sollte man sich darüber verständigen, was mit einer Impfpflicht gemeint ist. Zum einen: Geht es um eine moralische Verpflichtung oder um eine staatlich sanktionierte Rechtspflicht? Zum anderen: An wen richtet sie sich, und mit welchen Mitteln darf sie durchgesetzt werden?

Impfen, das steht auf höchstem Evidenzniveau fest, ist gemäß der Abwägung zwischen Nutzen und Schaden nützlich. Zwar darf man nicht alles Nützliche gleich zur Pflicht erklären, aber gegenüber den meisten anderen medizinischen Maßnahmen haben Impfungen eine besondere moralische Qualität: Sie dienen dem Wohlergehen des Individuums genauso wie dem Schutz anderer. Dies bringt eine Verantwortung mit sich, die für Eltern gegenüber ihrem eigenen Kind gilt, aber auch gegenüber anderen, die nicht geimpft werden können. Mehr noch: Sie gilt auch gegenüber Menschen in anderen Ländern ohne effiziente Gesundheitssysteme, in die Erreger exportiert werden können, und künftigen Generationen. Ja, ohne Zweifel besteht eine moralische Pflicht, gemäß wissenschaftlicher Bewertung empfohlene Impfungen wahrzunehmen.

Für deren Umsetzung in praktisches Handeln gilt aber verfassungsrechtlich das Prinzip, dass nur die mildesten geeigneten Mittel eingesetzt werden dürfen. Geht es also wirklich nicht ohne eine sanktionsbewehrte staatliche Impfpflicht, die in letzter Konsequenz bis in Zwangsvorführungen zum Impfen einmünden könnte? Über unsere uns zur Zurückhaltung mahnenden Intuitionen hinaus weisen Erfahrungen im Ausland und Befragungen in Deutschland darauf hin, dass es unterhalb eines staatlichen Zwanges noch einige Möglichkeiten auszuschöpfen gilt, zwar nicht die Fundamental-Impfverweigerer, aber doch die etwa 20 bis 30 Prozent von gutwilligen Skeptikern oder „Bequemen“ zu erreichen, die sachlichen Argumenten und niederschwelligen Angeboten zugänglich sind.

Für uns Ärzte wird damit die moralische Impfpflicht zu unserer Pflicht, uns kreativ für eine Erhöhung der Impfraten zu engagieren. Das kann mühsam werden, von offenen Impfsprechstunden am Tagesrand über Impf-Erinnerungssysteme in Praxissoftwares bis zu samstäglichen Impfaktionen im öffentlichen Raum. Die Bereitschaft dazu ist unter Ärzten zu spüren, und dafür muss sich nun der Staat in die Pflicht nehmen lassen, vom Abbau berufsrechtlicher Hürden bis zur fairen Honorierung des Mehraufwandes, geeignete Bedingungen zu schaffen.

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